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Treu bis in den Tod

Er heißt "Liebe", ist aber ein Film über das Sterben, der die grundlegenden Fragen zum glücklichen Leben und würdigen Tod zu beantworten versucht. Die beiden über 80-jährigen Schauspieler Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant und die meisterhafte Inszenierung Michael Hanekes machen ihn zu einem Ereignis.

Von Josef Schnelle |
    Der Film heißt "Liebe". Es ist aber ein Film über das Sterben. Langsam, quälend und unerbittlich kommt der Tod daher. Wie Philemon und Baucis aus den "Metamorphosen" von Ovid leben das Musiklehrerehepaar Ann und Georges ein gefühltes ganzes Leben zusammen. Manchmal bekommen sie Besuch von ihrer Tochter. Ihre Pariser Wohnung ist voller Erinnerungsstücke an ein offenbar glückliches gemeinsames Leben. Manchmal frotzeln sie einander noch.

    "Du wirst doch wohl auf Deine alten Tage nicht an Deinem Image rütteln?" – "Na ich wird mich hüten. Was ist denn mein Image?" – "Du bist ein Monster - manchmal."

    Doch dann geschieht etwas. Minutenlang starrt Anne ins Leere, ist nicht ansprechbar. Wenig später kann sie sich an nichts mehr erinnern. Nur dass das Wasser in der Küche noch läuft fällt ihr auf. Georges, der schon so besorgt war, dass er einen Arzt holen wollte, glaubt zunächst an einen schlechten Scherz. Es kommt – wir spüren dass das fast nie vorkommt in dieser Beziehung – fast zu einem Streit.

    "Wo bist Du denn? Du hast das Wasser laufen lassen." – "Sag mal was ist denn? Bist Du vollkommen irre? Soll das ein Witz sein? " – "Wie bitte?" - "Ist das ein Scherz. Soll das ein Scherz sein? Oder was?" – "Was für ein Scherz? Ich versteh kein Wort. Was ist denn das für ein Ton? Was ist los?" – "Anne hör mit diesem Spiel auf. Das ist nicht witzig."

    Bald wird Anne nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt nach Hause kommen. Das Thema ist gesetzt. Die Geburt wirft uns ins Leben. Keiner hat uns gefragt. Doch wie kommen wir wieder hinaus aus einem noch so glücklich gelebten Leben?

    Georges entschließt sich, seine Frau nicht den Krankenhäusern und Apparaten zu überlassen, sondern sie bis zur letzten Minute in den Tod zu begleiten. Er will ihr ein Sterben ermöglichen, dass ihrer langjährigen Ehe würdig ist. An dieser Stelle versteht man dann auch, dass der Film "Liebe" heißt. Denn die will Michael Haneke, eigentlich nicht bekannt für sanfte Filme, in diesen Szenen eines langen Abschieds noch einmal heraufbeschwören. Nach dem Schlaganfall kommt der Rollstuhl, schließlich die katatonische Bettruhe. Georges ist entschlossen, den Tod als Teil ihrer Liebe zu verstehen. Vor ihrer Tochter verbergen die beiden, was los ist. Anfangs schleppt er Anne ab und zu zum Klavier und lässt sie eines ihrer geliebten Klavierstücke spielen. Doch dann greift er hinter sich und stoppt die Kassette mit der alten Aufnahme. Das Klavier verstummt. Nur eine Kinoillusion war dieser scheinbar so glückliche Moment, der auf die vielen schönen Stunden dieses Paares miteinander verweist. Denn in Wahrheit schreitet der körperliche Verfall der Hauptfigur schnell voran.

    Georges muss sich immer mehr nur noch auf den notwendigen Pflegedienst beschränken und zuschauen wie seine Liebe in den Weiten der Vergänglichkeit verschwindet. Irgendwann wird er das nicht mehr ertragen und zu einer in dieser Kritik eines Filmes aus Gründen der Spannungserhaltung zunächst zu verschweigenden radikalen Handlung hinreißen lassen. Am Ende brechen Helfer die Wohnung der beiden Alten auf und entdecken eine verwesende Leiche, die mit Blumen umkränzt ist.

    Tatsächlich ist das schon die Anfangsszene des Films "Liebe", der die grundlegenden Fragen zum glücklichen Leben und würdigen Tod zu beantworten versucht. Grandios sind an diesem Film, der dieses Jahr die Goldene Palme von Cannes gewann, die schauspielerischen Leistungen von Emmanuelle Riva, die sich bald nicht einmal mehr bewegen darf und Jean-Louis Trintignant, der in jede Bewegung aktuelles Leiden und vergangenes Glück legen muss. Die beiden selbst über 80-jährigen Schauspieler machen diesen Film zu einem ganz besonderen Ereignis. Emmanuelle Riva prägte 1959 den stilbildenden Film der "Nouvelle Vague", "Hiroshima Mon Amour" von Alain Resnais. Jean-Louis Trintignant spielte mit Romy Schneider und Brigitte Bardot zusammen und wurde schon von Krzysztof Kieslowski mit einer wunderbaren Altersrolle an der Seite von Irene Jacob in "Drei Farben: Rot" bedacht. Doch vor allem betört an "Liebe" das "mise-en-scène" wie die Franzosen sagen, die meisterhafte Inszenierung vor der Kamera. Jede Szene ist eine Augenweide. Und vor allem: wer hat schon einen Film über den Tod gedreht, der völlig zu Recht "Liebe" heißt.