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"Transparenz ist keine Stärke der deutschen Verwaltung"

Die E-Government-Expertin Anke Domscheit-Berg sieht in WikiLeaks ein Beispiel für eine Bewegung, die mit den Methoden des Internets einen transparenteren Staat schaffen will. Nur wenn man gut informiert sei, könne man vernünftige Entscheidungen treffen, sagte Domscheit-Berg.

Anke Domscheit-Berg im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 28.07.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Wie moralisch ist es, geheime Dokumente zu veröffentlichen, die das Leben von Soldaten gefährden könnten - für Anke Domscheit-Berg, Vorstandsmitglied bei Government 2.0 Netzwerk Deutschland, stellt sich diese Frage so nicht, denn veröffentlicht werde so oder so. Der Staat solle stärker auf Transparenz setzen. Mein Kollege Jürgen Liminski hat gestern mit ihr gesprochen und sie zunächst gefragt, wie WikiLeaks die Echtheit dieser Dokumente überhaupt feststellen kann.

    Anke Domscheit-Berg: WikiLeaks hat sich dazu schon sehr häufig geäußert. Man hat dort einen Stab aus bis zu 1000 ehrenamtlichen Mitarbeitern, die auf der ganzen Welt verteilt an der Überprüfung dieser Dokumente arbeiten. Das sind Technikexperten, die untersuchen, ob ein Dokument manipuliert worden ist, das sind Juristen, das sind auch Journalisten, die genau so vorgehen mit der Prüfung von Dokumenten, wie es zum Beispiel der "Spiegel" machen würde, wenn ihm anonym ein Dokument zugeschickt wird. Es wird auch bei Behörden oder Unternehmen, die diese Leaks betrifft, einfach angerufen und nachgefragt und um eine Stellungnahme gebeten, auch das gehört zu den klassischen Überprüfungsmaßnahmen von WikiLeaks.

    Liminski: Und wie schützt WikiLeaks seine Quellen?

    Domscheit-Berg: WikiLeaks ist ja ein Service für anonyme Whistleblower, das unterscheidet es von allen möglichen anderen Plattformen, die es gibt, und hat seine technische Infrastruktur und die Prozesse so aufgesetzt, dass es eine Möglichkeit gibt, sicher elektronisch Dokumente einzusenden. Die werden sehr, sehr stark verschlüsselt, über mehrere Länder geroutet, sodass die Herkunft überhaupt nicht mehr feststellbar ist. Dokumente werden aber auch untersucht und bereinigt und alle Hinweise auf die Quelle werden dort gelöscht. Bisher ist auch noch nie eine Quelle durch WikiLeaks aufgeflogen.

    Liminski: Das ist offensichtlich ein Fortschritt dank des Internets und der Netztechnologie. Das wäre früher so nicht möglich gewesen. Schafft diese Technologie auch neue Möglichkeiten der Transparenz und damit der Kontrolle in den Demokratien?

    Domscheit-Berg: Das ist ganz ohne Zweifel so. Es gibt ja eine Bewegung in Richtung Transparenz, man nennt sie Open Government, wenn es sich auf Verwaltungen und Regierungen bezieht. Die versucht, gerade die Methoden des Internets auch zu nutzen, um unter anderem bessere Partizipation auch von Bürgern zu ermöglichen, aber auch die Entscheidungsfindung und die Meinungsbildung in der politischen Elite selbst qualitativ hochwertiger zu machen. Nur wenn man gut informiert ist, kann man ja vernünftige Entscheidungen treffen.

    Liminski: Sie sagen, es gibt eine Bewegung. Wie schlägt sich das nieder, wo gibt es das? Können Sie da konkrete Beispiele nennen?

    Domscheit-Berg: Eine besondere Ausprägung dieser Bewegung ist das, was man Open Data nennt. Das bezieht sich darauf, dass alle mit Steuergeldern ja gesammelten Daten, die sich in öffentlicher Hand befinden und keine Personen betreffen, an einer zentralen Stelle maschinenlesbar und kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Man kann im Prinzip auch sagen: Man möchte einen gläsernen Staat oder einen maschinenlesbaren Staat, im Gegensatz dazu, dass man das bei Bürgerseite natürlich gerade nicht will. Diese offenen Daten, die werden in vielen Ländern auf der Welt schon genauso bereitgestellt. Das gibt es in den USA, in England, in Neuseeland, auch viele Städte machen das wie Washington oder Vancouver zum Beispiel. In Deutschland gibt es das noch nicht. Da bildet sich dann Transparenz von unten, indem zum Beispiel Nichtregierungsorganisationen www.offenedaten.de als Plattform bereitgestellt haben und dort öffentliche Daten sammeln, um sie alternativ bereitzustellen.

    Liminski: Mehr Transparenz, bessere Kontrolle - könnte man positiv gewendet auch sagen, dadurch entstehen auch mehr Möglichkeiten der Partizipation oder der Basisdemokratie.

    Domscheit-Berg: Das ist ganz richtig so. Ohne diese Daten oder auch transparente Entscheidungsprozesse oder transparente Ergebnisse staatlichen Handelns kann ich sogar ja gar nicht richtig gut beteiligen, weil Sie sich nicht vernünftig eine Meinung bilden können zu bestimmten Sachverhalten. Ich kann aber auch Bürger einbeziehen, um bestimmte Problematiken aufzudecken. Da gibt es ein sehr schönes Beispiel aus England, da gab es ja den Spesenskandal im Abgeordnetenhaus, und man hat diese Tausende von Spesenbelegen, die hat der "Guardian" einfach ins Internet gestellt und hat die Bürger in England darum gebeten, mal drüberzugucken, um nach Fällen von Betrug zu suchen. Man kann hier also sagen: Transparenz bringt Obskures ans Tageslicht. Gute Gewissen haben nichts zu verbergen und schwarze Schafe verstecken sich im Dunkeln. Und Bürger können dazu beitragen, hier Licht in das Dunkel zu bringen.

    Liminski: Leistet man damit nicht auch vielleicht eine Art von Denunziation Vorschub?

    Domscheit-Berg: Ich finde das sehr schade, dass wir in Deutschland keinen positiven Begriff haben, so wie es das im Englischen mit dem Begriff Whistleblower gibt.

    Liminski: Können Sie den Begriff etwas übersetzen?

    Domscheit-Berg: Also, Whistleblower lässt sich nicht direkt übersetzen, sondern nur beschreiben, das sind also positiv besetzte Geheimnisverräter. Die sind ..., in der Regel folgen sie ihrem eigenen Gewissen, die decken Korruptionsfälle auf, Verbrechen auf, Folterfälle auf, aber auch bestimmte Fakten mit öffentlichem Interesse wie zum Beispiel das, was man als wahres Gesicht des Krieges bezeichnet oder auch zum Beispiel den Toll-Collect-Vertrag, der ja bei WikiLeaks veröffentlicht worden ist. Whistleblower in Deutschland werden manchmal als Denunzianten bezeichnet, der Begriff ist völlig anders besetzt, völlig anders konnotiert, was sehr schade ist, weil hier geht es tatsächlich um die Aufklärung im positiven Sinn.

    Liminski: Aber hat die Transparenz nicht auch ihre Grenzen? Im Fall von Geheimdokumenten wie jetzt bei WikiLeaks spielt ja auch die Verantwortung derjenigen eine Rolle, die diese Dokumente veröffentlichen.

    Domscheit-Berg: Das ist richtig. Hier muss man Rechenschaft auch vor dem eigenen Gewissen ablegen. Es ist aber schon so, dass hier eine gesellschaftliche Debatte in der Informationsgesellschaft neu und intensiver geführt werden muss, dass man sich überlegt: Wer hat Informationshoheit, welche Daten sind öffentlich, was ist überhaupt geheim und was soll geheim sein? Man hat ja hier zum Beispiel bei der Veröffentlichung der afghanischen Kriegsprotokolle argumentiert, dass keine Neuigkeiten veröffentlicht worden sind, gleichzeitig aber auch gesagt, dass Sicherheitsbedürfnisse Deutschlands oder auch der Vereinigten Staaten verletzt worden sind. Das ist für mich ja schon ein Widerspruch. Und wenn auch Mitglieder im Parlament in Deutschland, unter anderem der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, sagen, das sind Informationen, die sie nicht hatten, aber hätten haben müssen, dann zeigt sich hier ganz deutlich ein Transparenzdefizit, das wir in Deutschland haben. Transparenz ist keine Stärke der deutschen Verwaltung.