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Trübe Aussichten

Das Badewasser ist sauber, der Strand weiß, und bei der Fahrt mit dem Schiff spürt man die frische Meeresbrise. Doch unter Wasser geht es den Fischen und Krebsen in der Ostsee zunehmend dreckig.

Von Lenore Lötsch | 10.09.2012
    Sie sieht aus wie ein geschupptes, eiförmiges U-Boot am Stiel, die Tauchgondel am Ende der Selliner Seebrücke. Jörg Schmiedel, der Ostseeexperte des BUND aus Mecklenburg Vorpommern geht an den schlendernden Touristen vorbei und dämpft gleich mal die Erwartungen:

    "Die fahren da runter mit den Gedanken: Wir tauchen ein in das Korallenriff und dann sehen sie 'ne grüne Brühe."

    Das Innere der Tauchgondel ist meerblau, an den Wänden hängen Schaukästen mit Muscheln und Krabben, ein Poster verweist auf ein Dutzend Ostseefische. Wie ein Lift sinkt die Tauchgondel bedächtig in die Unterwasserwelt. Das Wasser steigt glucksend vor den mannshohen Fenstern. Als die ersten Quallen an den Scheiben auftauchen, werden die Fotoapparate gezückt.

    "Wenn wir hier mit der Tauchgondel herunterfahren, viele erwarten hier ein pulsierendes Leben – na ja das gibt es auch, aber es besteht aus einzelligen Algen. Ansonsten ist leider nicht viel los"

    , erzählt Jörg Schmiedel. Die Ursachen liegen auf der Hand: Seit in den 50er-Jahren die intensive Mineraldüngung in der industriellen Landwirtschaft Einzug hielt, ist aus der eigentlich nährstoffarmen Ostsee ein nährstoffreiches Gewässer geworden. Diese Eutrophierung führt zur Algenblüte im Sommer, zu Algenschaumbergen am Strand und zu toten Zonen auf dem Meeresboden. Inzwischen ist die Tauchgondel in vier Meter Tiefe stehen geblieben.

    "Oben war es hell, hier unten ist es dunkel. Das heißt, eine Pflanze, die ja für ihre Fotosynthese Licht benötigt, die hat bei solchen Algenkonzentrationen im Wasser, also diese schwebenden Algen, nicht mehr genug Licht zur Verfügung, das heißt, dort sterben die Pflanzenbestände ab. Und bei diesem Runterdrücken von Pflanzen entstehen diese fauligen Zonen, die sind sauerstoffarm bis sauerstofffrei. So ab Juli bekommen wir richtig häufig diese Sauerstoffmangelprobleme."

    Der Schwarm der zeigefingergroßen Sandaale im grünen Halbdunkel vor den Scheiben der Tauchgondel löst ein deutliches Aufatmen aus. Es gibt auch die guten Nachrichten: Die Phosphorbelastung wurde in den letzten Jahren deutlich reduziert, vor allem durch den Kläranlagenbau in den Ostseeanrainerstaaten beim Eintritt in die EU. Die Stickstoffeinträge sind nach wie vor hoch.

    "Wir haben aktuell aus dem deutschen Einzugsbereich an der Ostsee einen Austrag von etwa 600 Tonnen Phosphor und 21.000 Tonnen Stickstoff in die Ostsee. Das ist viel. Wir sind also so was wie die 'bad guys' im Ostseeraum."

    Der BUND-Bundesvorsitzende Hubert Weiger hält sein Handy dicht an die Scheibe, um eine schwebende Qualle zu fotografieren.

    "Eigentlich hat man als Umweltschützer ja nichts gegen zu viel Grün. Aber wenn man die Tiere im Meer nicht mehr sieht, oder nur dann erkennt, wenn sie sich unmittelbar an der Scheibe aufhalten, dann ist es schon dramatisch. Die Meeresverschmutzung ist bisher ein Kavaliersdelikt, und das muss beendet werden."

    Und die Zeichen dafür stehen eigentlich gut: Die EU Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie aus dem Jahr 2008 soll dazu führen, dass die Nord- und Ostsee bis zum Jahr 2020 einen guten Umweltzustand erreichen. Doch die Ziele der Bundesregierung sind - laut BUND – zu vage: Zwar sollen die Nährstoffeinträge in die Meere - vor allem aus der Landwirtschaft - "weiter reduziert werden", es wird aber auch darauf hingewiesen, dass dies bis 2020 möglicherweise nicht zu erreichen ist.

    "Wir haben jetzt eine völlig neue Situation, dank der Meeresstrategie, dass es ein gemeinsames Ziel gibt. Und dass es nicht sein kann, dass wir Ziele beschließen als Gesellschaft, formuliert durch die Politik, die dann wegen des Einsatzes bestimmter Lobbykräfte nicht realisiert werden. Da stellt sich die Politik selbst infrage."

    Der Weg aus der grünen Tiefe dauert nur sieben Minuten. Es wackelt und ruckt in der Tauchgondel, weil die Strömung zugenommen hat. Jörg Schmiedel steht am Ausgang und verabschiedet die Besucher, die sich die Schnäpel, Seehasen und Eisenten noch mal auf dem Plakat anschauen. Und er träumt sich acht Jahrzehnte zurück:

    "Wir hätten damals eine klare Ostsee gesehen mit Sichttiefen von vielen Metern. Wir hätten hier angetroffen: Tangwälder, Seegraswiesen, wirklich artenreiche Fischfauna und Borstenwürmer, die ganz charakteristisch für unsere Ostseegewässer sind."