
Christiane Kaess: Knut Fleckenstein von der SPD ist im Europaparlament Vorsitzender der Delegation im Ausschuss für parlamentarische Kooperation EU-Russland. Er führt gerade Gespräche mit Duma-Abgeordneten in Moskau. Dort habe ich mit ihm vor etwa einer Stunde gesprochen. Die Duma hat ja mit überwältigender Mehrheit für die Annexion der Krim gestimmt. Ich habe Knut Fleckenstein zuerst gefragt, ob sich diese Haltung in den Gesprächen, die er führt, widerspiegelt.
Knut Fleckenstein: Ja, das spiegelt sich weder. Da ist es sehr schwierig, mit meinen Kollegen zu sprechen. Wir kommen da mit Sicherheit nicht auf einen Nenner. Man muss natürlich wissen, dass das russische Volk in dieser Frage sehr geeint ist, sowohl die Russen auf der Krim, als auch in Russland, und es wird mehr oder weniger als eine patriotische Tat angesehen und man findet nur sehr wenige Kollegen, die leise, aber doch ein bisschen kritisch auch auf das gucken, was dort geschehen ist.
Kaess: Schauen wir zuerst auf die Mehrzahl. Sie haben gesagt, Sie kommen nicht auf einen Nenner. Was konkret sagen Ihnen Ihre Gesprächspartner?
Fleckenstein: Na ja, es ist in diesem Punkt nicht viel neues zu berichten. Es sind immer wieder die falschen Vergleiche mit dem Kosovo, es ist immer wieder die Gefahr, die gesehen wurde oder vermutet wurde, dass rechte Kräfte die russischen Menschen in der Ukraine bedrohen, es ist dieses unsägliche Gesetz, das Gott sei Dank nie in Kraft getreten ist, was die russische Sprache angeht, als Amtssprache.
Vergleich mit dem Kosovo hinkt "von vorne bis hinten"
Kaess: Wie reagieren Sie auf diese ja in der Tat bekannten Argumente?
Fleckenstein: Na ja, mit den in der Tat bekannten Gegenargumenten, dass ein Vergleich mit dem Kosovo wirklich, um es nett zu formulieren, von vorne bis hinten hinkt.
Kaess: Das sagen Sie so deutlich in den Gesprächen?
Fleckenstein: Ja, selbstverständlich, weil da darf es auch keine zwei Meinungen geben. Das was dort geschehen ist, ist aus unserer Sicht völkerrechtswidrig und hat mit der Ordnung, die wir uns nach dem Zweiten Weltkrieg alle zusammen gegeben haben, wie man solche Probleme bespricht und vielleicht auch löst, gar nichts zu tun.
Kaess: Sie haben angedeutet, dass es aber auch Kritiker gibt. Was sagen die, oder worin besteht die Kritik?
Fleckenstein: Na ja, es gibt einige wenige, die wohl zugeben, dass nach internationalem Recht, ich sage es mal vorsichtig, so wie sie es auch formulieren, man das unterschiedlich sehen kann. Aber letztlich von dem Ergebnis her stellt das keiner infrage. Die Krim ist ein Teil von Russland.
Kaess: Ich nehme jetzt mal an, Herr Fleckenstein, das sind nicht Ihre ersten Gespräche in Moskau. Können Sie jetzt feststellen in der derzeitigen Situation, dass da eine größere Kluft ist als vorher?
Fleckenstein: Ja, natürlich ist da eine größere Kluft. Aber ich sehe auch zumindest bei meinen Kollegen Ansätze, wenn man nach vorne schaut, dass sie ernsthaft darüber nachdenken, wie man auf diplomatischem Verhandlungswege sozusagen andere Probleme, die es gibt, lösen kann. Die Frage, wie man denn beispielsweise mit russischen Menschen in der Ukraine, in den anderen Gebieten außerhalb der Krim umgeht, da haben sie hier konkrete Vorstellungen, ...
Kaess: Welche sind das?
Fleckenstein: ..., die wahrscheinlich sich weitgehend decken mit denen der Menschen dort, dass es eine Art Schutz der Minderheitenrechte geben muss, dass es vielleicht eine Art föderales Regierungssystem in der Ukraine geben könnte. Das ist die Frage, wie die neue Verfassung aussieht. Ein föderaler Aufbau ist da ein ganz wichtiger Punkt. Es ist die Frage, ob die Entwaffnung der überwiegend ja rechten Truppen, die es dort im Lande gibt, gelingt, und man sieht schon, dass die ukrainische Regierung zumindest begonnen hat, daran ja auch zu arbeiten.
Eine eigene Verfassung für die Krim?
Kaess: Sehen die Abgeordneten umgekehrt, dass dieser Schutz für Minderheiten auch für diejenigen auf der Krim gelten muss?
Fleckenstein: Ja. Ich kann jetzt nur wiedergeben, was ich gehört habe, dass die Krim eine eigene Verfassung bekommen soll als Gebiet, natürlich in Anlehnung an die russische Verfassung, es drei Amtssprachen geben soll, Ukrainisch, Russisch und Tatarisch. Ich bin gespannt, ob das auch alles so kommt. Wenn es so kommt, wäre das ein ganz gutes Zeichen auf jeden Fall.
Kaess: Herr Fleckenstein, haben Sie in den Gesprächen irgendwo heraushören können, wie die Haltung gegenüber der Ostukraine ist und ob es konkrete Anzeichen gibt, dass Moskau dort auch eingreifen würde?
Fleckenstein: Mein Eindruck ist, dass Moskau das nicht plant und auch nicht möchte. Mein Eindruck ist, dass sie im Moment nach Wegen suchen, auf dem Verhandlungswege ihren russischen Menschen, also Bewohnern der Ukraine, Hilfestellung zu geben, dass sie in einer föderalen Ukraine sicher und gut leben können.
Kaess: Haben Sie in den Gesprächen auch ein Bedauern feststellen können von russischer Seite, dass man international isoliert wird?
Fleckenstein: Das höre ich so nicht oder nur ganz, ganz selten. Ich glaube, es gibt hier einige Illusionen, was diese Frage der Isolierung angeht, weil man mehr nach Osten guckt, also in andere Richtungen und nicht in die Europäische Union. Aber es ist de facto merkbar, weil der Wille, den Faden nicht ganz abreißen zu lassen, auch zu den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, ist ja schon aus wirtschaftlichen Gründen, aber nicht nur deshalb hier ein Thema.
Kaess: Aber auf welcher Ebene stellt man sich denn vor, aus dieser Isolation jetzt herauszukommen?
Fleckenstein: Na ja, ich glaube, das kann nur geschehen, indem man sich aktiv und konstruktiv einbringt dort, wo es erwünscht wird, dass die EU, Russland, die USA und andere mitwirken, sich aktiv mit einbringt, wenn es um die Lösung der Probleme geht, die die Ukraine jetzt vor sich hat: in erster Linie eine vernünftige Verfassung zu haben, in der sich alle Menschen wiederfinden, die dort leben.
Sanktionen als Auszeichnung
Kaess: Welche Reaktionen auf die bisherigen Sanktionen haben Sie gehört? Es gab ja bisher auch viel Hohn.
Fleckenstein: Ja, das kann ich bestätigen. Ich glaube nicht, dass die Sanktionen wirklich alle, die dort auf der Liste sich wiederfinden, wirklich trifft. Es ist ein bisschen so, dass das wie eine Auszeichnung auch wirkt für Patriotismus sozusagen, und das ist etwas, was ich nicht mag, aber zur Kenntnis nehmen muss.
Kaess: Der nächste wichtige Punkt in den Entwicklungen um die Krim-Krise werden ja die OSZE-Beobachter in der Ukraine sein. Denen hat Moskau zugestimmt, allerdings nicht, sie auch auf die Krim zu lassen. Was haben Ihre Gesprächspartner in dem Zusammenhang gesagt? Wie stehen die dazu?
Fleckenstein: Formal haben Sie es eben schon wiedergegeben, wie sie dazu stehen. Es gibt schon vereinzelt auch Kollegen, die sagen, na ja, wenn die ihre Arbeit in der Ukraine ordentlich machen, dann kann man das ja vielleicht auch noch mal erweitern. Aber das ist sehr vage alles.
Kaess: Informationen und Mitteilungen, kann man sagen, aus Moskau von Knut Fleckenstein. Er ist SPD-Politiker und er ist im Europaparlament Vorsitzender der Delegation im Ausschuss für parlamentarische Kooperation EU-Russland. Danke für das Gespräch heute Morgen.
Fleckenstein: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.