Donnerstag, 28. März 2024

Transformationsprozess 1989/90
Zusammenführung der Systeme

Aus zwei wird eins. Mit der deutschen Wiedervereinigung mussten auch die Sportsysteme von Ost und West zusammengeführt werden. In unserer zweiten Diskussionsrunde sprachen zwei direkt Beteiligte über die Zeit des Übergangs.

Von Arne Lichtenberg | 01.10.2014
    Olympische Sommerspiele in Seoul 1988: Die Diskuswerfer Jürgen Schult (r./DDR) Rolf Danneberg (BRD).
    Olympische Sommerspiele in Seoul 1988: Die Diskuswerfer Jürgen Schult (r./DDR) Rolf Danneberg (BRD). (dpa / picture-alliance / Wolfgang Kluge)
    Ferdinand Kösters, der ehemalige Referatsleiter im Bundesinnenministerium und Autor des Buches
    "Verschenkter Lorbeer - Sportpolitik in Deutschland zur Zeit der Wende 1989/90", und Cordula Schubert, letzte DDR-Sportministerin, heute im sächsischen Sozialministerium, berichteten zusammen mit Moderator Herbert Fischer-Solms über die Zeit des Transformationsprozesses 1989/90. Es habe damals eine regelrechte Aufbruchsstimmung geherrscht, sagte Kösters.
    Eine Aufbruchsstimmung, die aber nur kurze Zeit später wieder verpuffte weil es arge Versäumnisse auf Seiten des westdeutschen Sportsystems gegeben habe. "Man hatte in der DDR große Erfolge im Sport, die Strukturen hätte man sichern und retten müssen, um ein bestimmtes Niveau zu erhalten", beklagte Kösters.
    Versäumt die Strukturen zu erhalten
    Ein Grund dafür sei, dass der Sport im Einigungsvertrag nur mangelhaft berücksichtig wurde. "Der damalige Abteilungsleiter unserer Arbeitsgruppe war viel zu passiv. Da ist viel versäumt worden."
    Zwar habe es in der Bundesrepublik auch Sportschulen geben, aber nur Sportschulen zu einer Sportart. "Die DDR hatte alles zusammen an einem Ort. Das waren Sportstädte. Das hätte man erhalten müssen." Viele Einrichtungen hätte man aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln stilllegen müssen.
    Kösters (r.): „Man hätte DDR-Sportstrukturen sichern und retten müssen, um bestimmtes Niveau zu erhalten." #DLFspoko pic.twitter.com/upoIu0aLg5— Sport (@DLF_Sport) 1. Oktober 2014
    Der Fokus im Westen lag auf drei DDR-Instituten, dem Dopingkontrolllabor in Kreischa, dem Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) in Berlin, und auf dem Forschungsinstitut für Körperkult und Sport (FKS) in Leipzig. Dass es dabei in Leipzig auch Menschenversuche gegeben habe, "wollte man wohl nicht sehen", sagte Kösters.
    Im Westen das DDR-Doping aus Angst verneint
    Im Westen habe man durch die Wiedervereinigung auf weitere sportliche Erfolge der gesamtdeutschen Mannschaft gehofft. "Das Schlagwort war: Die DDR weiß, wie man Medaillen macht", obwohl man wohl auch gewusst habe, dass viele Erfolge in der DDR nur durch flächendeckendes Doping zustande gekommen seien. Doch Doping im Nachbarstaat habe man trotz vieler Überläufer aus Ostdeutschland im Westen verneint, "wahrscheinlich aus Angst, dass etwas auf einen selbst zurückfällt", gab Kösters zu bedenken.
    In der DDR sei Doping hingegen ein öffentliches Geheimnis gewesen, sagte die damalige DDR-Sportministerin Cordula Schubert. Für den Arbeiter- und Bauernstaat hätten damals nur Medaillen gezählt. Geld sei nur in Sportarten gesteckt worden, die auch mit Sicherheit viele Olympiamedaillen erringen konnten. Schubert schilderte anschaulich das Beispiel aus Chemnitz, wo Eistänzer nicht gefördert wurden.
    Am Ende der Diskussion mussten beide über das Zitat des heutigen Innenministers Wolfgang Schäuble schmunzeln, der behauptet habe, nirgendwo sonst sei die Einheit besser gelaufen als im Sport. "Es ist nicht schlechter oder besser gelaufen als in anderen Bereichen auch", sagte Schubert. Heute gäbe es Gräben zwischen Schleswig-Holstein und Bayern. Einen Graben zwischen Ost und West könne sie 25 Jahre nach der Wende nicht mehr erkennen.
    Das komplette Gespräch zwischen Herbert Fischer-Solms, Ferdinand Kösters und Cordula Schubert können Sie über den Audioplayer oben rechts nachhören.