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Trotz Wirtschaftswachstum noch keine Besserung auf dem Arbeitsmarkt

Burkhard Birke: Mit einem wahren Gemischtwarenladen lassen sich die Daten und Informationen vergleichen, die zur Entwicklung von Konjunktur und Arbeitsmarkt heute angeboten werden. Da heißt es, der Internationale Währungsfonds IWF und das DIW in Berlin korrigieren ihre Wachstumsprognosen für Deutschland um 0,2 für Deutschland respektive 0,4 Prozent auf knapp unter zwei Prozent für dieses Jahr nach oben. Die Wirtschaftsforscher vom HWWA in Hamburg indes lassen ihre Vorhersage unverändert bei 1,5 Prozent. Chefökonomen einiger Banken warnen vor den Effekten von Hartz IV also der Kaufkraft schwächenden Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Und last not least, fiel die Frühjahrsbelebung auf dem Arbeitsmarkt schwächer aus, als man dies wünscht beziehungsweise erhofft hatte. Ich begrüße den SPD-Politiker Rainer Wend, er ist Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Arbeit. Saisonbereinigt fiel die Arbeitslosenzahl im Juni gerade einmal um 1000. Der IWF und das DIW haben ihre Wachstumsprognosen konjunkturell allerdings hochgeschraubt. Wird das wieder ein Wachstum ohne Beschäftigungszuwachs?

Moderation: Burkhard Birke |
    Rainer Wend: Zunächst mal ist es ja positiv - das ist zum ersten Mal seit Jahren -, dass zum einen die wirtschaftswissenschaftlichen Institute ihre Wachstumsprognosen nach oben korrigiert haben, sonst mussten sie im Regelfall nach unten korrigieren. Und die zweite Geschichte, die auch seit einigen Jahren jetzt zum ersten Mal positiv verläuft, ist die, dass saisonbereinigt eine Zunahme der Arbeitslosigkeit nicht mehr stattfindet. Das sind zwei gute Signale. Es bleibt allerdings dabei, dass das Wirtschaftswachstum bisher gerade den Arbeitsmarkt erreicht, so muss man es vorsichtig formulieren. Ein deutlicher Rückgang der Zahl der Arbeitslosen und der Zunahme von Beschäftigung vor allen Dingen ist derzeit noch nicht zu erwarten. Wenn allerdings der Trend anhält, dann glaube ich schon, dass Effekte auf dem Arbeitsmarkt in den nächsten Monaten erzielt werden, allerdings vor allem in dem Bereich der Arbeitslosen, die relativ kurz arbeitslos sind. Die Langzeitarbeitslosen werden von diesem Trend sicherlich noch nicht profitieren.

    Birke: Müssen wir demnächst bis zu 50 Stunden arbeiten, wie es gerade DIW-Chef Klaus Zimmermann heute gefordert hat?

    Wend: Da ist man ja in Versuchung, zu sagen: Wer bietet mehr?. Das ist ein Wettlauf, der schon ein bisschen an Albernheit grenzt. Ich glaube, jeder Ökonom würde sagen, dass es selbstverständlich mal kurz in einem Unternehmen passieren kann, dass es auch sinnvoll ist, 50 Stunden zu arbeiten. Das passiert ja schon, wenn Sie sich Überstunden in Betrieben ansehen. Wenn man es allerdings übers Jahr sieht, von einer Regelarbeitszeit von 50 Stunden auszugehen, das halte ich gänzlich für abwegig. Das Entscheidende ist, dass es uns in den Betrieben gelingt, eine höhere Flexibilität bei der Arbeitszeit hinzubekommen. Das kann mal in Richtung 40-Stunden-Woche und darüber hinausgehen, aber auch mal in Richtung 35-Stunden-Woche und darunter, je nachdem, wie die Auslastung im Betrieb ist, wie die Situation im Wettbewerb sich darstellt. Also mehr Flexibilität, die auch eine Arbeitszeitverlängerung im Einzelfall miteinschließen kann, ja. Aber eine pauschale Arbeitszeitverlängerung und dann auch noch auf 50 Stunden, ich glaube, das kann man nicht vernünftigerweise fordern.

    Birke: Sie würden keinen Vorschlag begrüßen wie den, die Lohnkosten um zehn Prozent zu senken und dann könnten wir quasi vier Millionen Jobs in Deutschland schaffen? Eine Form, Lohnkosten zu senken, ist ja einfach, länger zu arbeiten. Bei 35 Stunden wäre das dreieinhalb Stunden länger.

    Wend: Das macht in den Bereichen Sinn, in denen man mit dem Weltmarkt tatsächlich in einer Konkurrenzsituation ist, und mit preiswerteren Produkten eine höhere Auslastung erzielen kann. Allerdings würde in den Unternehmen, wo das nicht gegeben ist, eine höhere Auslastung zunächst einmal dazu führen, dass zusätzliche Arbeitsplätze abgebaut werden. Deswegen ist es kein Patentrezept. Und zu sagen, wir müssen versuchen, die Lohnkosten zu drücken, ist ein altes Argument. Ich verschließe mich dem nicht völlig. Wo wir vernünftigerweise die Chance haben, uns wettbewerbsfähiger zu machen, sollten wir das tun, allerdings werden wir in Deutschland mittel- und langfristig die Wettbewerbsfähigkeit weniger durch Lohnsenkung sondern mehr durch höhere Qualität, bessere Innovationen und einfach auch durch Produkte, die auf dem Weltmarkt an Qualität überzeugen, erreichen.

    Birke: Sie sind aber durchaus für die Idee einer Erhöhung der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn zu haben?

    Wend: In Einzelfällen selbstverständlich, aber nicht für ganze Branchen und nicht pauschal. Das muss auf betrieblicher Ebene entschieden werden, wo dies vernünftig ist. Wir haben ja das Beispiel bei Siemens, wo die IG-Metall über einen Ergänzungstarifvertrag eine 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich vereinbart hat, also Mehrarbeit ohne zusätzlichen Lohn. Wir haben aber auch Beispiele, zum Beispiel bei VW, wo man noch unter die 35-Stunden-Woche gegangen ist und dann natürlich auch entsprechend weniger Lohn zahlt. Den umgekehrten Trend haben wir also auch. Deswegen kann man nicht pauschal sagen, alle sollen länger arbeiten, sondern man muss sich an den Bedürfnissen des jeweiligen Betriebes ausrichten, und ich traue den Tarifparteien zu, da auch vernünftige Regelungen zu finden.

    Birke: Sollten wir alle auf Urlaub verzichten?

    Wend: Ich finde diese Pausschaldebatten nicht überzeugend, vor allen Dingen, wenn die Forderungen nach weniger Urlaub von denen kommen, die den ausgehandelt haben. Das Bundesurlaubsgesetz sieht ja nur beschränkten Urlaub vor, alles, was an angeblich zu vielem Urlaub da ist, haben die Tarifparteien vereinbart. Da waren die Arbeitgeber immer mit dabei. Wenn dieselben jetzt fordern, man muss Urlaub reduzieren, dann frage ich mich, warum sie entsprechende Tarifverträge abgeschlossen haben. Ich glaube, das sind jetzt immer so leichte Parolen, die nach außen geblasen werden. Mir wäre es lieber, wir würden uns die Arbeit machen, sehr betriebsspezifisch und konkret flexibel zu reagieren. Das müssen wir allerdings noch ein bisschen mehr lernen, als das in der Vergangenheit geschehen ist.

    Birke: Es gibt immer noch Kritik an Hartz IV, die Massenkaufkraft und damit das Wachstum würden geschwächt, behauptet unter anderem der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Sollte man nicht noch einmal, auch aus konjunkturellen Erwägungen heraus, hier Korrekturen vornehmen oder über eine Verschiebung nachdenken?

    Wend: Nein, das ist überhaupt nicht sinnvoll. Ich denke, sein Argument, die Konjunktur würde eher gedämpft, weil für die Nachfrage nicht genug Geld da ist in bestimmten Bevölkerungskreisen, ist sehr ernst zu nehmen. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass durch Hartz IV mittelfristig strukturelle Veränderungen vorgenommen werden, die dringend geboten sind, um die Beschäftigungsschwelle in Deutschland zu senken, um also ein Wirtschaftswachstum schneller auch in neue Arbeitsplätze umsetzen zu können. Ich glaube, diese strukturellen Auswirkungen überwiegen die kurzfristigen Nachteile, vor allem wenn es gelingt, über eine bessere und schnellere Vermittlung auch in den ersten Arbeitsmarkt hinein stärker zu vermitteln, dann würden die kurzfristigen negativen Effekte, von den positiven überstrahlt. Ich glaube, Hartz IV ist eine ausgesprochen sinnvolle, längst überfällige Reform. Wir kommen damit in Deutschland zehn, fünfzehn Jahre zu spät. Jetzt wird es Zeit, und wir werden auch in der Phase der Umsetzung schon sehen, wie sinnvoll es ist, sich stärker auf Vermittlung zu konzentrieren, als ausschließlich auf die Versorgung von Arbeitslosen.

    Birke: Sollte man denn generell von Arbeitslosengeld-II-Empfängern verlangen, dass sie auf kommunaler Ebene arbeiten auch für diesen Empfang dieser Transferleistung?

    Wend: Selbst eine deutliche Konjunkturbelebung würde vermutlich an einer großen Zahl von Langzeitarbeitslosen vorbeigehen, was sehr wohl aber nützlich ist, weil es eben bei den kurzfristig Arbeitslosen zu einer viel schnelleren Vermittlung führt. Dann muss man sich überlegen: Wo schafft man Beschäftigungsperspektiven für die Langzeitarbeitslosen? Da finde ich die gemeinnützige Arbeit auf kommunaler Ebene einen ganz wichtigen Bereich. Ich finde allerdings, wenn Langzeitarbeitslose sich in diesen Bereich hineinbegeben, müssen sie dafür auch eine zusätzliche Vergütung erhalten, sich besser stellen als die Langzeitarbeitslosen, die das nicht tun. Da ist viel Arbeit für unsere Gesellschaft zu tun. Viele Langzeitarbeitlose sehen einen Sinn darin, sich diesen Dingen zuzuwenden, und wenn sie dann auch noch über zusätzliches Geld verfügen, dann kann man auch Herrn Bofinger wiederum entgegnen: einen Kaufkraftverlust bei Hartz IV gibt es nicht, im Gegenteil.

    Birke: Das war der SPD-Politiker Rainer Wend, er ist Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Arbeit, vielen Dank für dieses Gespräch.