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Trends und neue Verhaltensformen

    Liminski: Die berühmtesten Trendforscher der Republik, die fünf Weisen oder Begutachter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung legen jährlich ihre Konjunkturprognosen vor. Diese Berichte wurden vor ein paar Jahren einmal abgeglichen mit der Neujahrsfrage des Instituts Allensbach über Hoffnungen, Befürchtungen und Erwartungen der Bürger, und beide Reihen wiederum wurden mit den tatsächlichen Ergebnissen verglichen, und siehe da: die Meinungen der Bürger waren genauer als die Prognosen der Wissenschaftler. Jetzt ergibt sich die Frage: Sind Trends nur Gemunkel oder seriöse Wissenschaft? Dazu begrüße ich am Telefon den Trendforscher, Professor Peter Wippermann, Leiter des Trendbüros in Hamburg. Guten Morgen.

    Wippermann: Guten Morgen.

    Liminski: Herr Wippermann, es gibt zweifellos Trends. Einer der ganz aktuellen, der eigentlich schon wieder keiner mehr ist, ist das Skating. Es gibt 12 Millionen Inline-Skater. Ihre Fahrweise und -bahnen wurden nun höchstrichterlich festgelegt. Was ist ein Trend? Stimmt das Wort des Soziologen Klaus Offe, wonach die Irritation zugenommen hat, seit wir bei jeder Trendaussage damit rechnen müssen, dass sie auf das Gegenteil weist.

    Wippermann: Ich glaube, man muss verstehen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sich sehr schnell wandelt, dass wir aber in unserem eigenen Leben diesen Wandel selbst bestimmen wollen oder nicht tatsächlich so spüren wollen, wie er statt findet. Trends sind sozusagen Anpassungsstrategien des Einzelnen, aber auch der Gesellschaft, wie sie die Veränderung verarbeitet. Wenn Sie das Stichwort Inline-Skating nehmen, kann man ja sehr schön sehen: Eigentlich bewegen wir uns zu wenig. Das Inline-Skating ist eine spielerische Art, wieder Bewegung in die Gesellschaft zurückzukriegen, also etwas Sinnvolles mit etwas Lustvollem zu vereinigen. Das kann man als Grundrichtung unserer Gesellschaft annehmen. Man muss sich auch zurückversetzen in eine Zeit, wo es noch Traditionen gab, wo man bestimmte Dinge gemacht hat, weil es die Generation vor einem oder vor dieser auch gemacht hat. Das ist eigentlich verloren gegangen. Wir wissen nicht automatisch, was richtig und falsch ist. Wir orientieren uns an Gleichgesinnten und das lässt Trends entstehen.

    Liminski: Gibt es auch Trends im Zusammenhang mit der Zuwanderung, denn der Motor ist der Ethnolook. Gilt das auch für das Denken?

    Wippermann: Ich glaube, wir leben in einer Welt, die global aufgestellt ist - denken Sie an die Musikkultur, denken Sie an die Technologie der Computer und Handy. Wir sind viel weiter im technologischen und ökonomischen Bereich als im sozialen und im kulturellen Bereich. Und die Diskussion der Zuwanderung kann man eigentlich nur verstehen, wenn wir in die Zahlen gucken, wie viele Menschen geboren werden, wie viele sterben und wie lange wir leben. Dann erleben wir nämlich, dass wir eine schrumpfende Nation sind, und natürlich muss ein Land ein Interesse daran haben, vital zu bleiben und insofern brauchen wir Leute von außen. Der Ethnolook ist sozusagen eine modische kleine Attitüde, uns an diese Vorstellung zu gewöhnen.

    Liminski: Noch einmal die Frage: Gibt es Trends auch im Zusammenhang mit der Zuwanderung, die sich da herausbilden?

    Wippermann: Man kann es in der politischen Diskussion im Moment sehen. Im Prinzip nutzen die Politiker im Bereich des Selbstmarketings die Angst vor Fremden, aber tatsächlich müssen wir uns daran gewöhnen. Wir werden in drei Jahren 30 Millionen von Menschen haben, die in Deutschland geboren wurden, die unter 40 sind, aber 50 Millionen haben, die über 60 sind, und wenn wir in die aktuelle Tageszeitung gucken, sehen wir auch das Problem: Die Älteren, wie Iris Berben schafft es gerade mal innerhalb von drei Jahren einmal ihren Enkel zu sehen, das heißt, wir sind eine so egozentrische ältere Gesellschaft geworden - man kann von einer Gerontokratie sprechen, also einer Herrschaft der Alten, dass sich völlig neue Verhaltensformen in der Gesellschaft herausbilden werden.

    Liminski: Lässt sich das auch in konkreten Trends festmachen?

    Wippermann: Ja, Sie können sehen, dass sich der Gesundheitsbereich und der Schönheitsbereich verbunden haben. Das Thema Anti-Aging, also die Devise - nie wieder alt - ist ein neues großes Wirtschaftsfeld, das entsteht. Selbstverantwortung eben dafür zu übernehmen, möglichst lange fit und jung zu bleiben, das ist das - wenn Sie genauer hingucken -, was Sie auch wieder in dieser Inline-Skater-Diskussion finden.

    Liminski: Können Sie uns ein paar andere kommende Trends verraten?

    Wippermann: Ich glaube, dass wir in einer Gesellschaft, in der jeder alleine bestimmen kann, was er machen möchte und was er nicht machen möchte, lernen müssen, wieder verlässliche Kopplungsideen oder Regeln herauszubilden - die Amerikaner nennen das "Commitment", also freiwillige Selbstverpflichtung. Ich glaube, das ist das große Stichwort, was uns in der nächsten Zeit beschäftigen wird. Denken Sie an die ganzen Skandale über Schmiergelder und Korruption - in Deutschland ja etwas, was wir eher immer in ferne Länder projiziert hatten, und plötzlich ist es bei uns. Moral ist eigentlich verschwunden. Den eigenen Vorteil nutzen, das ist eigentlich das, was wir bei uns beobachten können. Aber eine Gesellschaft muss verlässliche Partnerschaften möglich machen, und sei es nur auf Zeit. Insofern bin ich der Meinung, dass eine der großen Trends sein wird, eine Art "Instant-Vertrauen" oder Sofortvertrauen zu entwickeln, eine Verlässlichkeit, und sei sie nur für eine begrenzt vereinbarte Dauer.

    Liminski: Kann sich diese freiwillige Selbstverpflichtung in einer Renaissance des Ehrenamtes niederschlagen?

    Wippermann: Das glaube ich nicht. Wir sind weit vorangeschritten in einer Gesellschaft, die sich an ökonomischen Leitlinien orientiert, also, man will einen Handel haben, Vorteile auf beiden Seiten, und ich glaube, das ist das Entscheidende. Die moralischen Leitlinien der letzten 30 Jahre sind mindestens seit fünf Jahren vorbei. Man kann nicht wieder zurückgehen, aber man wird auf einer neuen Ebene auch einen Ausgleich zwischen denjenigen, die sehr stark sind, die sich schnell an eine liberalisierte, globale Wirtschaft, an neue Technologien, an einen Überhang einer älter werdenden Gesellschaft anpassen können und denjenigen, denen es extrem schwer fällt.

    Liminski: Sie haben Trend eingangs mit dem Wort Anpassungsstrategien übersetzt. Sind denn Trendforscher nun wirklich diese Leuchttürme, um dem Einzelnen, insbesondere den Jugendlichen eine Orientierung zu geben, oder ist das Ganze nicht wieder, wie der Wirtschaftswissenschaftler Hayek sagt, eine Anmaßung von Wissen, oder wie der Direktor des Instituts für Psychologie und Soziologie an der Universität Hannover, Professor Rust, meint, nur die semantische Politur des Selbstverständlichen.

    Wippermann: Ich glaube, es ist vor allem eine sehr pragmatische Lösung, zu verstehen, was jetzt im Moment passiert. Wir haben alle einen gewissen blinden Fleck, um zu begreifen, was die Gegenwart ist. Wir machen uns enorme Vorstellungen, wie die Zukunft sein wird und erinnern uns gerne an die Vergangenheit. Die Amerikaner haben daraus eben das Angebot der Trendforschung gemacht. Sie entspricht sozusagen dem Bedürfnissen der Wirtschaft und ist eine sehr pragmatische Form, Veränderungen zu kartieren, zu benennen und sie letzten Endes wieder ökonomisch einzusetzen.

    Liminski: Wir haben noch etwas Zeit für eine letzte Frage: Welche Qualifikationen muss man mitbringen, um sich Trendforscher nennen zu können?

    Wippermann: Also, wir haben diese Idee vor zehn Jahren aus den USA nach Deutschland importiert und auch für ein großes globales Unternehmen als erstes angewandt. Wir arbeiten in einem Team von Soziologen, Wirtschaftswissenschaftlern, Kommunikationswissenschaftlern und Psychologen. Der unterschiedliche Blick auf die Alltagskultur und unsere Gesellschaft so zu analysieren, wie es vielleicht früher Ethnologen in fernen Ländern und Kulturen getan haben, das ist eigentlich das Spannende.

    Liminski: Das war Peter Wippermann, Leiter des Trendbüros in Hamburg. Besten Dank für das Gespräch, Herr Wippermann.

    Link: Interview als RealAudio