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Triumph durch Schlichtheit

Bei den Insbrucker Festwochen für Alte Musik wurde eine Inszenierung von Giulio Caccinis "L'Euridice" gezeigt, die im Jahr 1601 als erste vollständig gedruckte Oper entstand. Regisseur Hinrich Horstkotte hat dies in ihrer Schlichtheit triumphal umgesetzt.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Innsbruck bot Giulio Caccinis "L'Euridice" bei den Festwochen.
    Innsbruck bot Giulio Caccinis "L'Euridice" bei den Festwochen. (picture alliance/Markus C. Hurek)
    Eines ist bei dieser letzten Festwochenproduktion wirklich skandalös. Sie wurde lediglich zwei Mal im Innsbrucker Landestheater gespielt. Ein Skandal! Denn was Hinrich Horstkotte (Regie, Kostüme) und Rinaldo Alessandrini (Dirigat, Cembalo, Orgel) da vollbracht haben, ist schlichtweg ein Triumph. Oder auch ein Triumph durch Schlichtheit. Besser kann man nämlich eine durchaus schwierige Barockoper wohl kaum in Szene setzen.

    Giulio Caccini wurde vermutlich 1551 in Rom geboren und wirkte zunächst als Sänger und Pädagoge, später wurde er zum gefragten Komponisten. Um 1600 herum entsteht teilweise im Dunstkreis der Medici eine Vorform jener Gattung, die wir heute Oper nennen. Neben Caccini warb damals auch Jacopo Peri mit einer "Euridice"-Vertonung um die Gunst des adligen Publikums – beide Versionen benutzten die gleiche Textvorlage und wurden als Hochzeitsgeschenk für Maria de Medici und Heinrich IV. von Frankreich komponiert.

    Im Januar 1601 erscheint Caccinis Variante im Druck und ist damit die erste vollständig gedruckte Oper. Notiert wurden allerdings nur Gesangsstimmen und Generalbass, was den ausführenden Musikern heute notgedrungen große Freiräume bietet. Rinaldo Alessandrini - unter diesem Namen könnte sich gut auch ein vergessener Barockkomponist verbergen - lässt sein formidables Ensemble Concerto Italiano eher sanft und fein spielen, was dem rituellen und recht statischen Charakter des Werks angemessen ist. Es gibt ja noch keinerlei Bravourarien oder süffige Zwischenspiele, sondern einen ruhigen Klangfluss, der sich immer wieder mal überraschend verdichtet und kurzzeitig die Geschwindigkeit wechselt.

    Dass manche Sänger gelegentlich die strukturell nicht zu komplexen, aber dynamisch durchaus trickreichen Verzierungen etwas verschmieren, ist der einzige Wermutstropfen an diesem Abend. Furio Zanasi sang die Orfeo-Partie formschön und mit klarer Diktion, Silvia Frigato war eine angenehm timbrierte Euridice und "Tragedia". Aufregend Sara Mingardo in der Doppelpartie Dafne und Proserpina, fein Gianpaolo Fagotto als Arcetro. A- wer? Tja, anders als bei den üblichen Orpheus und Eurydike-Varianten geraten wir hier in ein dichtes Gestrüpp aus allegorischen Figuren, (Halb-)Göttern und Fabelwesen. Mal treten sie solistisch auf, mal im Chor. Doch das flüssige Parlando beherrschen sie alle bestens.

    Nicht nur dramaturgisch ist das von Ottavio Rinuccini verfasste Libretto überaus interessant. In der Unterwelt beispielsweise bezirzt Orfeo das grimmige Personal weniger durch Gesang, denn durch einen philosophischen Diskurs. Und ein ganzes Rudel von Erzählern mischt sich immer wieder kommentierend ein, vergisst jedoch nie, den Widmungsträgern mehr oder weniger direkt zu huldigen. Weil es eine Hochzeitoper ist, gibt es naturgemäß dann auch ein frohes Finale.

    Hinrich Horstkotte hat sich von Nicolas Bovey eine fantastische Bühne in Schwarz-Weiß-Optik bauen lassen. Es gibt einen großen, beweglichen Kasten, in dem agiert wird, Schneefall, in den Himmel steigendes Schilfgras, anmutige Glühwürmchen, eine wundersam luzide Unterwelt und eine kleine Prise Filmprojektionen (Blut, Sand, Erde). Stilisierte Gesten mischen sich mit leichtem Naturalismus aufs Vorzüglichste.

    Und als besonderer Clou tritt das Hochzeitsherrscherpaar auch noch anfangs und am Ende selbst auf, zwischenzeitlich schlüpft es nämlich in die Rolle von Proserpina und Pluto – ein wirklich brillanter, stimmiger Einfall.

    Jetzt muss sich nur noch ein Theater finden, dass "L'Euridice" nachspielt. Alles andere wäre wirklich ein Jammer!