Lennart Pyritz: Über die Folgen von Jagd – besonders für große Säugetiere – in den Tropenwäldern der Erde war bislang eher wenig bekannt. Woran liegt das?
Ana Benítez-López: Ich denke, einer der Hauptgründe, warum das nicht so viel Aufmerksamkeit erfahren hat, ist, dass es wirklich schwer zu beobachten ist und wir derzeit nur spärliche Informationen aus lokalen Studien haben. Und in den wenigen Fällen, in denen größer darüber berichtet wurde, ging es um charismatische Arten wie Elefanten und Nashörner und den illegalen Handel mit Wildtieren. In unserer Studie haben wir jetzt versucht, auch die Folgen der Jagd einzubeziehen, die Menschen lokal zum Eigenbedarf für ihren Lebensunterhalt betreiben.
Informationen aus mehr als 160 Studien
Pyritz: Sie liefern mit einem Modell, das sie im Fachblatt PLOS Biology präsentieren, neue Einblicke. Wie haben sie die Folgen der Jagd dafür bewertet? Welche Daten haben Sie verwendet?
Benítez-López: In unserer Analyse haben wir Gebiete mit mehr als 20 Prozent Baumbedeckung berücksichtigt. Dazu gehören neben Wäldern also auch Savannen. Es gibt viele lokale Studien, die in den vergangenen 40 Jahren in Mittelamerika, Afrika und Asien durchgeführt wurden und untersucht haben, wie die Populationsdichte von Säugetierarten mit der Nähe von Dörfern, Straßen und anderen Zugangspunkten für Jäger zusammen hängt. Wir haben diese Informationen aus mehr als 160 Studien gesammelt. Dann haben wir die Lokalität der Studien mit entsprechenden räumlichen Daten gekoppelt, die sich auf andere sozio-ökonomische Faktoren beziehen, die die Jagd beeinflussen, zum Beispiel die Bevölkerungsdichte oder das Armutsniveau. Wir haben untersucht, welche dieser Prädiktoren besonders gut die Abnahme der Populationsdichten erklären, und schließlich das Modell auf alle Arten in den gesamten Tropen übertragen.
Pyritz: Was waren die wichtigsten Ergebnisse der Studie?
Benítez-López: Das Modell umfasst alle Säugetierarten in den Tropen, auch kleine, die normalerweise nicht gejagt werden. Und was wir sehen, ist ein durchschnittlicher Rückgang der Dichten um 13 Prozent. Für die größeren Arten, die gejagt werden, ergeben unsere Schätzungen aber einen durchschnittlichen Rückgang der Populationen um 40 Prozent in den Tropen. Und das umfasst stark bejagte Gebiete aber auch solche, wo nicht gejagt wird. Wir betrachten dabei keine zeitlichen Trends, sondern machen räumliche Vergleiche. Das heißt, wir vergleichen Gebiete, in denen Jagddruck besteht, mit Gebieten in der Umgebung, in denen nicht gejagt wird. Das ist eine Momentaufnahme, eine erste Schätzung auf Grundlage der Daten, die uns zur Verfügung stehen. Denn langfristige Informationen über Tier-Populationen in den Tropen existieren praktisch nicht. Und das ist auch einer der Gründe, warum es bisher so schwierig war, die Auswirkungen der Jagd in den Tropen abzuschätzen.
Steigende Nachfrage nach Wildfleisch
Pyritz: Welche Tierarten und welche Regionen sind denn ihrer Analyse zufolge offenbar besonders durch die Jagd bedroht?
Benítez-López: Nach unseren Modellen sagen wir voraus, dass die Tierpopulationen besonders in Gebieten Westafrikas durch Bejagung abgenommen haben, aber auch in einigen Regionen in Zentralafrika, Mittelamerika und Südostasien. Dahinter steckt eine Kombination von besserer Zugänglichkeit der Wälder und steigendem Bevölkerungswachstum und damit der Nachfrage nach Wildfleisch. Bezogen auf die Arten können wir sagen, dass die größeren Spezies am stärksten betroffen sind. Aber ich würde das Modell nicht verwenden, um Schätzungen für einzelne Arten abzugeben.
Pyritz: Wie könnten ihre Daten über den jagdbedingten Verlust von Tierarten in Tropenwäldern dem Naturschutz helfen?
Benítez-López: Mit unseren Karten könnten wir dazu beitragen, ein besseres Bild vom weltweiten Verlust der Biodiversität zu erhalten. Und wir können damit Bereiche lokalisieren, in denen der Jagddruck potenziell einige Säugetierpopulationen beeinträchtigt. Diese Informationen können dann zur Planung von Naturschutzstrategien beitragen. Also: in diese Gebiete gehen und prüfen, ob die Säugetierpopulationen dort tatsächlich dezimiert wurden oder nicht, und welche Faktoren dafür mitverantwortlich sind. Die Informationen könnten auch dabei helfen, neue Schutzgebiete auszuweisen oder Managementmaßnahmen für bestehende Schutzgebiete zu entwickeln.