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Trendwende im Tierschutz

Ausgerechnet in Niedersachsen, dem Bundesland mit den meisten Massentierhaltungsbetrieben, bewegt sich etwas. Gert Lindemann, seit Januar neuer Landwirtschaftsminister, will das Kürzen von Schnäbeln bei Puten verbieten. Tierschützer hoffen nun auf noch weitere Schritte.

Von Susanne Schrammar | 05.05.2011
    Ein Geflügelstall, wie es ihn in Niedersachsen viele gibt: Zigtausende Hühner oder Puten drängeln auf dem Boden, zwischen ihnen ist kaum Platz. Keines der Tiere hat einen Schnabel, wie die Natur ihn vorsieht: Er ist nicht mehr spitz, sondern leicht gerundet. Gleich am ersten Tag, wenn die Küken geschlüpft sind, wird ihnen die Spitze des Schnabels mit einem Infrarotlaser abgeschnitten. Das, sagt der Präsident des niedersächsischen Landesverbandes der Geflügelwirtschaft, Wilhelm Hoffrogge, sei in Beständen nötig, in denen mehr als 50 Tiere zusammen leben. Sonst würden sie sich zu Tode picken.

    "Es liegt an dem natürlichen Verhalten der Tiere, dass sie also ihre Artgenossen in der Weise nicht mehr erkennen, ob es ein rangniederes Tier ist oder ein ranggleiches Tier oder ein ranghöheres Tier ist und dann werden immer Rangkämpfe geführt. Und um diese Rangkämpfe nicht ausarten zu lassen, deswegen nimmt man den Tieren die kleine Schnabelspitze ab, damit keine Verletzungen auftreten können."

    Schnäbelkürzen verstößt gegen das Tierschutzgesetz, doch Landwirte in Niedersachsen konnten sich bisher großzügige Ausnahmegenehmigungen erteilen lassen. Damit soll bald Schluss sein. Der neue niedersächsische Landwirtschaftsminister Gert Lindemann, CDU, sieht in seinem kürzlich vorgelegten Tierschutzplan vor, bis 2015 die gängige Praxis verbieten zu lassen. Dies fordern Tierschützer wie Maria Groß von der Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung schon seit Jahren. Im Schnabel, erklärt Groß, befände sich nämlich ein für die Tiere wichtiges Tastorgan mit vielen Nerven.

    "Wenn man die Schnabelspitze schneidet, kommt es nicht dem Abschneiden eines abgestorbenen Gewebes gleich, wie bei dem Kürzen von Fingernägeln. Sowohl der Augenblick des Schneidens ist für den Vogel sehr schmerzhaft, aber auch der verbleibende Phantomschmerz behindert und beeinträchtigt den Vogel sein Leben lang."

    Minister Lindemann fühlt sich stärker als seine Vorgänger, die teilweise direkte Verbindungen in die Landwirtschaft hatten, den Verbrauchern verpflichtet und hat deshalb die Trendwende im Tierschutz eingeläutet.

    "Ich möchte, dass Landwirtschaft von Verbrauchern auch akzeptiert wird und das bedeutet, dass dort, wo es Haltungsdefizite gibt, eben auch Veränderungen herbeigeführt werden."

    Doch die Landwirtschaftsverbände sträuben sich. Zum einen fühlen sie sich in ihrer Berufsehre gekränkt. Die Politik überdrehe und vergesse, dass die Landwirte im Tierschutz auch in der Vergangenheit schon einiges getan hätten, sagte der niedersächsische Landvolkpräsident Werner Hilse kürzlich auf einer Veranstaltung. Zum zweiten bezweifeln sie, ob bis 2015 vom Schnäbelkürzen tatsächlich eine Abkehr erfolgen kann. Laut Geflügelpräsident Hoffrogge wäre mit einem Verlust von bis zu 50 Prozent des Bestandes zu rechnen, wenn die Tiere mit spitzen Schnäbeln gehalten würden.

    "Das kann nicht im Sinne des Tierschutzes sein, deswegen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf die Schnäbelbehandlung nicht zu verzichten."

    Zwar wollen einige Landwirte, darunter auch Hoffrogge, einen Modellversuch der Geflügelhaltung ohne Schnäbelkürzen durchführen, doch eine Umsetzung bis 2015 halten viele Verbandsfunktionäre für nicht machbar. Entsprechende Züchtungen etwa bei Puten würden um einiges länger dauern, heißt es. Auch ein weiterer Punkt des Lindemannschen Tierschutzplanes, das Kupieren von Ferkelschwänzen zu verbieten, sei nicht umsetzbar. Landvolkpräsident Hilse tat die Ankündigungen des Ministers gar als "Getöse" ab. Politprofi Lindemann, der vor seinem Amtsantritt mehr als 20 Jahre im niedersächsischen und im Bundeslandwirtschaftsminsterium tätig war, bleibt indes gelassen und gibt sich durchsetzungsstark.

    "Ja, wissen Sie, Lobbys äußern sich gelegentlich ja etwas pointiert und die Realität ist dann meistens eine andere. Ich hab am Anfang gleich gesagt, es wird auch Gruppen geben, die sich möglicherweise einem solchen Verfahren verweigern. Die sollen dann aber durchaus wissen, dass das nicht das Ende des Verfahrens ist, sondern der Beginn, das Verfahren ohne ihre Beteiligung fortzusetzen."