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Tröglitz
Aufgeheizte Stimmung hat sich gelegt

Medien weltweit berichteten darüber: Der Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz im vergangenen April hatte ein internationales Echo erfahren. Auch der Rücktritt des ehrenamtlichen Bürgermeisters Markus Nierth sorgte für Schlagzeilen. Wie ist die Situation in dem Ort heute? DLF-Landeskorrespondent Christoph Richter hat Tröglitz erneut besucht.

Von Christoph Richter, Landeskorrespondent Sachsen-Anhalt. | 27.01.2016
    Ein weiß-rotes Band mit der Aufschrift "Polizeiabsperrung" hängt quer über die Straße. Dahinter sieht man ein Feuerwehrauto mit Feuerwehrmännern und Polizisten sowie das Heim mit dem abgebrannten Dach.
    Absperrung vor dem in Brand gesteckten Flüchtlingswohnheim am 4.4.2015 in Tröglitz. (picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt)
    Menschen hasten durch den Ort, den Blick nach unten gerichtet. Im wolkenverhangenen Tröglitz - im südlichen Sachsen-Anhalt - sind auf den Straßen und Plätzen kaum noch offen formulierte rassistische Sprüche zu hören. Die aufgeheizte Stimmung, wie man sie als Besucher vor wenigen Monaten erleben konnte, hat sich gelegt. Um Mikrofone machen die Tröglitzer aber dennoch einen großen Bogen, nur wenige reden.
    "Wir sind froh, dass Ruhe eingekehrt ist. Es wird auch nicht mehr drüber gesprochen", sagt eine Rentnerin, mit dem vollgepackten Einkaufsbeutel im Arm. Doch wenn man sie auf die Flüchtlinge direkt anspricht, überwiegt Skepsis gegenüber den neuen Mitbewohnern. Man nehme sie wahr, heißt es. Mehr aber auch nicht. "Hauptsache, die können sich benehmen."
    Von Empathie ist kaum etwas zu spüren. Dass jetzt zehn neue Flüchtlinge aus Afghanistan kommen, ist egal.
    Frau: "Wir können das sowieso nicht ändern."
    Mann: "So viele Flüchtlinge gibt es gar nicht, wie wir leere Wohnungen haben." Alle lachen. Die Menschen flüchten sich in Sarkasmus.
    Erst 2017 soll die Ruine saniert werden
    Die durch eine Brandstiftung zerstörte Flüchtlingsunterkunft steht wie eine offene Wunde in Tröglitz. Die angekohlten Dachbalken sind mittlerweile mit einer Plane verdeckt, damit es nicht reinregnet. Frühestens 2017 soll die Ruine saniert werden. Täter hat man bisher nicht ermitteln können.
    Das Bild zeigt das Haus mit Gerüst schräg von der Seite. Im Vordergrund fährt ein rotes Auto vorbei.
    Ein Gerüst umgibt inzwischen die zerstörte Unterkunft. (Hendrik Schmidt / dpa)
    "Hier gibt's so gut wie gar keine Stimmung mehr", erzählt ein Mann um die 40, der gerade aus der Apotheke kommt. "Jeder macht sein Ding für sich."
    Es wird deutlich, ein tiefer Riss geht durch den Ort. Zwischen denjenigen, die den Ort als braunes Nest stigmatisiert sehen und denjenigen, die den Flüchtlingen offen gegenüber stehen. Menschen, die vorher befreundet waren, hört man, reden nicht mehr miteinander, gehen heute grußlos aneinander vorbei. Was passieren muss, um die Menschen wieder zusammen zu bringen, dafür gibt es keine generellen Rezepte, sagt Landrat Götz Ulrich aus dem Burgenlandkreis. "Das muss von unten sich entwickeln, das muss aus der Mitte der Gesellschaft geschehen. Wir können nur den Rahmen dafür liefern."
    Ex-Bürgermeister Nierth denkt an Wegzug
    Der einstige Ortsbürgermeister Markus Nierth will zur Situation im Ort nicht vor dem Mikrofon sprechen. Zur Erinnerung: Im März vergangenen Jahres war er wegen einer angekündigten NPD-Demo, die vor seinem Haus stattfinden sollte,zurücktrat. Was für großes Aufsehen sorgte. Das letzte Jahr sei für die ganze Familie kein einfaches gewesen, sagt Nierth. Freunde hätten sich abgekehrt, andere würden die Straßenseite wechseln. Man überlege, Tröglitz den Rücken zu kehren, so Nierth. Als selbstständiger Trauerredner habe er wegen seines Einsatzes für Flüchtlinge auch ein Drittel Umsatzeinbußen hinnehmen müssen, erzählt er noch. Ähnlich sei es seiner Frau ergangen, einer ausgebildeten Tanzpädagogin.
    Nierth spricht mit grauen Haaren und Brille in ein Mikrofon.
    Der zurückgetretene Ortsbürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Es existiert keine offene Kommunikation zwischen den Menschen in Tröglitz. Aber es gibt auch keine Rede zwischen den Politikern im Land sowie dem Landkreis und den Kommunalpolitikern vor Ort, klagt Thomas Körner. Er ist der Ortsbürgermeister in Tröglitz. So habe er von dem Eintreffen der zehn neuen Flüchtlinge, für die in Tröglitz extra drei Wohnungen angemietet wurden, erst erfahren, als sie schon da waren. Bürgermeister Körner – ein freundlich zugewandter Mann, Anfang 50 – ist genervt. Er könne nicht verstehen, erzählt er, dass man an den 40 Flüchtlingen festhalte, die perspektivisch in Tröglitz untergebracht werden sollen. "Ich wäre schon froh, wenn ich informiert würde. Zumindest, dass man erfährt, wann die Flüchtlinge kommen."
    Für Rechtsextremismus-Experte David Begrich ist das Handeln der Verwaltung dagegen, durchaus nachvollziehbar. "Die Überlegung, die seitens der Verwaltung dahinter steht, ist zu sagen, wir wollen die Deutungshoheit, auch die Informationshoheit behalten, im Umgang mit Flüchtlingen. Also was man auf den ersten Blick als Geheimniskrämerei vielleicht interpretiert, ist einfach der Wunsch nach einer selbstbestimmten strategischen Kommunikation."
    Afghanische Fußballer fest integriert
    Doch es ist in Tröglitz nicht nur Depression zu spüren. Am Rand des Ortes sieht es anders aus. Denn auf dem Fußballplatz des TSV Tröglitz herrscht geradezu euphorische Stimmung. Zwei der afghanischen Flüchtlinge, die im Juni nach Tröglitz gekommen sind, sind im Team fest integriert. Seit kurzem besitzen sie nicht nur Fußballschuhe, sondern – und das ist in Deutschland viel wichtiger – einen Spieler-Pass. Aber auch ein Syrer, der dort in der 2. Liga und ein Tunesier, der in der U23-Nationalmannschaft gespielt haben soll, sind aus dem benachbarten Flüchtlingsheim in Kretzschau gekommen und werden demnächst das Team des Kreisligisten TSV Tröglitz verstärken.
    Der Vereinsvorsitzende Tobias Neupert des 270 Mitglieder zählenden Vereins TSV Tröglitz nennt das Ganze, eine vertrauensbildende Maßnahme. "Ja, das auch viele mal einen Eindruck bekommen, was die Leute in ihrer Heimat zu kämpfen haben, wo die herkommen, was sie bewegt."