Dienstag, 19. März 2024

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Transparency zu Cum-Ex-Skandal
"Das ist für uns Korruption"

Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency liegt Deutschland auf Platz 11 von 180. Das sieht gut aus. Aber die Organisation sieht Mängel bei der Abwehr von verdecktem Lobbyismus. Diese Form der Korruption würde seltener wahrgenommen, sagte Transparency-Deutschland-Chef Hartmut Bäumer im Dlf.

Hartmut Bäumer im Gespräch mit Birgid Becker | 09.12.2019
Hartmut Bäumer, Jurist und ehemaliger Amtsleiter im württembergischen Verkehrsministerium am 08.02.2013
Hartmut Bäumer, Jurist und Vorsitzender von Transparency Deutschland (picture alliance / dpa / Bernd Weißbrod)
Birgid Becker: Heute ist Welt-Anti-Korruptionstag. Den gibt es seit 2003, seit ein Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption unterzeichnet wurde. Dieser Tag soll das Bewusstsein der Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik schärfen für Schäden, die Korruption anrichtet. Korruption ist ein globales Phänomen, Staaten wie Somalia, Jemen, Syrien gelten als besonders korrupt. Von Zuständen wie dort ist Deutschland Lichtjahre entfernt. Aber Deutschland ist auch kein korruptionsfreier Raum. Wo steht Deutschland verglichen mit anderen? Das habe ich den Vorsitzenden der Anti-Korruptionsorganisation Transparency International, Hartmut Bäumer gefragt.
Hartmut Bäumer: Es gibt ja einen jährlichen Vergleichsindex der Länder. Da stehen wir so an zehnter, elfter, zwölfter Stelle. Das wechselt immer ein bisschen. Wir sind nicht ganz oben, das sind die skandinavischen Länder, aber wir gehören nicht in diese hintere Kategorie, die Sie angesprochen haben.
Becker: Das ist der Korruptions-Wahrnehmungsindex, den Sie erstellen.
Bäumer: Ja.
Becker: Der misst das wahrgenommene Korruptionsniveau, nicht das tatsächliche?
Bäumer: Ja, das ist so. Es werden Befragungen in den Ländern selbst gemacht und danach wird dann ausgewertet, wie schätzen die Menschen das selbst ein. Da liegt ja - schon in Ihrer Frage wird es deutlich – auch ein gewisses Risiko. Bildet das die Realität ab, oder die wahrgenommene Realität? Wenn ich das mal für Deutschland sagen kann: Mein Problem, sage ich mal, ist, dass wir Deutschen nicht ganz zu Unrecht uns viel zugutehalten, was gegen Korruption doch eingebaut wurde, aber wir sind nicht so gut, wie wir uns manchmal selber gerne sehen würden. Das würde ich schon sagen.
Korruption im kommunalen Bereich ist durchaus verbreitet
Becker: Wo herrscht Korruption in Deutschland?
Bäumer: Es gibt ja unterschiedliche Formen. Wir haben dieses – das nennt sich kleine Korruption. Für uns ist ja Korruption Missbrauch anvertrauter Macht zu privaten Zwecken. Man muss nicht immer Bestechung haben. Diese Form von kleiner Korruption mit Bestechung einzelner Beamter oder auch Leuten, die in politischen Positionen sind, das kommt in den kommunalen Bereichen häufiger vor - das hat jetzt auch das BKA in seiner Studie gesagt -, auch in Deutschland. Das sind die typischen Dinge, die es schon immer gegeben hat. Man weiß, ein Baugebiet wird ausgewiesen, und wie komme ich dann schnell an Baurecht dran, damit ich dort schnell Geld verdienen kann und vielleicht vor anderen.
Viel komplexer: Die Korruption der Institutionen
Dann gibt es aber was ganz anderes, was mehr die Bundesebene auch betrifft und auch in anderen Staaten vorkommt. Wir nennen das systemische oder institutionelle Korruption. Da geht es mehr darum, wie man in die Strukturen reingeht und zum Beispiel Gesetze im Bundesfinanzministerium - ich denke mal an "Cum Ex" - mitformuliert, die hinterher die Möglichkeit geben, dass man vielleicht illegal oder am Rande der Legalität zusätzlich Geld verdient.
Es gibt einen schönen Satz eines Kollegen von mir aus dem Vorstand, der mal sagte: "Was muss ich einen Einzelnen bestechen, wenn ich das ganze Ministerium in der Hand habe?" – Nun ist es nicht so, dass alle deutschen Ministerien da unterwandert werden oder in der Hand gehalten würden von großen Einflussnehmern. Aber der Bankenskandal hat das gezeigt, Cum-Ex hat das gezeigt, Dieselgate – das sind alles Beispiele dafür, dass entweder die Aufsichts- und Kontrollpflichten wie bei Dieselgate nicht wahrgenommen werden. Das ist ganz eindeutig im Bundesverkehrsministerium und im Kraftfahrbundesamt, was ja dann auch zu Milliarden-Gewinnen der betroffenen Unternehmen führt, jetzt langfristig vielleicht auch zu Schäden, aber weil man es vorher hat laufen lassen, zu Gewinnen. Das sind Formen von Korruption, die seltener wahrgenommen werden.
Geschäfte zu Lasten des Steuerzahlers
Becker: Bleiben wir bei Cum-Ex. Das Stichwort haben Sie genannt. Das ist dieses, dem Steuerlaien gar nicht zu erklärende System, nach dem sich Anleger Steuerrückerstattungen mehrfach haben auszahlen lassen. Das sind Geschäfte zu Lasten des Fiskus, zu Lasten des Steuerzahlers. Banken, Anwälte, Steuerberater – das waren die Akteure. Sie werden selber, Transparency wird heute am Welt-Anti-Korruptionstag eine Veranstaltung dem Thema Cum-Ex widmen. Ich wüsste trotzdem noch gerne: Warum ist Cum-Ex, dieser Graubereich zwischen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung, ein Fall von Korruption?
Bäumer: Das ist deswegen ein Fall von Korruption, weil nach unserer Definition Missbrauch anvertrauter Macht zu privaten Zwecken damit zusammenhängt, dass man im Bundesfinanzministerium bei der Bankenaufsicht in allen Bereichen, wo man hätte aufmerksam werden müssen und können, dass hier Geschäfte getätigt werden und Türen geöffnet werden für Geschäfte, die jedem Laien einsichtig rechtswidrig sind – deswegen einsichtig, weil es klar ist, ich kann nicht für den gleichen Betrag zweimal mir die Steuern ersetzen lassen. Das war ja das Ergebnis. Das ist für uns Korruption. Es geht jetzt nicht so sehr darum, ob das Korruption im strafrechtlichen Sinne ist. Das Gericht in Bonn hat ja jetzt schon zu erkennen gegeben und hat gesagt, das ist auch strafrechtlich relevant. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, dass entweder aus Unachtsamkeit in den Ministerien nicht genau geguckt wurde, oder bei der damaligen Bankenaufsicht, oder weil man sich über Gutachten - das sind ja die großen Wirtschaftsberatungsunternehmen PWC und KPMG und wie sie alle heißen. Die machen ja diese Geschäfte vor, die planen die. Luxleaks wäre ohne PWC nicht möglich gewesen. Dagegen kommt dann so eine Ministerialbürokratie manchmal nicht an, oder übernimmt das und wird dadurch Handlanger für Dinge, die eindeutig illegal sind.
Schäden, die in die Milliarden gehen
Becker: Sie haben insoweit ja eine Bestätigung bekommen beim ersten Strafprozess, der vor dem Landgericht Bonn anläuft. Da haben die Richter zumindest durchblicken lassen - das Urteil ist ja noch nicht da -, dass diese Cum-Ex-Geschäfte nicht nur das Ausnutzen von Gesetzeslücken sind, sondern in der Tat strafbar. Ich glaube, es geht da um den Vorwurf der besonders schweren Steuerhinterziehung.
Bäumer: Ja.
Becker: Um die Dimension von Cum-Ex oder Cum-Cum – das gibt es ja auch – in anderer Variante zu ermessen: Es handelt sich da um den größten Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Wie hoch taxieren Sie den Schaden?
Bäumer: Inzwischen, glaube ich, ist Konsens, dass es allein für die Bundesrepublik wohl etwa zehn Milliarden sind und europaweit 40 bis 50 Milliarden, die dort illegal quasi von dem Steuerzahler abgezogen und in private Kassen geliefert wurden. Übrigens eine Ergänzung noch: Einer der Spiritus Rektoren dieser Geschichte war der Anwalt von Freshfields. Das ist die Kanzlei, die auch die Bundesregierung immer wieder vertritt und die auch jetzt Volkswagen vertritt. Der sitzt jetzt in U-Haft. Das ist eine Neuerung, die mich – ich bin selber mal Richter gewesen – sehr freut, dass die Justiz wach wird, dass sie sagt, das geht nicht.
Die Aufsicht muss weiter verstärkt werden
Becker: Was sind denn Rezepte dagegen, bevor so etwas noch entsteht? Es soll unter anderem ja – das wurde im November angekündigt – eine Task Force geben gegen Steuergestaltungsmodelle am Kapitalmarkt, so der Titel. Ist das ein richtiger Weg?
Bäumer: Sagen wir mal, es ist ein erster Schritt. Das zeigt, dass man ganz langsam wach wird. Ich finde, die Aufsicht der BAFIN und insgesamt die Aufsicht müsste weiter noch verstärkt werden. Wichtig ist auch, dass wir all diesen Dingen der lobbyistischen Einflussnahme nicht einen Riegel vorschieben. Auch Transparency International ist ein Lobbyverein, einer, der allerdings kein Geld dafür bekommt. Aber, dass es transparent wird, dass jeder, der in ein Ministerium geht, oder der auch im Parlament Lobbyarbeit macht, dass der registriert sein muss, dass klar sein muss, wer steht hinter ihm. Das ist ganz wichtig.
"Fehler, externe Verbände in Ministerien zu holen"
Becker: Wenn ich noch mal auf diesen Titel dieser Task Force gucke: Task Force gegen Steuergestaltungsmodelle. Welche Mitschuld trägt ein Gesetzgeber, der Steuergesetze macht, die solche Vermeidungsmöglichkeiten eröffnen?
Bäumer: Mitschuld ist wirklich sehr schwierig. Ich würde schon sagen, es ist eine große Mitverantwortung, wenn man überhaupt sich zum Beispiel wie bei Cum-Ex von dem Bankenverband zentral beraten lässt und das nicht gegenchecken lässt von anderen Organisationen wie zum Beispiel unserer. Und wer da heute blauäugig vertraut, der ist mindestens fahrlässig und insofern mitschuldig. Manches ändert sich auch erst, wenn man es mal erlebt hat. Insofern kann man sagen, hoffentlich wird es besser. Aus meiner Sicht war das von Anfang an – und das haben wir ja auch im Gesundheitsministerium und in anderen Ministerien gehabt – ein ganz grober Fehler, Verbände, externe Verbände in die Ministerien zu holen, um an Gesetzesvorhaben mitzuarbeiten. Das ist grob fahrlässig gegenüber der Gesellschaft und dem Steuerzahler.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.