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Trotz Sonntagsruhe kann man "in Spielhöllen gehen"

Der Sprecher des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels, Hubertus Pellengahr, findet, die Menschen sollten selbst entscheiden können, wann sie einkaufen wollten. Trotzdem könne der Einzelhandel mit dem Urteil des Verfassungsgerichts "gut leben".

Hubertus Pellengahr im Gespräch mit Silvia Engels | 01.12.2009
    Silvia Engels: Das Wichtigste zuerst. Wenn Sie in Berlin leben und vor hatten, Ihre gesamten Weihnachtseinkäufe an den verbleibenden Adventssonntagen zu erledigen, dann müssen Sie nicht umplanen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht heute entschieden, dass die Regelung in der Hauptstadt zu weit geht. Dort kann an bis zu zehn Sonntagen im Jahr der Laden offen sein. Doch die Änderungen am Gesetz sollen erst ab dem kommenden Jahr greifen. Am Telefon ist der Sprecher und Geschäftsführer des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels, Hubertus Pellengahr. Guten Tag, Herr Pellengahr.

    Hubertus Pellengahr: Frau Engels, guten Tag.

    Engels: Es sei ein Signal gegen den Kommerz, so begrüßen die Kirchen das Urteil. Fühlen Sie sich angesprochen?

    Pellengahr: Nein, wir fühlen uns nicht angesprochen. Wir wollten ja nur einzelne verkaufsoffene Sonntage über das Jahr verteilt haben. Die sind ausdrücklich vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Auch verkaufsoffene Adventssonntage sind weiterhin möglich, nur nicht wie in Berlin vier hintereinander.

    Engels: Verhagelt Ihnen denn diese Entscheidung künftig das Weihnachtsgeschäft?

    Pellengahr: Nur in Berlin und in einigen Kommunen in Sachsen gab es diese vier verkaufsoffenen Adventssonntage. Dort muss man umdisponieren. Man muss sehen, ob ein oder zwei Adventssonntage möglich sind. Ansonsten verteilen sich dann die verkaufsoffenen Sonntage auf andere Wochenenden im Jahr und müssen eine verfassungskonforme Begründung haben. Erst danach wird man sehen, wie sich das auf den Umsatz auswirkt.

    Engels: Welche Reaktionen der Kunden hatten Sie denn in Berlin erfahren durch die Möglichkeit, an vier Sonntagen offen zu haben?

    Pellengahr: Die verkaufsoffenen Sonntage in Berlin kommen ausgesprochen gut an, weil Berlin hier in einer einzigartigen Situation ist mit 15 Millionen Touristen im Jahr. Dort sind viele Tausend Menschen insbesondere an den Sonntagen auch unterwegs und die haben das genossen, hier sonntags einkaufen zu können. Die Kaufkraft in Berlin ist schwach, sodass die Touristen sehr willkommen waren für die Berliner Wirtschaft und auch deutlich mehr Geld im Berliner Einzelhandel am Sonntag ausgegeben haben.

    Engels: Bislang war es in Berlin möglich, an zehn Sonntagen im Jahr die Geschäfte offen zu halten. Das ging den Verfassungsrichtern zu weit. Wie viele Sonntage im Jahr braucht denn der Einzelhandel, um genug Umsatz zu machen?

    Pellengahr: In den Ländern muss entschieden werden, wie viele verkaufsoffene Sonntage im Jahr erlaubt sein sollen. Die meisten Länder haben vier verkaufsoffene Sonntage, aber das Verfassungsgericht hat auch nicht gesagt, dass zehn verkaufsoffene Sonntage zu viel sind. Dazwischen wird es irgendwo liegen. Hier werden die Berliner jetzt eine neue Regelung finden müssen.

    Engels: Wenn wir jetzt einmal auf die Argumente schauen, die ja schon seit Langem ausgetauscht werden, kommt ja auch einfach das inhaltlich Substanzielle wieder hoch. Das heißt: die religiösen Gründe, die persönliche Erholung, das müsse Vorrang haben. Was halten Sie dem entgegen?

    Pellengahr: Der Sonntag ist ein besonderer Tag. Der Einzelhandel will an dem Sonntag als Tag der Regeneration, der Ruhe, auch des Zusammentreffens nicht rütteln. Nur wenn der Sonntagsverkauf eine Ausnahme ist, dann hat er auch wirtschaftlich Erfolg. Wir wollen den Sonntag nicht nivellieren und stehen zu diesem Sonntagsgebot.

    Engels: Die Gewerkschaften haben begrüßt, dass die Läden sonntags in Berlin seltener geöffnet haben werden. Freuen sich denn auch Ihre Mitarbeiter, Ihre Angestellten in den Einzelhandelsgeschäften?

    Pellengahr: Die Mitarbeiter arbeiten sehr gerne am Sonntag, weil sie am Sonntag den doppelten Lohn bekommen, und dieser hundertprozentige Zuschuss, der ist ja sogar steuerfrei, also Sonntagsarbeit staatlich gefördert. Wir haben mehr Anmeldungen für die Sonntagsarbeit, als tatsächlich eingesetzt werden können.

    Engels: Nun haben Kritiker der Sonntagsöffnung immer argumentiert, sechs Tage einkaufen muss generell genügen. Es gibt ja auch nach wie vor Befürworter, die von der Sonntagsöffnung gar nichts halten. Schließlich ging das früher auch. Ist das kein Argument?

    Pellengahr: Auch in der DDR sind die Menschen nicht verhungert. Deshalb kann das nicht unser Lebensideal sein. Die Menschen sollen selbst entscheiden, wann sie einkaufen wollen, wann sie anderes tun wollen, wann sie Sportveranstaltungen besuchen wollen, oder auch in die Kirche gehen wollen. Diese verkaufsoffenen Sonntage richten sich nicht gegen die Kirchen, sie sind ein Angebot, niemand ist gezwungen, am Sonntag einzukaufen, und die Menschen brauchen hier weniger Bevormundung. Dennoch: Mit diesem Urteil des Verfassungsgerichts kann der Einzelhandel im Allgemeinen gut leben.

    Engels: Wird denn davon möglicherweise Internetshopping weiter profitieren? Dort kann man ja sieben Tage die Woche rund um die Uhr einkaufen.

    Pellengahr: Die Kunden drehen am Sonntag ja nicht Däumchen, sie können im Internet einkaufen, sie können Freizeitveranstaltungen besuchen, sie können in Spielhöllen gehen, alles mögliche tun, was auch wenig mit dem Gebot der Sonntagsruhe zu tun hat. Deshalb ist hier auch eine Gleichbehandlung von Handel mit anderen Veranstaltungen notwendig. Wenn man sieht, wie viele Weihnachtsmärkte es gibt, die durch die Bank am Sonntag geöffnet haben, die verkaufen teilweise das gleiche wie die Geschäfte nebenan. Hier wird dann auch mit zweierlei Maß gemessen. Das sind Wermutstropfen, aber wichtig ist, dass überhaupt auch weiterhin verkaufsoffene Sonntage möglich sind, sogar einzelne im Advent.

    Engels: Verlangen Sie denn dann gesetzliche Einschränkungen der Länder für diese anderen Möglichkeiten, am Sonntag einzukaufen? Das betrifft ja nicht nur die Weihnachtsmärkte, das betrifft auch beispielsweise den Verkauf an Tankstellen oder Ähnliches.

    Pellengahr: Das sind sehr komplexe Regelungen. Wir haben auch eine Bäderregelung, die in Touristengebieten es erlaubt, dass dort die Geschäfte am Sonntag mehrere Stunden geöffnet haben, und zwar von Mai bis Oktober. Das kann man gar nicht einschränken, hier kann man das Rad nicht zurückdrehen. Wir sind schon froh, dass die Öffnungszeiten an den Werktagen in den meisten Ländern rund um die Uhr freigegeben sind. Dann können Handel und Kunden selbst entscheiden, wann und wo eingekauft wird.

    Engels: Herr Pellengahr, Sie überblicken diesen Streit schon sehr, sehr lange. Was denken Sie, wo wird sich jetzt nach diesem Grundsatzurteil die Regelung, was die Sonntage angeht, zahlenmäßig einpendeln?

    Pellengahr: Ich gehe davon aus, dass es in den meisten Bundesländern bei den vier verkaufsoffenen Sonntagen bleiben wird. Mehr verlangt auch dort der Einzelhandel nicht. Gleichwohl müssen wir sehen, dass es einzelne Unternehmen im Handel gibt, die ein großes Interesse an deutlich mehr verkaufsoffenen Sonntagen haben, aber wir müssen hier einen Kompromiss finden, einen Interessenausgleich zwischen großen und kleinen Unternehmen, zwischen Unternehmen in Großstädten und in ländlichen Regionen. Da sind vier verkaufsoffene Sonntage für die meisten Bundesländer sicherlich die richtige Zahl. In Berlin will man mehr verkaufsoffene Sonntage haben, weil Berlin eben eine Ausnahmesituation hat, und jetzt muss ein neues Konzept her. Darauf sind wir gespannt.

    Engels: Hubertus Pellengahr, Sprecher und einer der Geschäftsführer des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels. Vielen Dank für das Gespräch.

    Pellengahr: Danke auch. Auf Wiederhören!

    Engels: Auf Wiederhören.