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Trotzkonsum trotz Wirtschaftskrise

Laut Stephan Grünewald konsumieren die Deutschen im Vergleich zu ihrenn europäischen Nachbarn trotz Krise "recht unverdrossen". Grünewald nennt das den "Konsumkarneval": Die Menschen genössen das Leben, weil sie wüssten, bald kommt die "Fasten- und Verzichtszeit".

Stephan Grünewald im Gespräch mit Gerd Breker | 23.04.2009
    Gerd Breker: Wir erleben eine Krise von bislang nicht gekanntem Ausmaß. Das Wort "Krise", es erlebt derzeit eine inflationäre Nutzung. Dennoch ist die Wirtschaftskrise noch gar nicht so recht bei den Menschen angekommen. - Am Telefon bin ich nun verbunden mit Stephan Grünewald, Geschäftsführer des Rheingold-Instituts und Autor des Buches "Deutschland auf der Couch" mit dem Untertitel "eine Gesellschaft zwischen Stillstand und Leidenschaft". Guten Tag, Herr Grünewald.

    Stephan Grünewald: Guten Tag!

    Breker: Was macht das mit uns, wenn die Krise so abstrakt wirkt, wenn alle darüber reden, aber sie dennoch noch gar nicht so richtig spürbar geworden ist? Was macht das mit uns?

    Grünewald: Das ist für die Menschen ein sehr zwiespältiges kippliges Gefühl. Wie gesagt, die Krise ist ein mediales Ereignis. Von morgens bis abends liest man in den Zeitungen, hört man in den Medien dieses Krisengeraune, dieses Donnergrollen. Selber hat man aber meistenteils das Gefühl, eigentlich eher noch mehr Geld im Säckel zu haben, weil es Steuervergünstigungen gibt, weil die Spritpreise sehr, sehr niedrig sind. Gleichzeitig hat man aber so das Gefühl, wenn man sich in einem stillen Moment mit dieser Krise beschäftigt, dann verschwindet diese Alltagsnormalität, die man verspürt. Dann kriegt die Krise eine ungeheuerliche Dimension. Man blickt in ein gigantisches schwarzes Loch. Man hat das Gefühl, in diesem schwarzen Loch können ganze Banken, ganze Länder, Immobilien, all das, was einem wertvoll erscheint, kann darin verschwinden und das hat dann eine sehr, sehr beängstigende Wucht.

    Breker: Das heißt, wir erleben beides: einerseits eine große Gelassenheit und andererseits so eine Vorstufe von Panik?

    Grünewald: Wir schwanken eigentlich zwischen einer gefühlten Normalität und einem befürchteten Trauma, weil wenn dieses schwarze Loch kommt, dann sind wir in einem Zustand, der uns komplett handlungsunfähig macht. Nach dem 11. September hatte man das Gefühl, man kann jetzt mit den Amerikanern die Trümmer beseitigen, man kann sich vor dem Terrorismus wappnen. Aber vor einem schwarzen Loch bleibt man komplett handlungsunfähig, und das ist so eine bleierne Ohnmacht, die am Horizont droht.

    Breker: Eine bleierne Ohnmacht, die möglicherweise auch daher rührt, weil man nichts und niemanden findet, an dem man seine Aggressionen loswerden könnte, den man schuldig befinden könnte für diese Krise?

    Grünewald: Ja. Diese Versuche gibt es natürlich. Gerade in der Anfangszeit der Finanzkrise hat man versucht, die Gier der Banker, die Gier der Manager verantwortlich zu machen. In unseren Krisen-Interviews merken wir immer, das geht eine Zeit lang, aber dann kippt die Stimmung, weil jeder einzelne merkt, er ist in seinem Alltag natürlich auch gierig, er ist auch zu seinem Bankangestellten gelaufen und hat sich darüber beklagt, dass es nur fünf Prozent Zinsen gibt. Das heißt, das klappt im Moment gar nicht, die Sündenbockstrategie. Wir spüren allenthalben, dass wir auf Gewinnmaximierung aus sind, dass wir in einer Maximierungskultur leben, wo jeder einzelne hofft, über Nacht zum Topmodell oder zum Superstar zu avancieren.

    Breker: Das heißt, die gesellschaftliche Solidarität geht auch ein wenig verloren und jeder kümmert sich hauptsächlich um sich selbst, also ein Fortschreiten der Vereinzelung?

    Grünewald: Nein. In der Krise steckt eigentlich jetzt die Chance, dass man sich darauf besinnt, was auch die Gemeinschaft kann. Wir erleben im Moment zwei große Tendenzen: eine Tendenz, die Macht von "Vater Staat" wird reinstalliert. Man hofft, dass sich der Staat breitbeinig vor dieses schwarze Loch stellt, damit da quasi nichts reinflutschen kann. Andererseits erleben wir eine Art seelische Währungsreform. Ähnlich wie beim 11. September überlegt man sich, auf wen kann ich mich verlassen in meinem unmittelbaren Umfeld, welche Freunde, welche Bekannte, welche Partnern bieten mir Berechenbarkeit und Verlässlichkeit. Das führt natürlich zu einer stärkeren Solidarisierung in der Gesellschaft.

    Breker: Nun sind wir an einem Punkt angelangt, wo man sagt, die Krise, sie ist Thema, aber noch nicht real spürbar. Dennoch haben wir gehört, vom IWF, von den Wirtschaftsforschungsinstituten, auch von der Bundesregierung, ab Sommer wird sie auf dem Arbeitsmarkt spürbar sein. Was wird dann sein, wenn die Krise auch da ist? Weckt das in uns Leidenschaft, sie zu bekämpfen, oder werden wir dann erst recht lethargisch?

    Grünewald: Es wird beides eintreten. Derzeit beobachten wir ja gerade im Vergleich mit den europäischen Nachbarn, dass die Deutschen recht unverdrossen konsumieren. Wir sprechen bei Rheingold da zum Teil von einem Trotzkonsum. Man kann auch sagen, was sich im Moment abspielt ist ein Konsumkarneval. Der Karneval, das Fest der letzten Stunde, der 11. 11., der weiß natürlich um die drohende 12, der weiß um die kommende Fasten- und Verzichtszeit, aber er versucht noch mal, die Lebensgeister zu steigern. Man versucht sich noch mal, quasi wirklich etwas vom Lebensrahmen zu gönnen. Das wird natürlich unterstützt durch die staatlichen Kamelle, ob das nun die Abwrackprämie oder die Pendlerpauschale ist. Nach dem Trotz beziehungsweise mit dem Trotz merken wir aber auch schon prophylaktische Tendenzen. Viele Menschen gehen häufiger beim Discounter einkaufen. Dann müssen sie nicht verzichten, aber kommen für weniger Geld an ihre Ware. Bei unseren Kunden aus der Industrie merken wir auch schon zum Teil ein prophylaktisches Kürzen von Budgets, ein Sparverhalten, was gar nicht in der Marktrealität begründet ist, sondern was die Krise quasi schon antizipiert, aber sie dadurch natürlich noch verschlimmert.

    Breker: Wenn denn die Krise da ist, Herr Grünewald, werden wir dann anfällig für extreme Parteien, denn vermutlich wird es ja genau im Wahlkampf sein, wenn die Krise richtig spürbar wird?

    Grünewald: Nein. Es wird extreme Parteien wie Die Linke geben, die natürlich versuchen, das bestehende Ressentiments, nicht genug unterstützt zu werden vom Staat, von "Vater Staat", auszunutzen. Die größte Bewegung, die wir derzeit aber erkennen, ist, dass eigentlich ein geheimer Wunsch nach dem Fortbestand der Großen Koalition da ist. Die Bürger hoffen wirklich, dass die vereinigten staatlichen Kräfte verhindern können, dass die Krise zu sehr in Deutschland und im Alltagsleben durchgreift.

    Breker: Im Deutschlandfunk waren das Antworten auf vorsichtige Fragen von Stephan Grünewald. Er ist Autor des Buches "Deutschland auf der Couch". Herr Grünewald, das kann nur ein Zwischenstand gewesen sein. Dafür danke ich Ihnen.