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Trittin sagt Jein zum Griechenlandpaket

Im Grundsatz hält Jürgen Trittin (Bündnis90/Grüne) das geplante Rettungspaket für Griechenland für richtig. Es müsse aber mit einer vernünftigen finanziellen Regelung unterlegt sein - und mit einem ordentlichen parlamentarischen Verfahren.

Das Gespräch führte Sandra Schulz | 28.11.2012
    Sandra Schulz: Neue Milliarden fließen nach Griechenland, das ist seit gestern Nacht klar. Schuldenrückkauf statt Schuldenschnitt, das ist einer der Kernpunkte der Verabredungen der Euro-Finanzminister. Griechenland kauft eigene Anleihen und profitiert von deren enormem Wertverfall, eine Entlastung von 20 Milliarden Euro soll die Verabredung bringen, mit der die Geldgeber ihre Finanzhilfen für Griechenland verknüpft haben. Zinssenkungen und eine deutliche Streckung der Kredite gehören auch dazu. Auf den deutschen Haushalt kommen Belastungen in wohl dreistelliger Millionenhöhe zu. Zum ersten Mal geht es sozusagen um echtes Geld, nicht nur um Garantien. Darum braucht die Bundesregierung die Zustimmung des Bundestages.
    Mitgehört hat Jürgen Trittin, im Bundestag Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Den Grünen. Ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Herr Trittin, können Sie Nein sagen zu den neuen Griechenlandhilfen?

    Trittin: Die Bundesregierung tut nun endlich mit Monaten Verspätung das, was wir von ihr immer gefordert haben. Man hat in Griechenland zu viel gespart, zu wenig auf Einnahmen geachtet. Das Ergebnis ist eine veritable Rezession. Die Schulden sind nicht kleiner, sondern größer geworden. Und weil man zu viel gespart hat, wird es jetzt für den Rest Europas teurer.

    Schulz: Herr Trittin, sagen Sie Nein?

    Trittin: Die Grundüberlegung, heute zu sagen, wir geben den Griechen zwei Jahre mehr Zeit, wir sparen also weniger, die ist völlig richtig. Das kostet Geld. Die Bundesregierung nähert sich hier der Wahrheit an. Das werden über den Daumen alles in allem 44 Milliarden Euro sein, die durch Bürgschaften, durch neue Kredite, durch Verzicht auf Einnahmen und Ähnliches mobilisiert werden müssen. Aber wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht – und deswegen legen wir Wert auf sorgsame Beratungen im Haushaltsausschuss beispielsweise heute -, ob dann diese Einnahmen tatsächlich so eintreffen. Deutschland hört auf, an der Hilfe für Griechenland zu verdienen. Das haben wir ja bisher gemacht. Wir verzichten jetzt auf 130 Millionen Zinseinnahmen, die wir sonst von Griechenland kassiert hätten. Wir wollen aber auch 600 ...

    Schulz: Herr Trittin, darf ich Ihre Ausführungen so zusammenfassen, dass Sie Ja sagen werden zu den Griechenlandhilfen?

    Trittin: Darf ich das eben zu Ende sagen, weil das vielleicht für die Bürger wichtig ist?

    Schulz: Sind Sie denn ein Abnickparlament?

    Trittin: Noch mal: Wir verzichten darauf, auf 130 Millionen Zinseinnahmen, und die Bundesregierung behauptet, wir würden von der Europäischen Zentralbank 600 Millionen Gewinn ausgeschüttet bekommen. Der ist aber schon an anderer Stelle vorgesehen. Das sind alles Dinge, die geklärt werden müssen, wenn man denn am Ende des Tages erreichen will, dass dieses Parlament das tut, was vernünftig ist, nämlich Griechenland zwei Jahre mehr Zeit zu geben. Und für diese Dinge lohnt sich nicht der von der Koalition angekündigte Schweinsgalopp, heute mal das Parlament, den Haushaltsausschuss informieren und morgen stimmen wir mal ganz schnell ab. Da muss der Abgeordnete schon in der Lage sein, seine Fragen zu stellen und von der Regierung auch beantwortet zu bekommen.

    Schulz: Herr Trittin, mal unterstellt, es würde am Freitag abgestimmt – würden Sie mit Nein stimmen?

    Trittin: Noch mal: Wir haben immer gesagt, wir müssen Griechenland mehr Zeit geben. Das haben wir im Juni auf einem Parteitag schon beschlossen. Wir werden doch nicht gegen eigene Parteitagsbeschlüsse stimmen. Nur es muss klar sein, dass dieses tatsächlich dann auch mit vernünftigen finanziellen Regelungen unterlegt ist. Man kann nicht mit Einnahmen rechnen, die es möglicherweise nicht gibt. Wenn die Bundesbank den Gewinn nicht zur Verfügung stellt, hat der Haushaltsgesetzgeber ein Problem. Dann fehlen nämlich von den 730 Millionen für nächstes Jahr plötzlich 600.

    Schulz: Wann soll die Abstimmung stattfinden, wenn es nach Ihnen geht?

    Trittin: Wir haben gesagt, wir machen das wie in jedem regulären Gesetzgebungsverfahren: Also wenn mittwochs Ausschussberatung ist, dann kann man am Freitag darüber abstimmen. Das setzt aber voraus, dass man in den Ausschüssen zu vernünftigen Beschlussempfehlungen kommt, nämlich zu fragen, ob das, was Herr Schäuble da auf seinem Zettel stehen hat und was er uns gestern nicht so richtig erklären konnte, nun tatsächlich aufgeklärt wird. Ich glaube, ein Teil hat auch damit zu tun, dass der Streit zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds in einem sehr wackeligen Kompromiss geendet ist. Der Internationale Währungsfonds wollte ja klargestellt haben, dass 2020 Griechenland nur noch 120 Prozent an Schulden machen darf. Das ist ihm nicht gelungen. Stattdessen gelten jetzt 2022 110 Prozent, und da hat man sich irgendwie auf diese Zahl hinbewegt. Da sind aber in diesen Rechnungen eine ganze Reihe von Unbekannten, zum Beispiel wie viele Anleihen auf dem Markt sich überhaupt zu ungefähr ein Drittel des Wertes zurückkaufen lassen.

    Schulz: Darauf würde ich gleich noch zu sprechen kommen, auf die Ungewissheiten. Aber ich wollte jetzt gerne noch mal bei dem Zeitplan bleiben. Die Union stellt sich ja inzwischen auch eine Abstimmung offenbar am Freitag vor, Sie auch. Da steht dann quasi schon Schwarz-Grün?

    Trittin: Nein. Es geht darum, dass wir gesagt haben – das haben wir auch gestern Morgen schon in der Telefonkonferenz der Fraktionsvorsitzenden gesagt -, wir wollen ein ordentliches Verfahren. Ordentliches Verfahren heißt, dass zwischen der Beschlussempfehlung eines Ausschusses und dem Beschluss des Bundestages die üblichen 24 Stunden liegen. Das ist ein vernünftiges Verfahren. Das wollte die Regierung nicht, bis heute hat sie auch anders beschlossen. Bis heute sieht die Tagesordnung vor, am Donnerstag zu entscheiden. Das halten wir für definitiv falsch. Wenn die Koalition sich am Ende des Tages bewegen sollte, dann freuen wir uns, wie wir uns immer freuen, wenn die Koalition am Ende gezwungen ist, das zu machen, was wir von ihr verlangen.

    Schulz: Wir sind ja jetzt gerade im Gespräch, deswegen würde ich lieber über die Zwänge sprechen, in denen Sie stecken. Ich habe es nämlich immer noch nicht verstanden, Sie haben es ja auch gesagt: Im Grunde können Sie die Griechenland-Hilfen nicht ablehnen. Womit drohen Sie denn eigentlich?

    Trittin: Entschuldigen Sie! Wenn die Bundesregierung das, was sie vorlegt, nicht ordentlich finanziert, dann kann man dem gar nicht zustimmen. Nur richtig bleibt, dass die Entscheidung, Griechenland mehr Zeit zu geben, die richtige Entscheidung ist. Wie gesagt, wir haben dieses Mehr an Zeit bereits im Juni letzten Jahres deutlich gefordert. Wir haben damals schon gesagt, das wird auch Deutschland Geld kosten. Die Zeiten, wo Deutschland an der Krise der anderen Staaten der Eurozone kräftig mitverdient, diese Zeiten sozusagen des Krisenprofits sind vorbei, und das ist nun eingetreten, gegen die Ankündigungen der Bundesregierung, gegen die vielfältigen Versicherungen der Regierung. Sie erinnern sich vielleicht noch, dass der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder erklärt hat, es gebe höchstens ein paar Tage Verlängerung für Griechenland; jetzt sind es mehr als 730 Tage geworden. Das sind halt ziemlich schlechte Propheten!

    Schulz: Aber wenn Sie die Regierungskoalition jetzt auch wieder so harsch kritisieren, warum stimmen Sie denn dann immer für den Eurokurs der Bundesregierung?

    Trittin: Noch mal: Wenn die Regierung das tut, was wir von ihr verlangen, warum sollen wir gegen unsere eigenen Positionen stimmen? Es ist ja die Regierung, die hier einen Schwenk macht, und nicht Bündnis 90/Die Grünen und übrigens auch nicht die SPD. Wir haben, dass dieses Ergebnis, was heute vor Weihnachten vorliegt, schon lange vorhergesagt und eingefordert. Wenn die Regierung ihre Meinung ändert aufgrund der Tatsache, damit überschätzt sie ja nicht unsere Kraft, sondern einfach schlicht der Realitäten, dann muss die Regierung begründen, warum sie ihre Versprechung, nämlich dass die Griechenlandhilfe nichts kosten wird, dass Griechenland 2014 wieder aus dem Mustopf raus sein wird, all diese halbseidenen Märchen, wenn sie die reinholt, haben die da wohl Erklärungsbedarf, nicht die Grünen.

    Schulz: Sagen Sie denn dann auch voraus, dass der Schuldenschnitt kommt?

    Trittin: Es wird mit Sicherheit eine Regelung geben, die hier dazu führt, dass Forderungen an Griechenland abgeschrieben werden. Das wird aber nicht vor 2016 der Fall sein. Bis 2016, also dem Zeitpunkt, wo Bürgschaften ausgereicht werden, gibt es hier tatsächlich ein rechtliches Hindernis. Die Euro-Finanzminister haben das ja in ihrem Beschluss von gestern Nacht schon angekündigt, dass ab 2016 zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Da reden sie noch drum herum. Ab 2016 gibt es keine Hindernisse mehr für einen solchen Schuldenschnitt und einen Forderungsverzicht. Ich bin ziemlich sicher, dass es in der einen oder anderen Form eben diesen Forderungsverzicht geben wird, wenn Griechenland das tut, was sie sich verpflichtet haben zu tun, zum Beispiel jetzt daran gehen, ein vernünftiges Steuergesetz und eine funktionierende Steuerverwaltung aufzubauen. Griechenland hat ja nicht in erster Linie ein Ausgabenproblem, sondern ein massives Einnahmeproblem. Die, die Steuern zahlen sollten, die zahlen einfach nicht.

    Schulz: Jürgen Trittin, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Den Grünen, hier heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank für das Interview.

    Trittin: Ich danke Ihnen, Frau Schulz.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.