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Trümmerfrauen
Den Kriegsschutt räumten andere weg

Sie sind ein Mythos, von dem jeder Bilder im Kopf hat: die Trümmerfrauen der Nachkriegszeit, die die Städte wieder mit aufgebaut haben. Eine Studie der Universität Duisburg-Essen zeigt nun jedoch: Lediglich ein kleiner Kreis von Frauen hat maßgeblich am Aufbau Anteil gehabt.

Von Andrea Lueg | 08.01.2015
    Die sogenannten "Trümmerfrauen" arbeiten im Mai 1945 in Berlin an der Beseitigung der Trümmer von im 2. Weltkrieg zerstörten Häusern.
    Verfälschtes Bild? Trümmerfrauen in den Ruinen von Berlin. (picture-alliance / Ursula Röhnert)
    Deutschland 1945 - viele große Städte liegen in Trümmern. Große Schutthaufen türmen sich zwischen Häuserruinen. Und tatkräftige Frauen schaffen diesen Schutt beiseite und machen den Neustart möglich: die Trümmerfrauen. Kopftuch, Arbeitskleidung, die doch schick wirkt, breites Lachen.
    Doch eine ganze Generation von Trümmerfrauen, so wie sich dieses Bild in den Köpfen verfestigt hat, hat es nie gegeben, sagt die Historikerin Leonie Treber. Die Trümmerfrau ist ein Mythos.
    "Wichtig ist, zu wissen, dass diese Trümmerräumung von Frauen ein sehr kleiner Kreis von Frauen war, die das tatsächlich in dieser Form gemacht haben, dass es ein regionales Phänomen ist, das man eben nicht sagen kann, Deutschland wurde von Trümmerfrauen aufgebaut und das es eben Trümmerfrauen überall in Deutschland gegeben hat."
    Rund 400 Millionen Kubikmeter Schutt und Trümmer räumten vor allem Baufachbetriebe weg, erklärt Achim Westholt vom Bonner Haus der Geschichte, wo diese historische Phase ausführlich dargestellt wird.
    "Man brauchte großes Gerät. Nicht umsonst steht hier eine Trümmerlore."
    Allerdings brauchten die professionellen Unternehmen Unterstützung aus der Bevölkerung. Schon seit 1940, also während des Krieges, wurden in Deutschland Trümmer geräumt, so Leonie Treber.
    "Und die Nationalsozialisten haben ein System entwickelt, womit Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in großem Maße zur Trümmerräumung eingesetzt wurden."
    Nach Kriegsende kamen zunächst deutsche Kriegsgefangene und ehemalige Mitglieder der NSDAP zum Einsatz. Doch das reichte nicht. Deshalb wurde die Bevölkerung aufgefordert, zu helfen. Im Westen meist freiwillig, in der sowjetischen Besatzungszone als Pflichtarbeit.
    "In Berlin und in den Städten der sowjetischen Besetzungszone hat man sehr stark auf den Einsatz von Arbeitslosen gesetzt, darunter war auch eine hohe Anzahl von Frauen."
    Doch selbst in Berlin, wo immerhin 60.000 Frauen eingesetzt wurden, waren das gerade mal fünf Prozent der weiblichen Bevölkerung, also sicher keine ganze Generation. Es wurden auch keineswegs explizit Frauen aufgefordert, diese Arbeit zu machen.
    "Es hatte nichts damit zu tun, dass man irgendwie sagte, Männer dürfen das nicht machen, Frauen sollen das machen oder dass die Frauen gesagt hätten: Wir haben nichts Besseres zu tun, wir wollten schon immer mal schwere körperliche Arbeit in den Trümmern machen - so hat es nicht funktioniert."
    Bilder von Trümmerfrauen oft gestellt
    Und: Der Einsatz von Frauen bei der Trümmerbeseitigung, so das Ergebnis in Leonie Trebers Dissertation, war regional und zeitlich sehr beschränkt. In der britischen Zone kamen gerade mal 0,3 Prozent der Frauen zum Einsatz. In Frankfurt am Main dauerte der Bürgereinsatz gerade zwei mal zwei Tage à acht Stunden. Damit hatte man seine Bürgerpflicht abgeleistet und mit der Trümmerräumung weiter nichts zu tun. Ähnlich war es auch in Nürnberg oder Freiburg.
    Gerne machte diese Arbeit übrigens niemand. Nicht nur, weil sie sehr schwer und gefährlich war.
    "Meine These ist, dass die Trümmerräumung eine hoch stigmatisierte Arbeit war, die eben unter dem Slogan Strafarbeit durchgeführt wurde, dadurch dass Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in der NS- Zeit dazu zwangsverpflichtet wurden, aber auch dadurch, dass nach dem Krieg die deutschen Stadtverwaltungen und alliierten Besatzungsmächte dieses System der Trümmerräumung als Strafarbeit zunächst nahtlos übernommen haben."
    Frauen machten diese Arbeit, weil sie dafür eine bessere Lebensmittelkarte bekamen, manchmal schlicht, um zu überleben.
    "Und Menschen, die eine Arbeit nicht gerne machen, einmal weil sie hart und schwer ist, dann weil sie keine Frauen-Arbeit ist und dazu noch als Strafarbeit codiert ist - da muss man irgendwie ein Bild kreieren, um eine positive Aufwertung dieser Arbeit vorzunehmen. Und man kann eben beobachten in Berlin und in den Städten der sowjetischen Besatzungszone sehr schnell ab 45/46 wie eine regelrechte Medienkampagne begann."
    In Frauenzeitschriften und Tageszeitungen wurden Artikel und Bilder veröffentlicht, die das Bild der Trümmerfrau kreierten. Oft waren die Szenen auf den Bildern gestellt, die Frauen geschminkt, erzählt Achim Westholt:
    "Sie werden auch nicht eine Frau finden, in den Filmszenen, die ich kenne, die sich gerade erschöpft den Schweiß von der Stirn wischt."
    "Das war aber nicht das Selbstbild der Frauen, das war das Bild, das von den Medien gezeichnet wurde, um zum einen die Strafarbeit umzucodieren in eine Ehrenarbeit, um den Frauen einen Sinn dafür zu geben, warum sie diese Arbeit machen und um es eben zu schaffen, eine dezidiert männliche Arbeit auch für Frauen attraktiv zu machen und da eben mit der Trümmerfrau ein Vorbild zu schaffen, die eben dafür steht, dass das eine ehrenhafte Arbeit ist."
    In der DDR nutzte man den Mythos Trümmerfrau indem man ihn zum Vorbild für alle Frauen machte, die einen Männerberuf erlernen wollten und sollten. Achim Westholt zitiert aus der Neuen Berliner Illustrierten, einer auflagenstarken Wochenzeitschrift der DDR aus dem August 1952
    "Zu den Walzerklängen des Platzkonzertes schunkeln sich die Trümmersteine fast alleine in den Trümmerexpress. Dieses ist doch eine wahrhaft ideologische Darstellung der Realitäten. Ganz bewusst, 52 zeigt uns ja auch zu einem späteren Zeitpunkt der DDR, wo manches schon abgeschlossen war, aber das ist glaube ich ein wunderbares Beispiel, wie man das beschönigen kann."
    In der Bundesrepublik dagegen spielt die Trümmerfrau bald nach dem Krieg keine Rolle mehr: Die Frau, die harte Männerarbeit verrichtet, passt hier nicht ins konservative Frauenbild der 50er-Jahre.
    "Bis in die 1980er-Jahre war die Trümmerfrau in der Erinnerungskultur der BRD so gut wie gar nicht präsent. In den 60er/70er-Jahren ist es sehr still um die Trümmerfrau geworden und erst in den 1980er Jahren mit den Rentendebatten um das sogenannte Babyjahr und die Frauengeschichtsschreibung sind quasi die Erinnerungen der Westberliner Frauen adaptiert worden mit diesem Sinninhalt, der ja auch schon gefüllt wurde in den 1940er-Jahren und dann eben zu einem Generationenbegriff umgebaut worden."
    Keineswegs den Frauen ihre Leistung absprechen
    1986 wurde unter der Regierung Kohl das Babyjahr eingeführt, seitdem wird Frauen das erste Lebensjahr eines Kindes auf die Rente angerechnet. Frauen, die vor 1921 geboren waren, sollten von der Regelung ausgenommen werden. Zwei Frauen klagten vor dem Bundesgerichtshof gegen diese Regelung. Sie bekamen zwar nicht Recht, aber das Urteil ging als "Trümmerfrauenurteil" Anfang der 90er-Jahre in die Gesetzgebung ein. Und wurde in den Medien im Zusammenhang mit diesem Diskurs zementiert. Etwa parallel dazu setzten sich in der Frauengeschichtsschreibung Frauen mit der Generation ihrer Mütter und Großmütter auseinander. Ein Strang der Frauengeschichtsschreibung betrachtete dezidiert die Frauen als Opfer in der Zeit des Nationalsozialismus. Eine Darstellung, die Leonie Treber nicht teilen kann.
    "Natürlich waren auch Frauen Teil des Systems gewesen, und in unterschiedlicher Weise verstrickt, sei es jetzt, dass sie Opfer des Holocaust waren, auch das ist nicht auszuschließen, eine andere Dimension ist, dass Frauen auch Mitläuferinnen waren, dass Frauen auch Täterinnen waren und das eben auch Frauen im Nationalsozialismus in irgendeiner Form gelebt und gewirkt haben. Und das ist denke ich wichtig, sich das anzuschauen und da nicht so schwarz-weiß zu malen, die Männer waren für den Krieg verantwortlich und die Frauen haben danach Deutschland wieder aufgebaut. So funktioniert's glaube ich nicht."
    Den Frauen, die nach dem Krieg schwer geschuftet haben, um sich und ihre Kinder durchzubringen, will Leonie Treber keineswegs ihre Leistung absprechen, genauso wenig wie Achim Westholt vom Bonner Haus der Geschichte.
    "Entmythologisieren ja, aber die gesamte Leistung der Frauen, die es eben auch mussten, teilweise um bessere Lebensmittelkarten zu bekommen, um überhaupt zu überleben, muss gewürdigt werden."
    Leonie Treber stellt lediglich klar: Frauen waren bei der Trümmerräumung in der Minderheit, sie waren nur regional vertreten, vor allem in Berlin und in der sowjetischen Besatzungszone. Und sie schafften den Schutt weder freiwillig noch gerne weg.
    "Es ist schwierig, wenn man heute von Trümmerfrauen spricht und denen pauschal eine Leistung für das Wirtschaftswunder zuschreibt, weil, das ist einfach viel zu einfach und wird weder den Frauen, die diese Arbeit unter sehr widrigen Umständen in einem kleinen Teil von Deutschland gemacht haben gerecht, noch wird es der ganzen Diskussion gerecht."