Behler: Wir haben das bereits getan über eine Rechtsverordnung. Wir haben die Möglichkeit geschaffen, in 12 oder in 13 Jahren das Gymnasium zu durchlaufen, darum geht es ja. Und ich halte überhaupt nichts davon, aus dieser Frage ein Dogma zu machen - weder für 13 Jahre, noch für 12 Jahre. Ich halte es für richtig, dass die, die es in 12 Jahren schaffen können, das in 12 Jahren machen und die, die ein Jahr länger brauchen, das in 13 Jahren machen.
Gerner: Warum sind Sie gegen eine generelle Reduzierung auf 12 Jahre bis zum Abitur?
Behler: Weil ich glaube, dass wir es uns nicht leisten können, irgendwelche Potentiale zu verschenken. Es gibt Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichem Entwicklungs- und Lerntempo, und das sollen wir berücksichtigen. Und wir können es uns - glaube ich - nicht leisten in der Bundesrepublik Deutschland, einfach hier Reserven nicht auszunutzen oder zu verschenken. Und deshalb bin ich dafür, beide Möglichkeiten zu eröffnen und dann dafür Sorge zu tragen, dass beide Möglichkeiten auch real werden.
Gerner: Haben Sie Sorge, dass ein Niveauverfall einhergehen würde mit 12 Jahren Abitur?
Behler: Ich glaube, die Schulen müssen das entscheiden, und zwar, jeweils zu schauen, wie ist das bei unseren Schülergruppen und bei unseren Schülerinnen und Schülern. Das scheint mir wichtig zu sein - so, dass die, die es wirklich schneller können, es auch schneller machen.
Gerner: Was halten Sie denn von dem Argument, dass der Ex-Bundespräsident Roman Herzog eingebracht hat, dass 13 Jahre Abitur gestohlene Lebenszeit sei und minus 1 Jahr sei, den jungen Menschen ein Jahr zurückzugeben - auch mit Perspektive auf das Berufsleben?
Behler: Ich glaube, das Argument trägt letztlich nicht, weil man sich ja anschauen muss, dass nicht jedes Kind gleich ist. Und das wissen auch alle Eltern. Und deshalb muss es darauf ankommen, dass wir Bildungsverläufe individualisieren, das heißt, dass wir Angebote haben, die auf die einzelnen und ihre Fähigkeiten zugeschnitten sind. Überflüssige Zeit in der Schule zu verbringen - soweit stimme ich dem ehemaligen Bundespräsidenten ja auch zu -, das ist nicht vertretbar. Aber wir haben ja auch bis heute viele, die es nicht in 13 Jahren schaffen, sondern in 14 Jahren, und die wollen wir ja auch nicht vom Abitur fernhalten. Und daran sehen wir doch, dass es durchaus unterschiedliche Bedürfnisse gibt.
Gerner: Was ist denn mit dem Argument, junge Leute in Deutschland sind zu alt, wenn sie auf den Arbeitsmarkt kommen?
Behler: Ich bin auch dafür, dass man das Eintrittsalter in den Beruf deutlich senkt. Aber die meiste Zeit wird bei uns in überlangen Studien verbracht. Deshalb ist mir ja so wichtig, dass wir die Studienreform voranbringen. Aber was die Schule angeht, gilt auch da: Wir haben ja auch eine Fachhochschulreife in der Bundesrepublik Deutschland - zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen -, die wir nach 12 Jahren ablegen. Und das ist das, was international meist als Vergleichspunkt herangezogen wird. In vielen anderen Ländern gibt es keine allgemeine Hochschulreife, wie wir sie hier haben, sondern eine fachgebundene Hochschulreife. Dafür braucht man dann nicht soviel an Allgemeinbildung fundiert über Schulen vermitteln. Dann muss man aber in der Tat auch sagen: Ich gehe ab von einer allgemeinen Hochschulreife; das fände ich aber wiederum falsch.
Gerner: Macht es denn Sinn, am Einschulungsalter zu rütteln? Sechs bis sieben Jahre sei zu hoch, sagt Ihre Kollegin Hohlmeier aus München; die FDP spricht sich für eine Schulpflicht für Fünfjährige bereits aus.
Behler: Nicht als Pflichtnummer, sondern auch da abhängig vom Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Auch da bin ich gegen jedes Dogma. Man kann nicht einfach sagen, jetzt ist der Stichtag, und dann müssen alle Kinder in die Schule, sondern man muss dann . . .
Gerner: . . . aber fünfjährige Kann-Kinder können Sie sich vorstellen?
Behler: Aber selbstverständlich. Wir haben deshalb auch den Stichtag, den es früher gab, schon vor zwei Jahren in Nordrhein-Westfalen beseitigt, so dass ganz bewusst auch Kinder vor Ablauf des sechsten Jahres in die Schule gehen können. Das hängt davon ab, wie weit die Kinder in ihrer Entwicklung sind.
Gerner: Sie haben gesagt, Frau Behler, Nordrhein-Westfalen eröffnet bereits jetzt die Möglichkeiten für 12 oder 13 Jahre zum Abi. Wie viel Prozent der Schulen praktizieren das Abitur bis zum 13. Jahr und wie viele bis zum 12. Jahr?
Behler: Nachdem, was wir bisher wissen, werden das um die 20 Prozent unserer Gymnasien sein, die ein solches Angebot machen . . .
Gerner: . . . 12 Jahre? . . .
Behler: Ja, in der Tat.
Gerner: Und wenn sich das durchsetzen sollte als überzeugend unter den genannten Kriterien der Befürworter?
Behler: Ja, dann wird es sich von alleine entwickeln, denn die Gymnasien geben dieses Angebot an ihren Schulen vor, und ich meine, dass da auch Eltern und Schulen ein Recht haben, mitzuentscheiden, wie dieses Angebot aussehen soll. Ich setze darauf, dass die einzelne Schule das entscheidet - dort mit den Lehrern und den Eltern jeweils gesprochen wird und dass dann die Möglichkeiten so genutzt werden, dass das dem einzelnen Kind, dem Jugendlichen zugute kommt.
Gerner: Was sagen denn die Lehrer und die Eltern bisher aus Ihrer Erfahrung - bezogen auf die zwölf Jahre?
Behler: Sie beginnen ja jetzt damit, sie können nicht im Rückblick schon Erfahrungen vertreten, sondern ich stelle nur fest, dass viele Eltern es abstrakt in Ordnung finden, aber konkret für ihr eigenes Kind dann sehr wohl Bedenken haben - und es nicht so ist, dass alle Eltern einen solchen Weg für ihr Kind wollen. Und ich denke, dass muss man dann auch akzeptieren. Man muss für die unterschiedlichen Gruppen unterschiedliche Angebote haben.
Gerner: Es wird ja immer verlangt, mehr Mathematik, mehr Fremdsprachen, mehr soziale Kompetenz den Schülern beizubringen. Geht das, wenn gleichzeitig die Schulzeit verkürzt werden soll?
Behler: Es ist so, dass die Anforderungen immer weiter steigen und dass oft dann auch immer weiter draufgelegt werden soll. Das verträgt sich nicht miteinander. Aber ich glaube, es gibt eine große Übereinstimmung darin, dass in der Schule eine gute Allgemeinbildung, gutes Grundlagenwissen und methodische Fähigkeiten vermittelt werden können. Das kann man in 12 und in 13 Jahren vermitteln - selbstverständlich. Aber das hängt - ich wiederhole das da auch noch mal - sicher für einzelne Kinder und Jugendliche auch vom Leistungsstand und vom individuellem Entwicklungsvermögen ab. Man kann jedenfalls nicht immer einfach oben drauflegen und gleichzeitig die Zeiten verkürzen; die Entwicklungszeiträume sind halt unterschiedlich. Und ich möchte nicht gerne an den Punkt kommen, wo man über das Vehikel einer 12jährigen Schulzeit für alle verpflichtend hinterher dann dahin kommt, tatsächlich dann die Qualitätsstandards zu senken. Das fände ich in der Tat einen falschen Weg.
Gerner: Qualität haben Sie angesprochen - Qualität im Unterricht. Bildungsministerin Edelgard Bulmahn hat vorgeschlagen, Lehrer zukünftig nach Leistung zu bezahlen. Sind Sie dafür?
Behler: Ja, das ist ja keine neue Diskussion, sie wird seit Jahren geführt. Und ich finde im Prinzip einen solchen Ansatz auch richtig. Es darf aber nicht dazu führen, dass Lehrer in ihrer Unabhängigkeit letztlich gefährdet werden. Denn das muss man auch sehen: Lehrer haben eine sehr schwierige Arbeit zu leisten, und Sie müssen in der Lage sein, unabhängig von möglichen Interessengruppen zum Beispiel Beurteilungen zu formulieren. Und deshalb halte ich nichts davon - wie es manchmal so durchklang -, dass Schüler sozusagen mit entscheiden können über den Geldbeutel und damit das Einkommen ihres Lehrers. Das geht so nicht.
Gerner: Gabriele Behler, Ministerin für Schule und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Behler: Ich bedanke mich.
Gerner: Warum sind Sie gegen eine generelle Reduzierung auf 12 Jahre bis zum Abitur?
Behler: Weil ich glaube, dass wir es uns nicht leisten können, irgendwelche Potentiale zu verschenken. Es gibt Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichem Entwicklungs- und Lerntempo, und das sollen wir berücksichtigen. Und wir können es uns - glaube ich - nicht leisten in der Bundesrepublik Deutschland, einfach hier Reserven nicht auszunutzen oder zu verschenken. Und deshalb bin ich dafür, beide Möglichkeiten zu eröffnen und dann dafür Sorge zu tragen, dass beide Möglichkeiten auch real werden.
Gerner: Haben Sie Sorge, dass ein Niveauverfall einhergehen würde mit 12 Jahren Abitur?
Behler: Ich glaube, die Schulen müssen das entscheiden, und zwar, jeweils zu schauen, wie ist das bei unseren Schülergruppen und bei unseren Schülerinnen und Schülern. Das scheint mir wichtig zu sein - so, dass die, die es wirklich schneller können, es auch schneller machen.
Gerner: Was halten Sie denn von dem Argument, dass der Ex-Bundespräsident Roman Herzog eingebracht hat, dass 13 Jahre Abitur gestohlene Lebenszeit sei und minus 1 Jahr sei, den jungen Menschen ein Jahr zurückzugeben - auch mit Perspektive auf das Berufsleben?
Behler: Ich glaube, das Argument trägt letztlich nicht, weil man sich ja anschauen muss, dass nicht jedes Kind gleich ist. Und das wissen auch alle Eltern. Und deshalb muss es darauf ankommen, dass wir Bildungsverläufe individualisieren, das heißt, dass wir Angebote haben, die auf die einzelnen und ihre Fähigkeiten zugeschnitten sind. Überflüssige Zeit in der Schule zu verbringen - soweit stimme ich dem ehemaligen Bundespräsidenten ja auch zu -, das ist nicht vertretbar. Aber wir haben ja auch bis heute viele, die es nicht in 13 Jahren schaffen, sondern in 14 Jahren, und die wollen wir ja auch nicht vom Abitur fernhalten. Und daran sehen wir doch, dass es durchaus unterschiedliche Bedürfnisse gibt.
Gerner: Was ist denn mit dem Argument, junge Leute in Deutschland sind zu alt, wenn sie auf den Arbeitsmarkt kommen?
Behler: Ich bin auch dafür, dass man das Eintrittsalter in den Beruf deutlich senkt. Aber die meiste Zeit wird bei uns in überlangen Studien verbracht. Deshalb ist mir ja so wichtig, dass wir die Studienreform voranbringen. Aber was die Schule angeht, gilt auch da: Wir haben ja auch eine Fachhochschulreife in der Bundesrepublik Deutschland - zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen -, die wir nach 12 Jahren ablegen. Und das ist das, was international meist als Vergleichspunkt herangezogen wird. In vielen anderen Ländern gibt es keine allgemeine Hochschulreife, wie wir sie hier haben, sondern eine fachgebundene Hochschulreife. Dafür braucht man dann nicht soviel an Allgemeinbildung fundiert über Schulen vermitteln. Dann muss man aber in der Tat auch sagen: Ich gehe ab von einer allgemeinen Hochschulreife; das fände ich aber wiederum falsch.
Gerner: Macht es denn Sinn, am Einschulungsalter zu rütteln? Sechs bis sieben Jahre sei zu hoch, sagt Ihre Kollegin Hohlmeier aus München; die FDP spricht sich für eine Schulpflicht für Fünfjährige bereits aus.
Behler: Nicht als Pflichtnummer, sondern auch da abhängig vom Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Auch da bin ich gegen jedes Dogma. Man kann nicht einfach sagen, jetzt ist der Stichtag, und dann müssen alle Kinder in die Schule, sondern man muss dann . . .
Gerner: . . . aber fünfjährige Kann-Kinder können Sie sich vorstellen?
Behler: Aber selbstverständlich. Wir haben deshalb auch den Stichtag, den es früher gab, schon vor zwei Jahren in Nordrhein-Westfalen beseitigt, so dass ganz bewusst auch Kinder vor Ablauf des sechsten Jahres in die Schule gehen können. Das hängt davon ab, wie weit die Kinder in ihrer Entwicklung sind.
Gerner: Sie haben gesagt, Frau Behler, Nordrhein-Westfalen eröffnet bereits jetzt die Möglichkeiten für 12 oder 13 Jahre zum Abi. Wie viel Prozent der Schulen praktizieren das Abitur bis zum 13. Jahr und wie viele bis zum 12. Jahr?
Behler: Nachdem, was wir bisher wissen, werden das um die 20 Prozent unserer Gymnasien sein, die ein solches Angebot machen . . .
Gerner: . . . 12 Jahre? . . .
Behler: Ja, in der Tat.
Gerner: Und wenn sich das durchsetzen sollte als überzeugend unter den genannten Kriterien der Befürworter?
Behler: Ja, dann wird es sich von alleine entwickeln, denn die Gymnasien geben dieses Angebot an ihren Schulen vor, und ich meine, dass da auch Eltern und Schulen ein Recht haben, mitzuentscheiden, wie dieses Angebot aussehen soll. Ich setze darauf, dass die einzelne Schule das entscheidet - dort mit den Lehrern und den Eltern jeweils gesprochen wird und dass dann die Möglichkeiten so genutzt werden, dass das dem einzelnen Kind, dem Jugendlichen zugute kommt.
Gerner: Was sagen denn die Lehrer und die Eltern bisher aus Ihrer Erfahrung - bezogen auf die zwölf Jahre?
Behler: Sie beginnen ja jetzt damit, sie können nicht im Rückblick schon Erfahrungen vertreten, sondern ich stelle nur fest, dass viele Eltern es abstrakt in Ordnung finden, aber konkret für ihr eigenes Kind dann sehr wohl Bedenken haben - und es nicht so ist, dass alle Eltern einen solchen Weg für ihr Kind wollen. Und ich denke, dass muss man dann auch akzeptieren. Man muss für die unterschiedlichen Gruppen unterschiedliche Angebote haben.
Gerner: Es wird ja immer verlangt, mehr Mathematik, mehr Fremdsprachen, mehr soziale Kompetenz den Schülern beizubringen. Geht das, wenn gleichzeitig die Schulzeit verkürzt werden soll?
Behler: Es ist so, dass die Anforderungen immer weiter steigen und dass oft dann auch immer weiter draufgelegt werden soll. Das verträgt sich nicht miteinander. Aber ich glaube, es gibt eine große Übereinstimmung darin, dass in der Schule eine gute Allgemeinbildung, gutes Grundlagenwissen und methodische Fähigkeiten vermittelt werden können. Das kann man in 12 und in 13 Jahren vermitteln - selbstverständlich. Aber das hängt - ich wiederhole das da auch noch mal - sicher für einzelne Kinder und Jugendliche auch vom Leistungsstand und vom individuellem Entwicklungsvermögen ab. Man kann jedenfalls nicht immer einfach oben drauflegen und gleichzeitig die Zeiten verkürzen; die Entwicklungszeiträume sind halt unterschiedlich. Und ich möchte nicht gerne an den Punkt kommen, wo man über das Vehikel einer 12jährigen Schulzeit für alle verpflichtend hinterher dann dahin kommt, tatsächlich dann die Qualitätsstandards zu senken. Das fände ich in der Tat einen falschen Weg.
Gerner: Qualität haben Sie angesprochen - Qualität im Unterricht. Bildungsministerin Edelgard Bulmahn hat vorgeschlagen, Lehrer zukünftig nach Leistung zu bezahlen. Sind Sie dafür?
Behler: Ja, das ist ja keine neue Diskussion, sie wird seit Jahren geführt. Und ich finde im Prinzip einen solchen Ansatz auch richtig. Es darf aber nicht dazu führen, dass Lehrer in ihrer Unabhängigkeit letztlich gefährdet werden. Denn das muss man auch sehen: Lehrer haben eine sehr schwierige Arbeit zu leisten, und Sie müssen in der Lage sein, unabhängig von möglichen Interessengruppen zum Beispiel Beurteilungen zu formulieren. Und deshalb halte ich nichts davon - wie es manchmal so durchklang -, dass Schüler sozusagen mit entscheiden können über den Geldbeutel und damit das Einkommen ihres Lehrers. Das geht so nicht.
Gerner: Gabriele Behler, Ministerin für Schule und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Behler: Ich bedanke mich.