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Trierer Bischof: Wir müssen Kern des Glaubens deutlicher machen

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann sagt, dass die Kirchen in einer Umbruchsituation stecken. Das liege vor allem daran, dass man sich "mehr als jemals zuvor frei zum Glauben verhalten könne". Aufgabe der Kirchen sei es daher, zu vermitteln, dass Glaube ein Leben bereichere.

Stephan Ackermann im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Das Wohnzimmer ist weihnachtlich geschmückt, Papa haut auf dem Schlagzeug herum, Sohnemann bläst auf einer Trompete und das Töchterchen kreischt, nachdem sie ausgepackt hat. Mit diesem Werbefilm und dem Slogan "Weihnachten wird unter dem Baum entschieden" wirbt ein Warenhaus zu Weihnachten.
    Vor dieser Sendung haben wir Stephan Ackermann erreicht. Ich habe den katholischen Bischof von Trier gefragt, was ihm durch den Kopf geht, wenn er hört: Weihnachten wird unter dem Baum entschieden.

    Stephan Ackermann: Also ich sage ganz ehrlich: Mich belustigt dieser Werbeslogan mehr, als dass er mich aufregen würde, denn die Werbung benutzt ja immer irgendwelche schlagkräftigen Dinge, und es mag ja auch sein, dass für Familien Weihnachten unter dem Baum sich entscheidet, ob ein Geschenk stimmt oder nicht, ob ich dem anderen eine Freude machen kann oder nicht. Nur natürlich vom Glauben her wird natürlich Weihnachten nicht unter dem Baum entschieden, sondern entscheidet sich in der Krippe, und das heißt natürlich, im Leben des einzelnen Menschen, ob ich bereit bin, zu sagen: Ja, ich nehme die Botschaft von Weihnachten an. Das ist das Entscheidende, das ist vollkommen klar.

    Heinemann: Welche Botschaft?

    Ackermann: Die Botschaft, dass es Gott gibt, Gott existiert, es gibt ihn, und er existiert nicht als eine antlitzlose Energie oder ein willkürliches Schicksal, sondern als der, der sich so für uns interessiert, dass er selber Mensch wird, ein Menschenantlitz annimmt. Das ist für mich die Grundbotschaft von Weihnachten.

    Heinemann: Wie vermittelt man diese Botschaft Menschen, die mit dem Christentum nichts zu tun haben, weil sie vielleicht einer anderen Religion angehören, oder aber speziell mit der katholischen Kirche nichts oder nichts mehr zu tun haben wollen?

    Ackermann: Ich fand interessant, dass der Papst, als er hier in Deutschland war, ganz offen gesagt hat, dass eigentlich der christliche Glaube an den Gott, der Mensch geworden ist, eine Zumutung ist. Also mich hat das doch noch einmal berührt, dass ein Papst das so offen sagt und zugibt und sagt: Das scheint so selbstverständlich zu sein, gerade in einem Land, das so sehr vom christlichen Glauben auch in seiner Kultur geprägt ist, aber das ist nicht selbstverständlich, sondern es braucht wirklich auch einen Akt, sich dazu zu bekennen. Ich glaube, dass aber das Besondere an der Botschaft von Weihnachten ist, auch für Menschen, die nicht glauben, die nichts mit der Kirche, nichts mit dem Christentum zu tun haben, dass letztlich dort das Einfachste gezeigt wird, was zum Leben gehört und das Elementarste: dass wir zur Welt kommen, uns nicht selber gemacht haben, dass das Leben Geschenk ist, nicht unsere eigene Leistung. Und darüber zu staunen, das zu sehen, das ist glaube ich das, was auch Menschen anspricht, die mit christlichem Glauben nichts zu tun haben, die Faszination, in die Krippe zu schauen, auf das Kind, und sich davon ansprechen zu lassen und zu sagen, ja, tatsächlich, das Leben ist ein Wunder.

    Heinemann: Menschliche Leistung oder menschliche Fehlleistung: Gründe, der Kirche den Rücken zu kehren, listet ein Bericht in den Niederlanden auf - 10.000 bis 20.000 Missbrauchsfälle in 60 Jahren, vieles wurde abermals vertuscht. Kann man als Katholik im Glaubensbekenntnis noch sprechen "Ich glaube an die heilige katholische Kirche"?

    Ackermann: Wenn wir das Glaubensbekenntnis sprechen, dann sagen wir ja in aller Regel nicht "Ich glaube an die heilige katholische Kirche", sondern "Ich glaube die Kirche", das heißt, man hat das "an" ganz bewusst weggelassen. Wir sagen Credo Ecclesiam: Wir glauben an Gott, wir glauben an Jesus Christus, aber wir glauben die Kirche oder der Kirche, und natürlich - die Kirche besteht aus Menschen - ist eine auch sündige Realität und auch immer wieder erregt sie Anstoß und verdunkelt die Botschaft, und insofern stuft das Glaubensbekenntnis die Kirche auch ab. Auf der anderen Seite kann ich auch nicht einfach alleine glauben, ich brauche die Gemeinschaft der Glaubenden, vor allen Dingen natürlich derjenigen, die in ganz besonders guter und leuchtender Weise den Glauben gelebt haben, die Heiligen sind das für uns. Da hilft mir die Kirche, aber sie ist eben eine, ja, eine res mixta, eine gemischte Realität, so hat schon Augustinus gesagt, und mit der Last haben wir durch die Geschichte und tagtäglich zu kämpfen.

    Heinemann: Wo ist sie für Opfer noch heilig?

    Ackermann: Ich kann verstehen, wenn Opfer sagen, die Kirche hat für mich keine Heiligkeit mehr, vor allen Dingen die, die in ihr Verantwortung tragen. Aber wenn man bestimmte große Gestalten des Glaubens anschaut, die wir als Heilige bezeichnen - ob das ein Benedikt, ein Franziskus ist, ob das eine Katharina von Siena ist, Edith Stein -, dass man sagt, da sind doch Menschen, die haben wirklich mit allen Fasern ihrer Existenz sich Gott anvertraut und Kirche gelebt. Die gehören auch zur Kirche. Es gibt sozusagen den leuchtenden, auch den heiligen Kern, und dann gibt es auch das andere, aber in der Tat, ich kann verstehen, wenn Menschen sagen: Ich sehe aber nur noch das Dunkle, Schmutzige, Verbrecherische, und es fällt mir schwer, überhaupt der Kirche zu vertrauen. Ich habe durch viele Gespräche auch in den letzten anderthalb Jahren Menschen erlebt, die mir gesagt haben: Herr Bischof, ich habe Schlimmes erlebt, ganz Dunkles, aber Gott sei Dank - der Glaube selber ist mir nicht abhandengekommen.

    Heinemann: Bischof Ackermann, im Januar findet in Ihrem Bistum Trier das Internationale Ökumenische Forum statt. Auf der Internetseite haben Sie geschrieben: "Heute widmen sich die Kirchen mit großem Engagement der Aufgabe, die Trennung zu überwinden, um sich gemeinsam den Fragen der Zeit zu stellen". Wieso war nach dem Besuch des Papstes in Deutschland von evangelischer Seite so viel Enttäuschung zu hören?

    Ackermann: Meine persönliche Deutung ist ja, dass die Erwartungen vorher so hoch geschraubt waren von allen Seiten, dass im Grunde die Enttäuschung irgendwie vorprogrammiert war. Ich glaube, da ist man auf allen Seiten Opfer der gesteckten Erwartungen geworden. Das gilt natürlich auch für die katholische Kirche, auch für den Papst in einem gewissen Sinn durch den persönlichen Brief, dem er dem Präses Schneider geschickt hat und damit auch noch mal irgendwie Erwartungen geweckt hat, einen besonderen Akzent zu setzen, und auf der anderen Seite man den Eindruck hat: Der Papst ist derjenige, der in der Kirche einfach bestimmt und mit einem Wort alles verändern kann.

    Heinemann: Aber der Papst kann doch alles verändern.

    Ackermann: Der Papst kann nicht alles verändern. Der Papst, auch wenn er besondere Vollmacht hat in der Kirche und das heißt, auch im Kollegium der Bischöfe, ist er ja derjenige, der auch im Strom der Tradition steht, der im Sinn der Kirche handeln muss. Und insofern ist das ja kein Monarch oder Autokrat, der einfach sagt: Wir machen es jetzt anders. Das ist ja auch bei Dogmen nicht so, sondern es geht eher darum, das zu sammeln, aufzugreifen und zu Wort zu bringen, was der Glaube der Kirche als Ganzer ist.

    Heinemann: Aber Hand aufs Herz, vor allen Dingen will er doch nicht.

    Ackermann: Das glaube ich kann man so nicht sagen. Er sagt immer wieder deutlich, dass ihm die Ökumene ein Anliegen ist. Er sieht aber, dass es nicht einfach durch die Fixierung auf bestimmte Punkte wie Abendmahlsgemeinschaft geht, sondern wir haben eine Entfremdungsgeschichte über 500 Jahre, und das lässt sich nicht einfach ausradieren, und wir haben natürlich auch unterschiedliche Kirchenverständnisse. Ich glaube, dem Papst ist sehr wohl bewusst, dass mit irgendwelchen autoritären Entscheidungen auch möglicherweise neue Spaltungen hineingetragen werden, und deshalb ist er sehr zögerlich. Ich verstehe das. Die Frage wäre gewesen, ob er vielleicht besser signalisiert hätte: Mich schmerzt auch besonders die Trennung. Das tut es sicher, aber wenn er das noch einmal gesagt hätte - ich leide mit daran, was Abendmahlsgemeinschaft angeht, was die konfessionsverschiedenen Ehen angeht, wir müssen diese Themen angehen - dann hätte es wahrscheinlich auch noch mal eine andere Atmosphäre gegeben.

    Heinemann: Zu der Entfremdungsgeschichte, Bischof Ackermann, gehört auch die Erklärung Dominus Jesus des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger, der gesagt hat, die Reformierten seien keine Kirche, sondern eben nur eine kirchliche Gemeinschaft. Kann man denn überhaupt einander näherkommen, solange dieses Dokument gültig ist?

    Ackermann: Es hat ja schon viel Diskussionen gegeben über dieses Dokument und darüber, ob es mit einer genügenden ökumenischen Sensibilität formuliert worden ist. Da muss man sicher sagen, das hätte man ökumenisch auch sensibler machen können. Zunächst mal war ja der Fokus dieses Dokumentes der Blick auf die Religionen, also wie wichtig ist Jesus Christus für das Christentum und für die Kirche, zu sagen, er ist das Zentrum, also weniger eine ökumenische Frage, sondern mehr eine interreligiöse Frage. Aber das andere, was Sie ansprechen, ist natürlich der Punkt: Wie ist das Kirchenverständnis? Und ich glaube schon, dass auch die evangelischen Partner sagen würden, zugestehen würden: Wir verstehen uns als Kirche anders, als ihr Katholiken euch als Kirche versteht. Und das ist ja genau der Punkt, bei dem wir in der Ökumene weiter im Gespräch sein müssen: Wie können wir die Kirchenverständnisse einander annähern?

    Heinemann: Beide Kirchen, die evangelische und die katholische, haben ein gemeinsames Problem: Die Mitglieder laufen davon. Wie wollen Sie diesen Exodus aufhalten?

    Ackermann: Wir sind insgesamt, da haben Sie vollkommen recht, in einer Umbruchsituation. Ich glaube, das hängt einfach damit zusammen, dass wir in einer zeitgeschichtlichen Stunde leben, in der man sich mehr als jemals zuvor frei zum Glauben verhalten kann. Ich werde nicht sozial geächtet, selbst wenn ich Mitglied der Kirche bin und trotzdem nicht mich weiter an die Kirche binde, nicht den Gottesdienst besuche, mich nicht engagiere. Wenn ich an Dörfer denke etwa bei mir im Bistum in der Eifel, in den ländlichen Gebieten, wo vor Jahrzehnten das mit einer sozialen Ächtung verbunden gewesen wäre - das ist heute nicht mehr der Fall.

    Heinemann: Gott sei Dank.

    Ackermann: Ja, Gott sei Dank, genau, das würde ich genauso sagen, das wollen wir nicht zurückhaben, diese Zeiten. Aber andererseits ist damit auch klar: Jeder verhält sich viel freier als jemals zuvor zur Entscheidung des Glaubens, und natürlich ist dann unser Anliegen - und das ist dann auch unsere Aufgabe -, deutlicher zu machen: Was ist der Kern des Glaubens und wovon sind wir überzeugt, dass derjenige, diejenige, die glaubt, ein Leben hat, das bereichert wird durch den Glauben. Aber in dieser Umbruchsituation, wo Volkskirchliches zurückgeht, evangelischerseits und katholischerseits, glaube ich braucht es diesen Prozess der Klärung. Und wir stehen mitten in diesem Prozess drin, und der ist nicht einfach mit ein paar Handgriffen umzudrehen.

    Heinemann: Gestatten Sie mir zum Schluss eine persönliche Frage: Was wünschen Sie sich zu Weihnachten?

    Ackermann: Für mich ist das Weihnachtsfest natürlich immer sehr stark von der Feier der Gottesdienste geprägt. Ich freue mich wirklich dann, wenn ich erleben kann in den Gottesdiensten, auch etwa im Dom hier in Trier, dass Menschen angerührt sind von der Botschaft des Glaubens, dass ich helfen kann, dass sie auch noch mal über das Alltägliche hinausschauen, dass ihr Alltag unterbrochen wird, es gibt ja diese schöne Aussage von einem niederländischen Gelehrten, der gesagt hat, die kürzeste Definition von Religion heißt Unterbrechung, und dass das Weihnachtsfest unseren Alltag unterbricht, auch das Friedlose, dass wir neu den Blick auch noch mal bekommen, was ist der Ursprung des Lebens - das ist mein Wunsch auch für das Weihnachtsfest, dass möglichst viele Menschen das spüren, und dass das auch in den Krisengebieten der Fall ist, dass es ein Aufatmen gibt, wenigstens für einige Stunden.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.