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Trittin fordert effektive Strafverfolgung somalischer Piraten

Jürgen Trittin, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, hat eine konsequente Strafverfolgung festgesetzter mutmaßlicher Piraten gefordert. Mit dem ersten Prozess gegen neun Männer in Mombasa müsse sich zeigen, ob die Vereinbarungen zwischen der Europäischen Union und Kenia rechtsstaatlich einwandfreie Verfahren und Haftbedingungen zur Folge habe.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Stefan Heinlein | 22.04.2009
    Stefan Heinlein: Geköpft, gehängt, aufs Rad geflochten - in den düsteren Zeiten des Mittelalters wurde mit Seeräubern kurzer Prozess gemacht. Die Freibeuter waren eine Plage der Meere und eine stete Gefahr für die Handelsflotte der Kaiser und Könige. Diese Zeiten sind lange vorbei, doch das Problem der Piraterie ist weiter aktuell. Trotz der internationalen Armada im Golf von Aden sind die somalischen Piraten auf Kaperfahrt. Ein lukratives Geschäft mit Erpressung und Lösegeldern. Heute beginnt in der kenianischen Hafenstadt Mombasa der Prozess gegen neun somalische Piraten, die von einer deutschen Fregatte Anfang März dingfest gemacht wurden.

    Vor dieser Sendung habe ich mit dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Jürgen Trittin, gesprochen, der ursprünglich zum Prozess nach Mombasa fliegen wollte, aber gestern in letzter Minute seine Reise doch noch absagte. Ich habe ihn gefragt, ob er seine Reise später nachholen will.

    Jürgen Trittin: Ich bin vom Bundesverteidigungsminister persönlich davon unterrichtet worden, dass die Fregatte abkommandiert worden ist in das Seegebiet. Vor diesem Hintergrund habe ich dann entschieden, diese Reise zu vertagen, nicht, sie abzusagen.

    Heinlein: Die deutsche Fregatte ist also abgelegt ohne Sie. Das klingt ein wenig wie Fahnenflucht der deutschen Marine vor einem Grünen-Spitzenpolitiker.

    Trittin: Nein, das sehe ich nicht so. Die Gründe, die Herr Jung mir dargelegt hat, sind schlicht und ergreifend, dass das EU-Oberkommando angesichts der Sicherheitslage im Seegebiet, im Golf von Aden diese Fregatte angefordert hat, und die sind nun mal zu dem Zweck dort, Piraten und Piraterie zu bekämpfen, und nicht, den Reisewünschen von Abgeordneten zu folgen. Das habe ich auch so akzeptiert.

    Heinlein: Herr Trittin, warum überhaupt diese hohe Anteilnahme an diesem Prozess? Muss ein deutscher Spitzenpolitiker somalischen Seeräubern diese große Aufmerksamkeit widmen?

    Trittin: Es geht nicht um die somalischen Seeräuber; es geht darum, dass wir mit der EU-Operation Atalanta einen Militäreinsatz haben, der von einer großen Mehrheit des Bundestages getragen wird, den auch meine Fraktion mitgetragen hat. Die Umsetzung dieses Auftrages parlamentarisch zu begleiten, ist eine der Aufgaben, die Parlamentarier ernst nehmen sollten. Man kann nicht Soldaten mit Aufgaben betrauen und dann nicht mehr nachschauen: Haben sie eigentlich das Material, haben sie die Kompetenzen, gibt es die Verfahren, dieses zu machen. Hier stellen sich eine ganze Reihe von Fragen.

    Heinlein: Welche Fragen stellen sich?

    Trittin: Zum Beispiel stellt sich die Frage, werden diese Straftäter künftig überhaupt verfolgt werden. Wir haben dieser Tage erlebt, dass die Niederländer Menschen, die der Piraterie verdächtigt waren, einfach wieder ausgesetzt haben, anstatt sie ordentlichen Gerichten zu übergeben. Wir haben gleichzeitig den Fall, dass die Bundeswehr zusammen mit einer amerikanischen Hubschrauberbesatzung diejenigen, die versucht haben, die MS Kurier zu entführen, festgesetzt hat und diese dann in Kenia nun vor Gericht gestellt werden. Auch hier ist es von Bedeutung: Ist dieses Verfahren rechtsstaatlich einwandfrei? Geschieht hier ein faires Verfahren, worauf jeder Straftäter einen Anspruch hat, und gibt es dann auch einen sauberen Strafvollzug? All dieses sind Fragen, wenn man in Ermangelung eines internationalen Gerichtshofes, den man hat, nun sagt, es soll die Gerichtsbarkeit für die Strafverfolgung von schwersten Straftaten in diesem Fall von Kenia ausgeübt werden und nicht in Deutschland, was ja theoretisch auch möglich wäre.

    Heinlein: Aber Herr Trittin, es gibt ja einen glasklaren Vertrag zwischen der Europäischen Union und Kenia über die Aufnahme und die Verurteilung festgenommener Piraten. Das scheint alles eine solide rechtliche Grundlage zu haben.

    Trittin: Es gibt einen Notenwechsel, der bestimmte prozedurale Fragen klärt. Dieses sagt nichts beispielsweise über die Frage der Haftbedingungen, es sagt nichts über das, was passiert eigentlich mit ihnen, wenn solche Menschen entweder freigesprochen, oder nach Absitzen ihrer Strafe entlassen werden, und es sagt auch überhaupt nichts darüber, ob und inwieweit diese, von deutschen Soldaten anderen übergebenen Strafverdächtigen dann künftig im Strafvollzug beispielsweise tatsächlich weiter verfolgt werden. Es muss ja das Interesse der Bundesrepublik Deutschland sein, Straftäter, die sich solch schwerer Straftaten auch gegen deutsche Schiffe, deutsche Besatzungsmitglieder, bis hin zur Entführung bei der MS Stavanger, auch tatsächlich zu verfolgen.

    Heinlein: Herr Trittin, hätten Sie es lieber gesehen, wenn der Prozess in Deutschland stattfinden würde?

    Trittin: Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat nach Vorlage dieses Abkommens auf die Strafverfolgung verzichtet, das Verfahren eingestellt. Deswegen kommt diesem ersten Strafverfahren auch eine solche besondere Bedeutung zu, weil in jedem Einzelfall, wo künftig wiederum der Piraterie Verdächtige festgesetzt werden von der deutschen Bundeswehr, die Staatsanwaltschaft in Hamburg erneut zu entscheiden haben wird. Das heißt, dieses Verfahren, was in Mombasa stattfindet, ist auch ein Präjudiz für künftige Entscheidungen der Staatsanwaltschaft in Hamburg. Nur wenn sie auf Strafverfolgung verzichtet, kann überhaupt die Strafverfolgung in Kenia stattfinden. Sonst müssen betreffende Tatverdächtigte in Deutschland, konkret in Hamburg vor Gericht gestellt werden.

    Heinlein: Noch mal die Frage: Hätten Sie es lieber gesehen, wenn in diesem konkreten Fall dieser Prozess auch schon in Deutschland stattgefunden hätte?

    Trittin: Nein. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat auf der Basis der Berichte der Bundesregierung entschieden, dass dieses so verfahren werden kann. Ich glaube, dass sie künftige Entscheidung davon abhängig machen wird, wie dieses Verfahren in Mombasa mit diesem ersten Fall tatsächlich vollzieht und was dann mit den Betreffenden auch beispielsweise in den kenianischen Gefängnissen passiert.

    Heinlein: Aber ermuntert die Aussicht auf ein Verfahren in Deutschland und gute Haftbedingungen dann hierzulande nicht die Piraten, einfach weiterzumachen?

    Trittin: Ich glaube nicht, dass Haft in Deutschland zum Vorwand genommen wird, eine massenhafte Asylbewegung in Gang zu setzen. Im Gegenteil: Was wir zurzeit erleben im Verhalten anderer Mitgliedsstaaten der EU, ist die faktische Straffreiheit. Es kann ja nicht sein, dass man mit großem Aufwand -und übrigens großen Gefahren - Soldaten einsetzt, um Piraterie zu unterbinden, und dann diejenigen, die bei solchen schwersten Verbrechen erwischt werden, einfach an Land wieder auszusetzen, damit sie den nächsten Versuch unternehmen können. Dieses ist mit meinem Begriff von Rechtsstaatlichkeit und meinem Begriff auch von der Notwendigkeit der Herstellung internationalen Rechts nicht zu vereinbaren, und ich glaube, das ist auch mit der Berufsauffassung der dort eingesetzten Soldatinnen und Soldaten nicht zu vereinbaren, was beispielsweise in den letzten Tagen durch die Niederländer dort praktiziert worden ist.

    Heinlein: Ein Teil der festgenommenen Piraten, Herr Trittin, verklagt ja derzeit die Bundesregierung wegen dieser Auslieferung an Kenia. Wird hier der Spieß umgedreht? Machen sich die Täter jetzt zu Opfern?

    Trittin: Erstens: Es handelt sich, auch wenn sie Verdächtige sind, noch immer, weil sie nicht verurteilt sind, um Unschuldige. Sie nehmen von ihren Rechten in einem Rechtsstaat wahr. Das ist ihr gutes Recht. Ob sie damit durchkommen, darüber entscheiden die Gerichte. Ich glaube schon, dass die Bundesrepublik Deutschland guten Grund hatte, diese vorläufig festzusetzen. Ob sie tatsächlich sich schuldig gemacht haben, darüber entscheidet jetzt ein kenianisches Gericht.

    Heinlein: Herr Trittin, Frage zum Schluss. Nach neuesten Zahlen ist die Zahl der Piratenüberfälle in den letzten Wochen deutlich gestiegen. Versagt der internationale Kampf gegen die Seeräuber?

    Trittin: Er versagt nicht, aber wenn nicht tatsächlich nun da rangegangen wird, Leute, die sich dieser Taten verdächtig gemacht haben, auch festzusetzen und sie dann einer ebenso effektiven wie rechtsstaatlichen Strafverfolgung zuzuführen, dann muss man sich nicht wundern, wenn das Geschäft der Piraterie weiter blüht, trotz aller Soldaten vor der Küste.

    Heinlein: Der grüne Spitzenkandidat Jürgen Trittin zum Piratenprozess heute in Kenia. Wir haben das Gespräch vor dieser Sendung aufgezeichnet.