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Trump in der Coronakrise
"Ein leerer Stuhl in der Führungsfunktion der USA"

In den USA erlebe man aktuell einen Präsidenten ohne anständiges Krisenmanagement, sagte die Politologin Cathryn Clüver Ashbrook im Dlf. Damit stünde Donald Trump dem entgegen, "was man international von Amerika bräuchte". Die Chinesen würden dies nutzen, um an den USA vorbeizuziehen.

Cathryn Clüver Ashbrook im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 06.04.2020
Trump läuft mit einem Ordner im Arm auf einer Terasse des Weißen Hauses an dessen Fassade entlang. Im Vordergrund unscharf die Flaggen der USA und des Präsidenten.
US-Präsident Donald Trump auf dem Weg zu einer Pressekonferenz im Rosengarten des Weißen Hauses in Washington (AP / dpa / Alex Brandon)
"Teile der Regierung Trump nehmen die Situation sehr ernst", sagt die deutsch-amerikanische Politikwissenschaftlerin Cathryn Clüver Ashbrook. Aber bei Trump erlebe man "Propagandaveranstaltungen". Trump gebe Zahlen ohne Kontext von sich. "Wir erleben einen Präsidenten, der lügt, um Fehler zu verdecken und versucht, Hamsterkäufe auf dem internationalen Markt zu tätigen." Das stehe dem entgegen, was man von Amerika international bräuchte. "Es ist ein leerer Stuhl in der Führungsfunktion der USA für den globalen Zusammenhalt."
Das sei in den großen Weltkrisen anders gewesen: "Wenn man an die großen Weltkrisen zurückdenkt, wo wir an amerikanisches Leadership geglaubt haben – wir denken an Franklin D. Roosevelt während der großen Depression, wir denken an den Zweiten Weltkrieg. Wir haben diese charismatischen Führungsfiguren nicht in Amerika." China werde das für sich nutzen, um politisch und systemarchitektonisch an den USA vorbeizuziehen. "Wir werden sehen, dass China, das Land, was jetzt im Grunde genommen anfängt, die Krise hinter sich zu lassen, das für sich strategisch als Möglichkeit sehen, da aufzudrehen, wo es kann."
Das Interview in voller Länge
Ann-Kathrin Büüsker: Innerhalb kürzester Zeit sind die USA die Nation geworden, in der das Corona-Virus sich am heftigsten verbreitet hat. Stand heute Morgen meldet die Johns-Hopkins-Universität 337.000 positiv getestete Menschen. Über 9600 starben, über 2400 davon allein in New York City. Nicht nur das Virus überrollt die USA; eine zweite Welle ist entstanden: die der Arbeitslosigkeit. Innerhalb von nur zwei Wochen haben in den USA nun fast zehn Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz wegen der Pandemie verloren – zehn Millionen Arbeitslose, die damit ihre Lebensgrundlage verloren haben. Frau Clüver, dass ein Industrieland wie die USA so dermaßen überrollt wird, das sprengt ja so manche Vorstellungskraft. Finden Sie Worte, das zu beschreiben, gerade zu erklären?
Cathryn Clüver Ashbrook: Das Schlimme ist: Die Zahlen sind, glaube ich, noch viel schlimmer, als Sie sie genannt haben. Das sind die offiziellen Arbeitslosigkeitszahlen. Wir wissen inzwischen, 46 Millionen Amerikaner, 28 Prozent der arbeitenden Bevölkerung, haben bis Ende März entweder ihren Job verloren, oder arbeiten in reduzierten Stunden und Schichten. Was jetzt zurzeit noch völlig unklar ist, ist natürlich, was das mit dem ganzen Wirtschaftsstandort USA macht. Welche Industriezweige müssen als längerfristige Konsequenz dieser Krise nachhaltig umgebaut werden? Wir vergleichen das mal mit der Finanzkrise 2008. Da brachen innerhalb von drei Jahren ungefähr 8,7 Millionen Jobs dauerhaft weg. Jetzt sind die Prognosen von J.P. Morgan zum Beispiel, dass allein im Frühjahr 8,7 Millionen permanente Jobs, nicht Leute, die nach der Krise wieder arbeiten wollen und arbeiten können, sondern dass die permanent wegbrechen innerhalb nur eines Frühlings. Das heißt, 40 Millionen Menschen, wenn die Zahl stimmt, die das Umfrageunternehmen Gallup herausgegeben hat, sind zurzeit in einer statistischen Dunkelziffer. Denn diese Menschen denken, sie gehen gegebenenfalls nach der Krise wieder arbeiten. Aber es ist völlig unklar, wie das System, das Wirtschaftssystem der USA nach dieser Krise, vielleicht sogar schon nach diesem Frühling aussehen kann.
Noch lange kein Höhepunkt der Krise
Büüsker: Anders als bei der Finanzkrise hat es die Regierung ja tatsächlich im Moment auch quasi mit zwei parallel stattfindenden Krisen zu tun: einmal die wirtschaftliche Krise, aber dann ja auch gleichzeitig die gesundheitliche Krise. Nimmt die Regierung Trump das inzwischen so ernst, wie sie es sollte?
Clüver: Teile der Trump-Regierung nehmen es sehr ernst. Sie haben vorhin schon die Pressekonferenz des amtlichen Oberarztes, wenn man so möchte, der Nation zitiert. Aber wir hatten zeitgleich oder zwölf Stunden später eine Pressekonferenz des Präsidenten, in der wir im Grunde wieder eine Propagandaveranstaltung dieses Präsidenten erlebt haben, der Zahlen, ohne sie zu kontextualisieren, immer wieder von sich gab, wie viele Masken, wie viele PPE-Ausstattungen, wie viele Medikamente seien bestellt worden oder wären jetzt schon bereits im Umlauf. Ohne Kontext weiß man natürlich in keiner Weise als normaler Fernsehzuschauer, ist das jetzt gutes Krisenmanagement, ist das schlechtes Krisenmanagement, ist das inadäquates Krisenmanagement. Aber wenn man den statistischen Vergleich hat, weiß, wie es zum Teil in ganz ländlichen Regionen dieses unglaublich bevölkerungsarmen Teils in der Mitte des Landes aussieht, wie da Regionalkliniken, wie da ganze Landstriche in Georgia zum Beispiel, vier ganz große Landstriche ohne Krankenhaus auskommen müssen, ohne Lokalärzte, da ist die Krise noch lange nicht an ihrem Höhepunkt angelangt.
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Büüsker: Diese enorme Arbeitslosigkeit, die Sie gerade schon beschrieben haben, was bedeutet das für die einzelnen Menschen?
Clüver: Ich glaube, es ist eine unglaubliche Verunsicherung, die hier durchs Land geht. Wir haben natürlich in Deutschland auch leere Straßen, aber hier ist durch dieses mangelnde Auffangnetz eines nicht vollständig im europäischen Sinne ausgebauten Sozialstaates, das spüren die Menschen hier extrem akut. Es ist völlig unklar, ob zum Beispiel gerade in einer ganz großen Service-Industrie wie in diesem Land die Leute wirklich nach dieser Krise – was heißt nach dieser Krise, wenn wir im Herbst gegebenenfalls die zweite Welle des Virus erwarten -, ob das Leben in dem Sinne gerade für die Service-Industrie, für alle Leute, die in der GIT-Ökonomie arbeiten – wir denken an die vielen tausend Überfahrer, die zum Beispiel das Leben in Boston aufrecht erhalten -, ob die alle wieder arbeiten können, das ist durchaus fraglich. Und man merkt wirklich auch an den Gesichtern der Menschen, wenn man hier durch die Straßen geht, die paar, die auf den Straßen sind, diese Sorgen treiben die Menschen um. Das hört man in Pressestimmen, das hört man sehr viel in Einzelgesprächen. Das ist eine wirklich tiefe emotionale Sorge.
"30 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung"
Büüsker: Das heißt, wenn wir es ganz konkret machen: In den USA sind gerade einfach Millionen Menschen von Armut bedroht?
Clüver: Ja, absolut! Wenn wir noch mal die Zahlen uns vornehmen: 40 Millionen Menschen, die kommen in der Langzeitstatistik gar nicht vor, denn die hoffen vielleicht noch, dass ihr Job wiederkommt, oder vielleicht haben sie auch nur reduzierte Schichten, sind weiterhin an "vorderster Front" in Supermärkten und an Tankstellen tätig. Aber sie wissen nicht genau, was die Zukunft bringt, und die Tatsache, dass es in Amerika keine ausgearbeitete Kurzarbeit gibt, keine wirkliche finanzielle Versorgung – und denken Sie an die vielen Millionen Menschen, 30 Millionen Menschen, die auch heutzutage trotz Obama Care, trotz der Reformen unter Obama noch komplett ohne Krankenversicherung in ihr Leben gehen, denn hier ist die Krankenversicherung ja immer noch meistens an einen Job gekoppelt, auch unter Obama Care. Das geht an die Substanz der Menschen.
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Büüsker: Wenn die Menschen jetzt merken, was es bedeutet, keine Krankenversicherung zu haben, keinen funktionierenden Sozialstaat zu haben, wie wir ihn in Europa, in Deutschland konkret haben, sehen Sie da vielleicht in dieser Krise auch das Potenzial, dass sich nachhaltig was in den USA verändert, dass politisch der Wille kommt, so etwas vielleicht zu etablieren?
Clüver: Natürlich! Man müsste eigentlich davon ausgehen, allein von der politischen Sachlage, dass das einen unglaublichen politischen Auftrieb haben würde für die noch rivalisierenden demokratischen Präsidentschaftskandidaten. Wir denken gerade an Bernie Sanders, der eine flächendeckende Gesundheitsvorsorge beziehungsweise eine flächendeckende Krankenversicherung, unabhängig von der Arbeitsstelle, Medicare for all, durchsetzen möchte. Aber das ganze Nachrichtenspektakel, das ganze Informationsspektrum wird zugedeckt von dem Präsidenten und seiner Krisenmannschaft, so dass ein Präsidentschaftskandidat Joe Biden oder ein Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders kaum zur Sprache kommen. Die Leute, für die die Situation wirklich akut ist, die können vielleicht auch gar nicht solche Langzeitüberlegungen machen, und noch ist völlig unklar, was auch mit dieser Präsidentschaftswahl passiert. Wie soll es in diesem Land - wir haben die Probleme in Iowa gesehen bei der Vorwahl – flächendeckende Briefwahl geben? Das wäre die logische Konsequenz. Aber selbst diese logistische Herausforderung ist noch völlig ungelöst und es ist auch zum Beispiel noch völlig unklar, was mit den großen Parteitagen werden wird, wo diese Pläne, die Sie ansprechen, noch mal von den Demokraten offensiv klar und deutlich zu bester Medienzeit klargelegt werden könnten. Zurzeit ist völlig unklar beziehungsweise fast klar, dass der große Parteitag der Demokraten im Juli nicht stattfinden kann.
"Wir haben diese charismatische Führungsfiguren nicht in Amerika"
Büüsker: Schauen wir vielleicht noch mal ein bisschen auf das internationale Spektrum, die internationalen Auswirkungen. Wir sehen das ja schon jetzt, dass die USA einen Exportstopp für Schutzkleidung erlassen haben. Es gab auch Berichte über recht aggressives Aufkaufen, wenn nicht gar Konfiszieren von Schutzkleidung, die eigentlich für andere gedacht war. Wir haben in den vergangenen Jahren der Präsidentschaft von Donald Trump schon das Mantra "America first" als Prämisse seiner Politik gesehen. Das wird jetzt durch die Krise noch mal verschärft?
Clüver: In jedem Fall. Wenn man an die großen Weltkrisen zurückdenkt, wo wir an amerikanisches Leadership geglaubt haben – wir denken an Franklin D. Roosevelt während der großen Depression, wir denken an den Zweiten Weltkrieg. Wir haben diese charismatische Führungsfiguren nicht in Amerika. Wir erleben einen Präsidenten, der kein anständiges Krisenmanagement hinbekommt, der um Fehler zu verdecken lügt – das kann man, glaube ich, zweifelsohne sagen – und versucht, Hamsterkäufe auf dem internationalen Markt zu tätigen, wenn man so möchte. Das steht natürlich entgegen dem, was wir eigentlich von Amerika bräuchten, nämlich Führungskapazität innerhalb der G20. Saudi-Arabien hat da jetzt gerade quasi den Chefsessel inne, aber theoretisch könnte man sich vorstellen, dass ein amerikanischer Präsident da seine Kollegen wöchentlich zusammenruft. Fünf Milliarden [Gemeint sind fünf Billionen Dollar; Anmerkung der Redaktion] haben wir schon gesehen, um die Weltwirtschaft zu retten, um Liquidität zu gewährleisten. Da müsste noch viel mehr kommen. Wir sehen natürlich, die NATO gibt sich Mühe, die EU gibt sich Mühe, viele, viele koordinieren über ihre Notprozesse. Aber es fehlt ganz klar, es ist ein leerer Stuhl in der Führungsfunktion der USA für den globalen Zusammenhalt.
Büüsker: Und wenn wir uns dann noch mal die wirtschaftlichen Aspekte anschauen, unter Umständen auch mit geschwächten Vereinigten Staaten, international mit noch mal einem erheblichen Bedeutungsverlust
Clüver: Ja, absolut! Und wir werden sehen, dass China, das Land, was jetzt im Grunde genommen anfängt, die Krise hinter sich zu lassen, selbst mit einbrechenden Wirtschaftszahlen in China wird China das für sich strategisch als Möglichkeit sehen, da aufzudrehen wo es kann. Das was wir in der internationalen Politik immer als die großen Lagerkämpfe gesehen haben in den letzten Jahren, Amerika, Russland, China, da wird China nun alles daran setzen, weltwirtschaftlich, aber natürlich auch irgendwo politisch, systemarchitektonisch zu versuchen, an den USA, wenn man so möchte, vorbeizuziehen. Das sind alles Gefahrenlagen für die USA und meine Befürchtung ist, dass diese Administration, diese Präsidentschaft diesen verschiedenen Gefahrenlagen nicht Herr werden kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.