Dienstag, 23. April 2024

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Treue Gefährten
Kulturgeschichte der Mensch-Tier-Beziehung

Wie fühlt sich ein Fisch im Aquarium oder ein Vogel im Käfig? Im Dresdener Hygiene-Museum können Besucher in der Ausstellung "Tierisch beste Freunde" per VR-Brille in die Haut von Waldi, Hansi und Co. schlüpfen. Und: Sie erfahren, wie sich das Verhältnis zwischen Mensch und Tier im Laufe der Jahrhunderte verändert hat.

Von Alexander Gerlach | 02.11.2017
    Eine neun Monate alte Dackel-Hündin sitzt auf einer Wiese
    Der Hund ist für viele der beste Freund (imago/blickwinkel)
    Der Hund gilt seit Tausenden von Jahren als treuester Gefährte des Menschen. Er ist sein wohl ältestes Haustier, wird geschätzt für seine Anpassungsfähigkeit, bedingungslose Liebe und Anhänglichkeit. Seine Treue ist legendär. In Homers "Odyssee" beispielsweise erkennt Argos, der Hund des Odysseus seinen Herren auch nach 20 Jahren der Trennung wieder. Obwohl dieser zerschlissen als Bettler daherkommt ist die enge Verbindung der beiden ungebrochen.
    Oder viel später, Ende der 50iger und Anfang der 60iger Jahre des letzten Jahrhunderts, die Geschichte der Collie-Hündin Lassie, die nach ihrem Verkauf an einen Herzog in Schottland Hunderte von Kilometern alleine nach Hause lief, um zu ihrem jugendlichen aber armen Herrchen nach Yorkshire zurückzukehren. Eine ebenso romantische wie dramatische Geschichte um den Wert der wahren Freundschaft zwischen Mensch und Hund, die unzählige Fernsehzuschauer zu Tränen rührte.
    Ursprünglich eine romantische Idee
    Ein Haustier zu haben war ursprünglich eine romantische Idee, die Ihren Ursprung Ende des 18. Jahrhunderts findet, wie Viktoria Krason erläutert. Sie ist Germanistin und Kunstgeschichtlerin und kuratiert gemeinsam mit Dr. Christoph Willmitzer die neue Ausstellung im Hygiene-Museum Dresden, die sich mit der Geschichte der Haustiere und Ihren Menschen befasst. Ein Haustier zu halten war ein Privileg, dass zunächst über lange Zeit nur Königshäusern und dem Adel vorbehalten war, sagt die Kuratorin:
    Viktoria Krason:
    "Ende des 18. Anfang des 19. Jahrhunderts beginnt diese Entwicklung zu einem Massenphänomen. Also es gab schon immer Haustiere, also Könige und Menschen, die es sich leisten konnten, Tiere zu halten, haben das schon immer getan, und es gibt auch da Zeugnisse von einer tiefen emotionalen Beziehung, aber das auch das Bürgertum und auch Arbeiter sich Haustiere leisten konnten und haben wollten, das begann eben erst Ende des 18. Anfang des 19. Jahrhunderts."
    Das letzte Stück Natur in der Stadt
    Zwei fressende Meerschweinchen.
    Viele Menschen in der Stadt halten sich Tiere, um einen Bezug zur Natur zu haben - aber auch als Partner- oder Kindersatz (picture alliance / Horst Ossinger)
    Das Aufkommen der neuen Haustier-Mode fiel zusammen mit der Industrialisierung. Diese führte schon bald zu einem Verschwinden der Nutztiere und Pferdefuhrwerke aus dem Stadtbild und zeitgleich zu einer Auslagerung der Schlachthöfe. Menschen zogen vom Land in die Städte wo sie Arbeit fanden und nahmen als quasi letztes Stück Natur ein Tier zu sich ins Wohnzimmer, erläutert Viktoria Krason:
    "Das Bürgertum hat eben diese Art der Tierliebe auch übernommen, aus dem Adel, gerade was repräsentative Tiere wie Jagdhunde angeht. Es waren eben auch Statussymbole, das Bürgertum hat nachgeahmt, was der Adel vorgemacht hat."
    Zahlreiche Porträtfotografien zeugen davon, welch wichtigen Stellenwert die Haustiere für ihre Besitzer hatten. Queen Victoria etwa, die um die 80 Hunde besaß, ließ ihre Lieblingsvierbeiner porträtieren und in einer Galerie verewigen. Andere platzierten ihre Hunde mitsamt den Kindern in aufwendig arrangierten Porträtstudien und ließen diese hübsch in Szene gesetzt und auf Postkarten gedruckt als Grußkarte verschicken. Der Hund geriet zum Statussymbol und Modeattribut:
    Viktoria Krason, Kuratorin:
    Ein Mops mit Halstuch blickt in die Kamera.
    Ein Mops mit Halstuch blickt in die Kamera. (Imago / Future Image)
    "Also der Mops, den wir gerade gesehen haben, war im 18. Jahrhundert sehr beliebt und es gab sogar eine Mops-Gesellschaft, einen Fan-Klub um den Mops herum, und auch bei der Königin war es so, dass die Hunde die die Königin bevorzugte, ich bin also wieder in England gelandet, die dann auch populär wurden im Adel und beim Bürgertum, und heute ist es ja auch so, immer wenn Hundefilme erscheinen, gerade "Lassie"-Filme oder 101-Dalmatiner, sind immer die Zuchtzahlen dieser Hunde angestiegen."
    Hunde lange beliebter als Katzen
    Vier kleine Kätzchen, fotografiert am 28.06.2015 in einem Garten in Sieversdorf im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg). Foto: Patrick Pleul
    Heute ist die Katze das beliebteste Haustier und hat damit den Hund überholt. (picture alliance/dpa/Patrick Pleul)
    Interessanterweise waren Hunde, Papageien und Wellensittiche als Haustiere beliebter als Katzen, obwohl diese weit weniger aufwendig in der Betreuung sind. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wurde die Katze als böses, betrügerisches Wesen gedeutet und somit auch weniger als Haustier gewählt. Heute hat sich das gewandelt. Gerade in städtischen Haushalten werden Katzen bevorzugt.
    Neben der historischen Dimension der Haustierhaltung haben sich die Dresdner Ausstellungsmacher auch mit der Frage auseinandergesetzt, welche sozialen und emotionalen Funktionen Haustiere für den Menschen übernehmen können. Kurator Dr. Christoph Willmitzer schildert ein typisches Beispiel:
    Gerade für ältere Menschen können Tiere eine Stütze gegen die Einsamkeit sein
    Ein gelber Wellensittich auf einem Ast. (imago)
    "Die ältere Dame, die mit ihrem Vogel in der Wohnung sitzt und die eben sehr berührend erzählt, dass der Enkel eben nicht mehr zu Besuch kommt, seitdem sie ihm kein Geld mehr gibt und der Wellensittich oder Papagei bleibt der einzige Gesprächspartner."
    In einem anderen Video sprechen zwei frisch Geschiedene getrennt mit Ihren Hunden über die gescheiterte Ehe und die Vierbeiner hören geduldig zu.
    "Wir wollen mit unseren Haustieren sprechen, oft sind die einzigen Vertrauten, wir denken manchmal, es sind die Einzigen, die uns verstehen, aber es hat natürlich auch den Vorteil, Haustiere widersprechen nie, sind also auch ganz geduldige Gesprächspartner."
    Geliebt und dominiert
    Haustiere werden zumeist von Ihren Besitzern geliebt und dominiert. Zugleich prägen sie auch ihre Menschen, sagen die beiden Dresdner Kuratoren Krason und Willmitzer:
    Viktoria Krason, Kuratorin:
    "Tiere haben einen eigenen Willen und es ist auch nicht gesagt, dass Hunde sich dem Willen des Menschen komplett unterwerfen."
    Doktor Christoph Willmitzer:
    Ein Hund und sein Halter werfen am Schatten auf das Pflaster einer Straße, aufgenommen am 08.07.2007
    Angeblich sehen sich Hund und Herrchen im Laufe ihres Zusammenlebens immer ähnlicher. (picture-alliance/ ZB / Ralf Hirschberger)
    "Na ja, im Alltag merkt man es daran, schon an so kleinen Sachen, so wie ihr Alltag sich umgestaltet, weil sie öfter mit dem Hund Gassi gehen müssen, das wirkt natürlich zurück. Es gibt so Studien, dass Hundehalter gesünder sind, und dass es dem Sport gut tut, je nachdem, welche Rasse man sich aussucht, es gibt aber auch schon historische Forschung, bis in die Steinzeit zurückgehend, wie sich das gegenseitig beeinflusst hat."
    Das Tier als narzisstische Stütze?
    Die Sympathie und das enge Zusammenleben von Mensch und Haustier führen letztlich sogar dazu, dass beide sich zunehmend ähnlichsehen, je länger sie miteinander unter einem Dach leben, haben Forscher herausgefunden. Ein spezielles Memory-Spiel in der Dresdner Ausstellung zeigt die verblüffende Ähnlichkeit von Hund und Herrchen oder Frauchen. Kein Zufall, sagt Viktoria Krason:
    "Man hat versucht, das dann näher zu definieren, woran das eigentlich liegt, inwiefern können sich ein Hund und ein Mensch ähnlichsehen. Und hat dann indem man die Gesichter der Menschen und der Hunde immer weiter abgedeckt hat und es dann weiter versucht hat, hat man dann festgestellt, es liegt tatsächlich am Blick, also dass die Augenform eine Ähnlichkeit aufweist. Dass es ein ähnlicher Blick ist, und man vermutet dass es deswegen der Fall ist, weil dem Menschen die Dinge, die er häufiger sieht, lieber sind, also wir haben eine größere Empathie - je häufiger wir etwas sehen – so funktioniert auch Werbung - desto vertrauter ist es uns und desto mehr Vertrauen fassen wir zu dem Tier, das wir eben sehen und wir sehen uns selbst relativ häufig im Spiegel, es hat also etwas Narzisstisches."
    Mit dem Blick des Tiers die Umwelt sehen
    Ein Schwarm von Schwertträgerfischen kreist um die um die Luftblasen im Aquarium.
    Fische im Aquarium (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Auf der Basis von Befunden aus den Natur- und Geisteswissenschaften ermöglicht die Ausstellung am Ende einen Perspektivwechsel. Die Besucher können mittels einer Virtual Reality Brille nachempfinden, wie Fische im Aquarium ihre Umwelt erleben. Oder in einem Vogelkäfig erleben, wie ein Vogel sein Umfeld im Spiegel sieht. Ausstellungselemente, die zum Nachdenken über das eigene Verhältnis zum Heim-Tier anregen sollen. Ebenso das modellhafte Kaninchenhaus, welches ausdrücklich den Bedürfnissen des Kaninchens Rechnung trägt:
    Doktor Christoph Willmitzer, Kurator:
    "Man sieht sozusagen ein bisschen, das ganze Haus müsste ganz schön umgebaut werden. Wir rücken die Möbel in die Mitte des Zimmers, weil Kaninchen freie Fluchten brauchen und sich wohler fühlen, wenn nichts an den Wänden steht, wir legen überall kleine Teppiche auf den Boden, wir müssen nicht mehr Kaninchen in Käfige sperren, sondern gegebenenfalls unsere Möbel schützen, damit sie nicht angeknabbert werden."
    Denn Haustiere sind beides zugleich: Gefährten und Freunde des Menschen. Sie helfen dem Menschen, glücklich zu sein, doch sind auch Haustiere mit ihrer Haltung immer glücklich?