Archiv


Trittin lobt "vorsichtigen Schuldenschnitt"

Griechenland habe jetzt ein Chance, aus der Misere herauszukommen, so der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin. Besonders lobt er die faktische Einführung eines Europäischen Währungsfonds, spricht sich aber weiter für Eurobonds aus, um Europa auf Dauer krisensicher zu machen.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: "Wir haben gehandelt, es wird die Zukunft Europas sichern", sagt die Kanzlerin. Die Staats- und Regierungschefs haben gestern ihre Differenzen und ihre gegenseitigen Verstimmungen ausgeräumt, fürs erste jedenfalls. Das neue Hilfspaket für Griechenland ist beschlossene Sache, über 100 Milliarden Euro. Allerdings: auch Banken und Versicherungen sollen diesmal zur Kasse gebeten werden.
    Am Telefon begrüße ich nun den Grünen-Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin. Guten Morgen.

    Jürgen Trittin: Guten Morgen!

    Müller: Herr Trittin, können Sie jetzt beruhigt in den Sommerurlaub fahren?

    Trittin: Beruhigt nicht, aber ohne Zweifel gibt es eine wichtige Bewegung, es gibt einen vorsichtigen Schuldenschnitt. Es gibt gleichzeitig, was wir seit Juni fordern, endlich eine Zinssenkung für Griechenland. Das heißt, Griechenland bekommt überhaupt eine Chance, aus der Misere rauszukommen. Es gibt Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und die Bundesregierung musste sich in einem Punkt bewegen, wo die Koalition hier bisher fundamental auf der Bremse stand.

    Der Europäische Rettungsfonds wird berechtigt, Anleihen auf dem Sekundärmarkt zu kaufen. Das heißt, Europa haftet heute mit seiner gesamten Kreditwürdigkeit für die Krisenländer. Das ist das, was die FDP bis zum Schluss verhindern wollte. Das war das, was einer Einigung Europas bis gestern im Wege gestanden hat. Dass Frau Merkel sich an dieser Stelle bewegen musste, das ist der entscheidende Schritt gewesen, damit es zu dieser Lösung, zu diesem großen Schritt in die richtige Richtung kommen konnte.

    Müller: Ist das jetzt ein Lob für die Kanzlerin?

    Trittin: Die Kanzlerin will immer dafür gelobt werden, dass sie nach einem Gipfel das verkündet, von dem sie vorher versprochen hat, dass sie das auf gar keinen Fall machen wird. Wenn Sie den Beschluss des Bundestages anschauen, den CDU und FDP gefasst haben, so haben die sich explizit dagegen ausgesprochen, dass der europäische Rettungsfonds berechtigt wird, solche Anleihen auf dem Markt zu kaufen. Das ist ökonomisch ein Schritt in die Richtung der von uns geforderten Euro-Bonds, also europäischer Anleihen statt weiterer nationaler Anleihen.

    Der europäische Rettungsfonds ist künftig berechtigt, übrigens auch vorbeugend gegen Spekulationen solche Anleihen aufzukaufen. Wir haben seit gestern faktisch einen europäischen Währungsfonds, und dieser europäische Währungsfonds, das war das, was Frau Merkel nie gewollt hat, im Gegensatz zu ihrem Finanzminister. Hier hat sie sich bewegen müssen, hier ist sie gezwungen worden, ihre Position zu verändern. Ob man sie dafür loben muss, das wage ich denn doch zu bezweifeln. Dass sie nicht mehr im Weg steht, ist gut.

    Müller: Sie freuen sich offenbar auch über diesen Punkt, die Euro-Bonds, die jetzt nicht so genannt werden, aber vom Prinzip her ist das ja zu vergleichen. Jetzt haben ja Experten davor gewarnt, wenn diese Euro-Bonds, wie auch immer genannt, kommen, dann wird das auch Nachteile und nachhaltige Wirkungen für den deutschen Zinsmarkt haben. Wollen Sie das?

    Trittin: Es ist in der Tat so, dass mit solchen Anleihen die Gefahr besteht, dass sich das Zinsniveau auch in ganz Europa anhebt. Nur Sie müssen dagegen immer abwägen die Maßnahmen und das, was Sie dafür zu bezahlen haben, wenn Sie so weitergewurstelt hätten wie die letzten Monate. Das wäre mit Sicherheit sehr viel teurer für die Steuerzahler gekommen. Und insofern tun wir jetzt einen wichtigen Schritt in Richtung einer Beendigung der Spekulation gegen den Euro. Wir tun dies allerdings auch in diesem Fall halbherzig.

    Die Einführung echter Euro-Bonds hätte gleichzeitig Instrumente bereitgestellt, die Haushaltsdisziplin in den Mitgliedsländern sehr viel stärker zu kontrollieren, als das mit diesem Verfahren möglich ist. Aber ökonomisch sind wir genau den Schritt gegangen hin dazu, dass wir heute sagen, Europa haftet für den Euro, und wir haben uns verabschiedet davon, so zu tun, als wenn diese Krise eine griechische Krise wäre. Es ist eine europäische Krise.

    Müller: Wenn wir die Zahlen, Jürgen Trittin, richtig verstanden haben – es liegen ja jetzt viele Zahlen seit dem Beschluss gestern in Brüssel auf dem Tisch -, dann beträgt dieser Haircut, also der Schuldenerlass für Griechenland, lediglich zwölf Prozent. Reicht das aus?

    Trittin: Da sind auch meine Zweifel am größten. Ich bin immer davon ausgegangen, dass ein Schuldenschnitt in der Größenordnung von ungefähr 30 Prozent nötig ist. Aber noch mal: Es ist ein wichtiger Schritt, man ist einen Schritt gegangen, den gerade die deutsche Bundesregierung bis vor Kurzem noch strikt überhaupt verweigert hat.

    Müller: Volker Finthammer, unser Korrespondent, hat ja andere Zahlen wiederum genannt: 37 Milliarden Euro sollen die Banken und die Versicherungen beitragen bis 2014. Dieser Beitrag ist freiwillig. Wir haben vor wenigen Wochen auch mit dem Bankenverband gesprochen, die sind da noch von 10, 15, maximal 17 Milliarden europaweit ausgegangen. Werden die das mitmachen?

    Trittin: Sie können es heute mitmachen, da wir nun auch innerhalb des EFSF eine Regelung haben, die die Liquidität der Banken sichert. Wir haben also für einen solchen Fall der Beteiligung der Banken an der Krise einen Mechanismus geschaffen, der sicherstellt, dass die Liquidität auch des griechischen Bankensektors nicht infrage gestellt wird, und das war der eigentliche Grund, warum die Europäische Zentralbank gegen eine solche private Gläubigerbeteiligung überhaupt war. Man hat dieses Problem gelöst und indem man dieses Problem über die Liquiditätshilfe gelöst hat, konnte man auch den Anteil der Privaten ein Stück erhöhen.

    Müller: Dennoch muss die Politik jetzt wieder der Bevölkerung erklären, auch der Steuerzahler muss nach wie vor zahlen. Es sind ganz hohe Milliarden-Beträge, die da auf den Steuerzahler zukommen. Sind die Griechen aber inzwischen gestraft genug?

    Trittin: Ich glaube, dass das in Deutschland am einfachsten zu erklären ist. Deutschland ist das Land, was am meisten von der gemeinsamen Währung Euro profitiert hat. Wir verdanken einen Großteil unseres Wohlstandes dort. Deutschland hat Exportüberschüsse, ein Viertel der Exportüberschüsse geht zurzeit in ungefähr die Krisenländer, über die wir heute hier sprechen. Das ist der Grund, warum wir ein massives Interesse daran haben, dass die auf die Beine kommen, und insofern glaube ich, dass die Situation in Ländern wie Portugal, Griechenland und Irland sehr, sehr viel schwieriger ist als in Deutschland. Wir haben hier Geld zu investieren, aber es ist am Ende gut investiertes Geld.

    Müller: Also das heißt, für Sie ist das ganz klar: Der Steuerzahler muss weiter ran?

    Trittin: Ich glaube, dass wir in dieser schweren Situation davor stehen, dass wir dieses gemeinsame Europa mit all den Wohlstandsvorteilen, die wir speziell für Deutschland haben, verteidigen müssen. Diese Verteidigung ist gestern einen Schritt weiter gekommen, dadurch, dass Frau Merkel gezwungen wurde, ihren Widerstand gegen quasi Euro-Bonds und gegen einen relevanten Schuldenschnitt gezwungen war aufzugeben.

    Müller: In der vergangenen Woche hatten wir ja noch ein weiteres Thema, einen weiteren Aspekt in der Diskussion, nämlich Italien. Bereitet Ihnen das auch noch Sorge?

    Trittin: Ich glaube, dass ein Teil des Mechanismus, gegen Italien zu spekulieren, mit der Möglichkeit heute des EFSF, in den Märkten zu intervenieren, bevor es zu einer Abwärtsspirale kommt und eine Spekulation auf Kursverluste einsetzt, dass wir diesem Mechanismus mit der neuen Möglichkeit ein ganzes Stück besser vorgebeugt haben.

    Müller: Und damit ist Italien quasi gerettet?

    Trittin: Ich weiß nicht, ob Italien damit gerettet ist, aber die Spekulation an den internationalen Finanzmärkten gegen einzelne Mitglieder der Euro-Zone, die wird mit dieser Möglichkeit deutlich erschwert.

    Müller: Jetzt müssen wir, Jürgen Trittin, noch mit einem Missverständnis aufräumen. Die Regierungschefs, die Staats- und Regierungschefs haben ein Paket beschlossen. Entscheiden müssen letztendlich die Parlamente. Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe in Ihrer Analyse, in Ihrer Interpretation, werden die Grünen dem zustimmen?

    Trittin: Wir werden aller Voraussicht nach dem zustimmen. Ob die CDU und die FDP dem zustimmen kann, das müssen Sie die fragen, denn die haben im Bundestag genau beschlossen, dass es das alles nicht geben soll, und insofern hat Frau Merkel erneut etwas getan, wie schon beim Atomausstieg, nämlich nicht das umgesetzt, was eigentlich Auffassung der sie tragenden Parteien ist.

    Müller: Befürchten Sie dann nicht, dass die Grünen zum Kanzler-Wahlverein werden?

    Trittin: Ich befürchte nur, dass die Grünen für ihre klaren Positionen in letzter Zeit häufig Mehrheiten bekommen, obwohl sie in der Opposition sind. Das ist für eine Oppositionspartei nichts, wovor man sich fürchten soll.

    Müller: Und mit der SPD läuft das auch ganz gut?

    Trittin: Ich hatte den Eindruck, dass die SPD beginnt, von uns zu lernen. So hat sie Anfang dieser Woche das Signal gezeigt, dass sie schwierigen Entscheidungen zustimmen wird. Das hatte sie bei der ersten Tranche Griechenland-Hilfe noch nicht so auf dem Schirm. Ich freue mich, dass auch die Genossen in dieser Hinsicht lernfähig werden, nämlich dass dieses Europa etwas ist, was alle Demokraten in diesem Lande nachdrücklich verteidigen sollten.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Trittin: Ich danke Ihnen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.