Truman Capote betonte gern, wie gut er sein Gedächtnis trainiert hatte, um selbst stundenlange Unterhaltungen und Interviews nach deren Ende schriftlich niederlegen zu können: Als Ausgangsmaterial für die Reportagen über Prominente, die er für führende Zeitschriften in New York schrieb, als Basis für den dokumentarischen Roman "Kaltblütig" über einen vierfachen Mord in Kansas, den er 1966 veröffentlicht, der sein größter Erfolg und zugleich wegweisend für das Verhältnis von Literatur und Recherche wird, der aber auch so etwas wie einen Krisen- und Wendepunkt im Leben des Schriftstellers darstellt.
Protagonisten ausgenutzt und ausgeplündert
"Kaltblütig" ist das Buch, das ihn am stärksten gefordert hat, weil die Objektivität der Darstellung, die Capote für sich reklamierte, mit der Intensität der persönlichen Beziehungen zu einem der beiden Mörder, um die es geht, in Widerspruch geriet. Es ist der Roman, an dem er sich aufgerieben hat, für den er sich selbst, genauso wie die Protagonisten und Helfer - etwa die Schriftstellerin Harper Lee - ausgenutzt und ausgeplündert hat.
"Kaltblütig" ist dabei, allen Selbstaussagen Capotes zum Trotz, keine reine, dramatisch akzentuierte Sammlung von Fakten. Dieser Reportageroman steckt voller kleiner Freiheiten, oft zulasten der Menschen, deren Vertrauen Capote gewonnen hatte. Gerade deshalb aber steht der Roman auch beispielhaft für Capotes Lebenswerk, seit er sich als ganz junger Mann in den Vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts wie ein Hermaphrodit durch die besseren Kreise von New York bewegt hat, als Exzentriker, als Homosexueller, als zugewanderter Südstaatler.
Ein großes Kind
Ein großes Kind wie manche sagen; ein Mann, der nie die Fähigkeit verloren hat, sich in den Kopf eines Kindes zurückzuversetzen, wie andere loben. Ein Besessener, wenn es um das Schreiben geht, aber wie es scheint auch ein gefühllos kalkulierender Kopf, der es beispielsweise nicht erwarten kann, die beiden Mörder endlich hängen zu sehen, weil er erst dann sein Buch zu Ende schreiben und herausbringen kann. Und das, obwohl er sich vermutlich in einen der beiden geradezu verliebt hat.
Extrovertierter Clown und scharfer Beobachter
Truman Capote, getauft auf den Namen Truman Streckfus Persons, war unter schwierigen Bedingungen in der Nähe von New Orleans und in Alabama aufgewachsen. Er wechselte häufig die Schulen, war an nichts anderem als der Schriftstellerei interessiert, erklärte von sich selbst, er sei mit fünfzehn schon ein heimlicher Trinker und mit sechzehn, siebzehn ein geschliffener Stilist gewesen. Im späteren Leben, nachdem ihn seine ersten beiden Romane "Andere Räume, andere Stimmen" (1948) und "Die Grasharfe" (1951) sowie ein Band mit Kurzgeschichten ("Baum der Nacht", 1949) weithin bekannt gemacht hatten, avancierte er in der High Society - zum Teil als extrovertierter Clown, aber immer auch als ein scharfer Beobachter von deren Sitten.
In George Plimptons Buch „Truman Capotes turbulentes Leben kolportiert von Freunden, Feinden, Bewunderern und Konkurrenten", erstmals 1997 erschienen und nun, rechtzeitig zum 90. Geburtstag am 30. September 1924 und zum dreißigsten Todestag am 25. August 1984, ins Deutsche übertragen von Yamin von Rauch, erfährt man viel über diese Lebensstationen, aber der Leser sollte keine Biografie und auch keine Werkgeschichte erwarten. Denn Plimptons Buch bietet genau das, was der Titel verspricht, eine Art von höherer Kolportage. Aber von welchem Format!
Bewunderung und harsche Ablehnung
Es versammelt einen Chor von Norman Mailer oder Gore Vidal über Capotes Lektoren und die Redakteurinnen einflussreicher Zeitschriften bis hin zu den vielen glamourösen Frauen reicher und mächtiger Männer, mit denen er befreundet war. Plimpton, selbst Teil dieser glamourösen Kreise und als Kritiker und leitender Redakteur der "Paris Reviw" jahrzehntelang ein Motor des Literaturbetriebs, sammelt und mischt gleichermaßen Bewunderung und harsche Ablehnung, setzt auf Kontraste und bildet dabei mehr ab als nur ein vielfach gebrochenes Bild von Truman Capote. Eigentlich dokumentiert er das Selbstgespräch derer, die von den Vierzigern bis in die Achtziger beanspruchten, "New York" zu repräsentieren - zentriert um den Bezugspunkt Truman Capote, dem man Türen und manchmal auch Seelen geöffnet hatte.
Die Reichen und Mächtigen verstoßen ihn
Capote wollte dazu gehören und hat das auch erreicht, er hat diesen Menschen geschmeichelt, hat sich selbst erfunden, um zu sein wie sie, hat dabei aber vielleicht übersehen, was schon Francis Scott Fitzgerald gewusst hat: Dass diese Reichen und Mächtigen anders sind als normale Leute. Als Capote sie nämlich verhöhnt, als er 1974 erste Passagen aus dem jahrzehntelang betriebenen, aber nie vollendeten Gesellschaftsporträt- und Romanprojekt "Erhörte Gebete" veröffentlicht - worin viele seiner Party-Freunde kaum verhüllt peinliche Rollen spielen -, verstoßen sie ihn mit aller Konsequenz, und er geht daran zugrunde.
Ist das eine moralische Geschichte? Eine Geschichte von Selbstüberhebung und Größenwahn? Wenn ja - über wen sagt sie mehr aus? Und wie passt sie zu dem literarischen Werk, das die Leser von Truman Capote bis heute schätzen: Zu den melancholischen frühen Kindheits- und Jugendgeschichten? Zu dem Edel-Callgirl Holly Golightly aus "Frühstück bei Tiffany"? Die schlichtesten Verbindungen sind die Informationen über Rahmenbedingungen, unter denen Capote sich diese Werke abgerungen hat. Verwickelter wird es, wenn die zahllosen Widersprüchlichkeiten hervortreten - nicht nur zwischen den Aussagen von Freunden und Feinden des Schriftstellers, sondern auch zwischen Truman Capotes Selbstdarstellung und dem, was andere über ihn gewusst haben. Wenn die Flunkereien oder Lügen ans Licht kommen, aus denen Capote seine Fassaden, seinen eigenen Mythos erschaffen hat.
George Plimptons Buch arbeitet ganz bewusst mit solchen Brechungen und würzt sie durch die Montage mit einem ständig spürbaren ironischen Vorbehalt gegenüber allem und jedem. Er zitiert Interviews, die er als Redakteur betreut oder mit Capote selbst geführt hat - und schafft durch den Zusammenklang all dieser Einzelteile etwas, das Truman Capote mit seinen "Erhörten Gebeten", wäre der Roman denn jemals abgeschlossenen worden, möglicherweise so dicht gar nicht hätte gelingen können: Das Selbstporträt einer Upper Class, die diesem Künstler immer wieder "den Hintern geküsst hat", wie es einer der Zeugen formuliert, die darüber jedoch nie den Unterschied zwischen dem beanspruchten Status einer Ostküstenelite und dem minderen Rang eines großen Schriftstellers aus schlechter Familie vergessen hat.
George Plimpton: Truman Capotes turbulentes Leben kolportiert von Freunden, Feinden, Bewunderern und Konkurrenten. Aus dem Amerikanischen von Yamin von Rauch, Rogner & Bernhard, Berlin 2014, 496 Seiten, Euro 29,95