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Tricks oder Steuerdiebstahl
Wer haftet für Cum-Ex-Geschäfte?

Dem deutschen Staat sind durch die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte Milliarden entgangen. Gerichte in Deutschland müssen klären, ob es sich dabei bloß um die geschickte Ausnutzung von Gesetzeslücken handelte - oder ob die Beteiligten illegal gehandelt haben.

Von Mischa Ehrhardt | 23.02.2019
Die Hochhäuser und Bankentürme bilden die Skyline von Frankfurt am Main.
Erst 2012 wurden die Cum-Ex-Geschäfte in Deutschland wirkungsvoll unterbunden - danach wurde das Prinzip dann in anderen Ländern angewandt (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
Der größte Steuerskandal der Nachkriegsgeschichte ist kompliziert. Es geht um sehr viel Geld, das eigentlich dem Staat gehört. Und um die Frage, wer für diese umstrittenen Steuergeschäfte haftbar gemacht werden kann. Viele Aspekte dieser Affäre klingen wie das Drehbuch für einen Krimi.
"Mein Tarnname war Otto. Ich war 45 Minuten ein Milliardär, zusammen mit meinem Kollegen. Und wir hatten dann das Vergnügen, in einer sündhaft teuren Suite einen Cum-Ex-Trader zu treffen, der uns ein Angebot gemacht hat, wodurch wir auch den Beweis erbringen konnten, dass diese Art von Aktiengeschäften jetzt, heute und morgen immer noch funktionieren und angeboten werden."
Der falsche Milliardär Otto heißt in Wirklichkeit Oliver Schröm. Er ist Chefredakteur von Correctiv, einem journalistischen Rechercheportal. Gemeinsam mit Kollegen aus anderen europäischen Ländern hat Schröm maßgeblich dazu beigetragen, das Ausmaß des sogenannten Cum-Ex-Skandals aufzudecken. Den Recherchen zufolge funktionieren die in Deutschland mittlerweile verbotenen Cum-Ex-Deals anderswo in Europa auch heute noch.
Über eine Briefkastenfirma zum Cum-Ex-Berater
Über Monate hatte Schröm seine falsche Identität aufgebaut, musste sich in den Kopf eines Milliardärs hineindenken, um die Rolle eines reichen Investors überzeugend darstellen zu können. Eines scheinbaren Investors, der vorgab, sein Geld mit Cum-Ex-Geschäften vermehren zu wollen.
"Wir hatten eine Briefkastenfirma dazwischengeschaltet, dann einen Vertrauensmann, der mit dem Herrn kommuniziert hat. Also alles war echt. Weil es muss ja überprüfbar sein. Auch die Briefkastenfirma war echt. Die war auch nicht neu gegründet, sondern zehn Jahre schon am Markt - und war auch schon einmal in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt. Also, der Trader, der hat uns natürlich auf den Zahn gefühlt, und, wie gesagt, es war echt - außer, dass wir keine Milliardäre waren."

Cum-Ex-Geschäfte werden auch als Dividendenstripping bezeichnet: Aktienpapiere werden rund um den Stichtag der Dividendenzahlungen schnell hintereinander gekauft und wieder verkauft. Am Tag vor der Dividendenzahlung notieren die Aktien an den Börsen "cum" Dividende – also mit Dividende, danach wieder ohne, also "ex" Dividende. Banken verkaufen Aktien an einem cum-Tag, müssen sie aber erst nach zwei Tagen an den Käufer liefern. Ziel war die mehrfache Erstattung von Kapitalertragssteuern. Auf die Dividende wurde die Steuer fällig, die sich sowohl der Käufer anrechnen ließ, als auch derjenige, von dem sich die Banken die Aktien beschafft hatten.
"Correct!V" steht in Berlin auf dem Schild am Sitz des stiftungsfinanzierten Recherchebüros Correctiv.
Maßgeblich dazu beigetragen, das Ausmaß des sogenannten Cum-Ex-Skandals aufzudecken: CORRECT!V (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
Staat erstattete mehr Steuern als eingenommen
Für die Finanzämter war nicht mehr nachvollziehbar, wem die Papiere zu welchem Zeitpunkt gehörten. Sie erstatteten letztlich mehr Steuern, als sie zuvor eingenommen hatten. Alfons Weichenrieder ist Professor für Finanzwissenschaft an der Universität in Frankfurt:
"Vielleicht kann man es ganz einfach mit einem Vergleich erklären. Stellen Sie sich vor, Sie kaufen etwas im Internet und zahlen das einmal. Und dann geben Sie es zweimal zurück und kriegen den Preis zweimal zurück. So etwas Ähnliches ist mit den Cum-Ex-Geschäften auch passiert. Da wurde also eine Zahlung, die einmal ans Finanzamt gegangen ist, zweimal oder sogar mehrmals dann wieder verschiedenen Personen erstattet."
"Übersetzt heißt das: Die haben in die Kasse gegriffen, die vorher die ehrlichen Steuerzahler gefüllt haben in ihrer Meinung, damit unterstützen sie Bildung, Straßenbau, Sicherheit und so weiter."
Norbert Walter-Borjans war jahrelang SPD-Finanzminister in Nordrhein-Westfalen. Im Herbst hat er ein Buch veröffentlicht über seinen Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug. Seine Meinung zu Cum-Ex-Geschäften:
"Das ist Plünderung, und zwar ohne Skrupel. Und wenn sie sich mal mit den Menschen auseinandersetzen, die an diesen Taten sich beteiligt haben, dann sagen sie ja ganz offen, dass ist die reine Gier. Also das ist wirklich ein Ding. Und dass diese Größenordnung so extrem ist, ist natürlich noch einmal schockierend."
"Hochgezüchtete Rennpferde in ihrem Spezialbereich"
Einige der damals an Cum-Ex-Geschäften Beteiligten kooperieren heute mit der Justiz und offenbaren ihre Kenntnisse – wohl auch, weil sie auf Deals mit den Staatsanwaltschaften hoffen.
"Diese Menschen muss man sich als hochgezüchtete Rennpferde in ihrem Spezialbereich vorstellen. Sie sind Mathematiker, Wirtschaftsingenieure, ausgebildete Banker, Investmentbanker, die über viele Jahre gelernt haben, den Profit zu maximieren bis zum Anschlag."
Das sagt einer, der nach eigener Aussage selbst in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt war. Das ARD-Magazin "Panorama" hat ihn vor die Kamera bekommen. Allerdings anonymisiert und mit einer Silikonmaske unkenntlich gemacht.
"Und ja, all das, was man an Vorurteilen seit der Finanzkrise über Investmentbanker kennt, vieles von dem ist Realität, vieles von dem stimmt. Geld wird dort zu einer abstrakten Größe. Moral hat dort keinen Platz. Wer dort die Moralfrage stellt, wird sofort ausgetauscht, hat das Team zu verlassen."
Als Insider hat der studierte Jurist der Staatsanwaltschaft in Köln in tagelangen Vernehmungen Informationen geliefert, auf deren Basis die Ermittler weiterarbeiten und Gerichtsverfahren in Gang bringen können. Die Staatsanwaltschaft Köln ist sehr aktiv beim Thema Cum-Ex-Geschäfte, ebenso die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt und die Justiz in München. Allein bei der Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt gibt es seit dem Jahr 2012 bereits zehn unterschiedliche Verfahrenskomplexe.
Unter Verdacht stehen auch Banken, die unter anderem falsche Steuerbescheinigungen ausgestellt haben sollen. Die Gerichte werden klären müssen, ob die Cum-Ex-Geschäfte vor 2012 illegal waren, oder ob es sich um die geschickte Ausnutzung von Gesetzeslücken handelte. Der Finanzwissenschaftler Alfons Weichenrieder allerdings ist überzeugt, dass diese Praxis illegal war:
"Kein Steuerschlupfloch, eher Steuerbetrug"
"Ich glaube, dass sich die Mehrheit der Steuerexperten durchaus einig sind, dass hier gegen Recht und Gesetz verstoßen worden ist. Ich bin kein Jurist, aber so stellt sich die Sachlage mir wohl da. Und insofern glaube ich, sollte man nicht von einem Steuerschlupfloch sprechen, sondern ich glaube es wird sich noch zeigen aber ich gehe mal davon aus, dass man eher von Steuerbetrug sprechen muss."
"Der Abteilungsleiter Steuern hat uns im Untersuchungsausschuss gesagt, er hält das für organisierte Kriminalität. Und ich glaube, so muss man das auch sehen, denn diese Geschäfte sind nur möglich, wenn mehrere Akteure in verschiedenen Institutionen: Also an der Börse, mehrere Banken; dann aber auch der Rechtsbeistand, also aus Wirtschaftskanzleien zum Beispiel Leute, die das rechtlich bewertet haben. Wenn die da zusammenarbeiten, geht das nur", sagt der frühere Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick. Der Grünen-Politiker und Finanzexperte hat den Untersuchungsausschuss des Bundestages zu Cum-Ex-Geschäften mit initiiert. Seit vergangenem Jahr ist er Vorstand der Nichtregierungsorganisation "Bürgerbewegung Finanzwende", die sich für eine nachhaltige Finanzwirtschaft einsetzt.

Nach Ansicht vieler Experten waren die Cum-Ex-Geschäfte illegal, weil sich die Beteiligten mindestens zwei Mal Steuern erstatten ließen. Klaus Nieding ist Rechtsanwalt und Kapitalmarktexperte der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz:
"Man muss sich das so vorstellen: Es gibt eigentlich keinen Zeitpunkt, wo zwei Personen gleichzeitig die Hand an einer einzelnen Aktie haben. Sondern, in dem Moment, wo die eine Person loslässt, greift die andere zu – und dazwischen liegt eigentlich nichts, wo man sagen könnte, hier haben wir ein wirtschaftliches Eigentum beider Personen begründet. Damit ist eine Steuererstattung in zweifacher Anzahl illegal."
Screenshot von einem aufwendig markierten Informanten in der ARD-Sendung "Panorama"
In der ARD-Sendung "Panorama" berichtete ein aufwendig maskierter Insider über Cum-Ex-Geschäfte. (Screenshot: NDR)
Auch in den 90er Jahren gab es Auffälligkeiten am Dividendenstichtag
Dementsprechend lautet auch ein Urteil des Hessischen Finanzgerichtes aus dem Jahr 2016, in dem das Gericht das Recht auf eine doppelte Anrechnung von Kapitalertragssteuer verneint.
Bei Cum-Cum-Geschäften ist die Lage weniger eindeutig. Hier haben sich zwar über einen Umweg ausländische Aktienbesitzer Kapitalertragssteuern rückerstatten lassen, obwohl sie das eigentlich nicht können; sie haben diese Rückerstattung über den Umweg hiesiger Banken und Händler aber nur einmal geltend gemacht.
Bereits in den 90er Jahren wurden dubiose Geschäfte rund um den Dividendenstichtag von Börsenunternehmen bekannt. Zudem haben die Deals über die Zeit verschiedene Formen angenommen. Erst kürzlich kam heraus, dass vermutlich auch Betrügereien organisiert wurden mit Papieren, die in den USA gehandelt werden und nur stellvertretend für Aktien europäischer Unternehmen stehen – so genannte "American Depositary Receipts". Großbanken und Aktienhändlern wird vorgeworfen, in den USA Millionen dieser Papiere herausgegeben zu haben, die nicht mit echten Aktien hinterlegt waren. Die Rede ist von Phantomaktien, und dieser neue Skandal hat auch bereits einen Namen: "Cum-Fake".
"Cum-Ex-Mafia - ein Netzwerk aus Beratern, Banken, und Investoren"
Der Schaden der Cum-Ex-Geschäfte jedenfalls dürfte immens sein. Experten haben den Verlust für den deutschen Staat auf rund 32 Milliarden Euro taxiert. Zwar wurde diesen Steuergeschäften in Deutschland 2007 mit dem sogenannten Jahressteuergesetz ein erster Riegel vorgeschoben. Ein Ergebnis des Bundestagsuntersuchungsausschusses aber war, dass die Geschäfte auch danach noch weitergingen:
"Mit dem Jahressteuergesetz 2007 konnte dann auch der dümmste Finanzhai nochmals nachlesen, dass man fröhlich Cum-Ex-Geschäfte über das Ausland machen konnte. Und so geschah es dann auch, die Cum-Ex-Party kam so richtig in Gang. Über die Jahre bildete sich eine regelrechte Cum-Ex-Mafia, ein Netzwerk aus Beratern, Banken, und Investoren."
So Richard Pitterle, der für die Partei "Die Linke" Mitglied im Bundestagsuntersuchungsausschuss war. Vorwürfe erhebt der Grünen-Politiker Gerhard Schick auch gegen viele Banken und den Bankenverband:
"Die Banken hatten nur das Interesse, dass sie nachher nicht in Haftung genommen werden, wenn die Geschäfte auffliegen. Und als der Staat 2007 einen ersten Versuch gestartet hat, Cum-Ex zu stoppen, hat er einen Vorschlag des Bankenverbandes übernommen. Und nachdem das ins Gesetzblatt übernommen worden ist – übrigens wortgleich, dieses Positionspapier des Bankenverbandes – da gingen die Geschäfte erst noch mal richtig los. Weil eben sie nicht richtig gestoppt worden waren. Der Vorschlag aus dem Bankenverband war eben ein schlechter Vorschlag. Und das können wir auch an der weiteren Geschichte sehen. Immer wieder ist der Lobby-Einfluss schädlich gewesen und hat die wirkliche Bekämpfung von Cum-Ex verzögert."
Der Bankenverband weist diese Vorwürfe auf Anfrage zurück. Der damalige Vorschlag für eine gesetzliche Regelung habe gar keine Aktiengeschäfte umfasst, die über ausländische Banken vorgenommen werden.
Die "Bankräuber" sind einfach in Ausland gegangen
Erst 2012 wurden die Cum-Ex-Geschäfte in Deutschland wirkungsvoll unterbunden. Oliver Schröm vom Recherchenetzwerk Correctiv und seine Kollegen konnten ein solches vorgetäuschtes Geschäft allerdings noch im Frühjahr 2018 einfädeln – genutzt werden sollten Gesetzeslücken nun in anderen Ländern Europas. Denn als die Gesetzeslage sich hierzulande änderte, verlagerte sich die Praxis in andere Steuerräume Europas. Nach Ansicht von Oliver Schröm haben die europäischen Behörden in dieser Angelegenheit versagt:
"Man muss sich das so vorstellen: Ein Sheriff verfolgt hier einen Bankräuber, reitet ihm wild hinterher und der Bankräuber galoppiert dann über die Ländergrenze hinweg. Der Sheriff bringt sein Pferd zum Stoppen und kann noch mit dem Fernglas hinterher schauen, wie der Räuber quasi jenseits der Ländergrenze die nächste Bank ausraubt. So hat das bei Cum-Ex funktioniert. Und was wirklich auch zum Eklat geführt hat: Nachdem die Deutschen hier die Löcher gestopft haben, haben sie es nicht für nötig erachtet, die anderen Länder zu warnen. Das hat dann zum Beispiel konkret in einem Fall dazu geführt, dass ein Cum-Ex Ganove einfach weiter gezogen ist nach Dänemark, und hat einfach Dänemark ausgeraubt."
Laut "Correctiv" soll Deutschland die anderen europäischen Länder erst 2015 vor den Umgehungsgeschäften gewarnt haben. Das Bundesfinanzministerium erklärte, man habe sehr wohl "in der Vergangenheit diverse Staaten, auch auf deren Nachfrage hin, über die Verfahrensweise bei Cum-Ex-Geschäften informiert."

Viele der beschuldigten Bankhäuser vertreten den Standpunkt, dass Banken eben Dienstleister für Aktiengeschäfte seien, sie dadurch aber nicht in eine strafrechtliche Verantwortlichkeit gezogen werden können.
Skyline von Frankfurt am Main
Mehrere Banken waren in die Cum-Ex-Geschäfte verwickelt (Imago/Arnulf Hettrich)
Mehrere Großbanken mit von der Partie
Die Unicredit-Tochter Hypo Vereinsbank hat bereits eine gewisse Verwicklung in die umstrittenen Steuergeschäfte eingeräumt und zusammen mit Geschäftspartnern insgesamt 200 Millionen Euro an den Fiskus zurücküberwiesen. Damit sieht die HVB den Fall als abgeschlossen an und will sich nicht mehr dazu äußern.
Auch die Deutsche Bank war offenbar mit von der Partie. 2015 hatten Fahnder in diesem Zusammenhang Büros der Deutschen Bank in Frankfurt am Main durchsucht. Die Bank selbst unterstreicht, nur als Dienstleister ihrer Kunden in die mutmaßlichen Betrugsgeschäfte involviert gewesen zu sein. Man unterstütze die Behörden bei der Aufklärung. Kürzlich auf der Bilanzpressekonferenz sagte der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bank, Karl von Rohr:
"Die Deutsche Bank hat anders als viele andere Banken an einem organisierten Cum-Ex-Markt weder als Leerverkäuferin noch als Cum-Ex-Erwerberin teilgenommen. Als Teilnehmerin im Wertpapierhandel war die Deutsche Bank aber in Cum-Ex-Geschäfte von Kunden eingebunden. Auch diesbezüglich arbeiten wir intensiv mit den Behörden zusammen, um baldigst zu einer Lösung zu kommen. So haben wir uns, wie Sie wissen, im Mai mit der Staatsanwaltschaft Frankfurt darauf geeinigt, Gewinne in Höhe von vier Millionen Euro abzuführen, wir mussten aber – und das ist uns wichtig, keine Strafe zahlen."
In diesem Jahr dürften die ersten Strafverfahren gegen Beschuldigte im Cum-Ex-Skandal beginnen. Ein Angeklagter ist der Jurist Hanno Berger. Er gilt als einer der Architekten von Cum-Ex-Geschäften in Deutschland. Berger lebt mittlerweile in der Schweiz und will sich persönlich nicht äußern.
Seine juristische Verteidigung hat Gerson Trüg aus der Kanzlei Trüg-Habetha in Freiburg übernommen. Trüg ist Experte für Wirtschaftsstrafrecht. Er geht davon aus, dass sein Mandant Berger gesetzeskonform gehandelt hat. Allenfalls treffe den Gesetzgeber die Schuld, das Steuerrecht erst 2012 entsprechend geändert zu haben.
Verteidiger: "strafrechtliche Verfolgung nicht nachvollziehbar"
"Die Steuern sind gerade nicht unrechtmäßig erstattet worden. Allerdings hat der Gesetzgeber – beziehungsweise hat die Politik – erst ab dem Jahre 2012 mit einem Umsetzungsgesetz das Kapitalertragsteuer-Anrechnung- oder Erstattungssystem geändert. Insofern kann man, wenn man möchte, allenfalls von einem Politikversagen sprechen. Vor diesem Hintergrund ist die strafrechtliche Verfolgung, die stattfindet, nicht nachvollziehbar."
Mehr noch sieht Trüg durch Äußerungen von Politikern und die Berichterstattung in den Medien die Gefahr einer Vorverurteilung seines Mandanten und von Personen, die nun unter Anklage stehen.
"Ich sehe hier ein manifestes Problem: Sowohl die Berichterstattung in Teilen der Medien, als auch Äußerungen durch hochrangige Politiker verletzen nach meiner Überzeugung die Unschuldsvermutung meines Mandanten und strahlen unmittelbar auf laufende Strafverfahren aus. Weil es sich dabei um eine gravierende Verletzung der Unschuldsvermutung handelt, steht dieser Umstand der Eröffnung eines Hauptverfahrens nach meiner Überzeugung entgegen."
Genaue Zeitpunkte für den möglichen Auftakt solcher Verfahren können die Staatsanwaltschaften noch nicht nennen.
Unabhängig von der juristischen Aufarbeitung fordern Beobachter wie der Grünen-Politiker Gerhard Schick als Lehre aus dem Cum-Ex-Steuerskandal Aufsichtsbehörden, die es auf Augenhöhe mit grenzüberschreitend arbeitenden Finanzjongleuren aufnehmen können.
"Wir brauchen eine europäische Finanzpolizei, die wirklich europaweit Finanzkriminalität bekämpft und nicht nur eine Koordination zwischen den Staaten, die sich so ein bisschen informieren. Denn wenn eine der beteiligten Banken in London sitzt und die andere Bank in der Schweiz; und ein Steuerberater oder die Wirtschaftskanzlei dazu in Deutschland, dann kann eine gute Verbrechensbekämpfung einfach nur bei einer wirklichen Zusammenarbeit und auch einer gemeinsamen Bekämpfungsstrategie liegen. Dann reicht es nicht, wenn man sich ein paar Informationen mal rüber schiebt."
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen investigativen Journalisten
Auf journalistischer Ebene hat eine internationale Kooperation bereits erfolgreich funktioniert. Denn an der umfangreichen Recherche von Correctiv waren 37 Journalisten von 19 Medien aus zwölf europäischen Ländern beteiligt.

Gegen den Chefredakteur von Correctiv, Oliver Schröm, ermittelt mittlerweile allerdings die Staatsanwaltschaft in Hamburg. Der Verdacht: Verrat von Geschäftsgeheimnissen. Einfacher formuliert: Wirtschaftsspionage. Denn Oliver Schröm hatte vor Jahren im Zusammenhang mit Cum-Ex über die Vorgehensweise der Schweizer Privatbank Sarasin berichtet. Dazu Gerhard Schick:
"Es ist total absurd bei Cum-Ex: Die Einzigen, die bisher richtig Probleme mit der Justiz bekommen haben und zwischendurch auch im Gefängnis waren, sind diejenigen, die als Whistleblower oder Aufklärer agiert haben. Und besonders krass ist das jetzt im Fall von Oliver Schröm, wo eben die Schweizer Justiz es geschafft hat, auch die Hamburger Staatsanwaltschaft da rein zu ziehen, so dass sie jetzt gegen einen investigativen Journalisten ermittelt. Ich finde, es muss alle Energie jetzt dahingehen, die Täter bei Cum-Ex hinter Schloss und Riegel zu bringen und das Geld zurück zu bekommen; anstatt dass man jetzt Leute, die aufklären, unter Druck setzt. Das geht gar nicht."
Der Journalist Oliver Schröm
Der Journalist Oliver Schröm (imago stock&people)