Theo Geers: Herr Schweitzer, die letzten Tage mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump, hätten aus deutscher Sicht gar nicht turbulenter laufen können. Da wurde erst ein Einreiseverbot für Muslime verhängt, dass dann später abgeschwächt wurde. Dann kam der massive Vorwurf aus dem Weißen Haus, Deutschland verschaffe sich auf Kosten der Amerikaner ungerechtfertigte Handelsvorteile durch einen zu schwachen Euro. Deshalb die Frage an Sie: War die Hoffnung, dass bei Trump alles nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird, war diese Hoffnung vielleicht trügerisch?
Eric Schweitzer: Also, ich glaube zunächst mal müssen wir festhalten, dass die Vereinigten Staaten wahrscheinlich unser wichtigster Bündnispartner sind außerhalb Europas. Wir haben eine gemeinsame Wertegemeinschaft und diese Wertegemeinschaft trägt sehr stark. Das momentane Verhalten des neuen amerikanischen Präsidenten ist erstaunlich, weil das was er behauptet zum Teil nicht stimmt. Also, zu sagen, die deutsche Bundesregierung würde künstlich den Euro niedrig halten, das tut sie nicht, denn wir haben die unabhängige EZB als auch die Bundesbank. Und das Zweite ist, die Vereinigten Staaten würden sich selbst im erheblichem Umfange schaden mit dem, was der amerikanische Präsident momentan vorschlägt.
Geers: Gefährdet Donald Trump Arbeitsplätze hier bei uns?
Schweitzer: Das kommt darauf an, was er am Ende des Tages davon umsetzt. In Deutschland sind eine Millionen Arbeitsplätze vom Export in die Vereinigten Staaten abhängig. Allerdings muss man auch wissen, deutsche Unternehmen beschäftigen in den Vereinigten Staaten circa 700.000 Amerikaner. Und ich glaube, das Kernziel - wenn ich das richtig verstanden habe - des amerikanischen Präsidenten ist es ja zu sagen: 'Ich will mehr Wertschöpfung in den USA, also mehr Industrie. Dieses geht nach dem Slogan "America First". Und das mache ich jetzt mal, indem ich alles durch Zölle und Steuern teuer mache, was ins Land kommt und alles günstiger mache beziehungsweise steuerfrei mache was rausgeht.' So funktioniert aber heute Wirtschaft nicht mehr. Ich nehme hier ein Beispiel. Die deutsche Automobilindustrie, die in Mexiko produziert - Autos - und ein Teil davon in die Vereinigten Staaten verkauft, hat über 40 Prozent der Produkte, die in diesem Auto sind, über Vorprodukte aus den USA bezogen.
"Wir müssen mehr in Deutschland investieren"
Das heißt, diese Vorstellung zu sagen, es wird etwas in Mexiko produziert, wird da 100 Prozent produziert und dann in die USA verkauft und dann finden die Arbeitsplätze in Mexiko statt, stimmt nicht, sondern sie haben eine extrem arbeitsteilige Welt. Und das Zweite ist, warum verkauft Deutschland deutlich mehr Waren in die Vereinigten Staaten als wir beziehen? Das liegt nicht daran, weil die Waren billiger sind. Deutsche Produkte sind nicht dafür bekannt, dass sie über den Preis verkauft werden, sondern weil sie eine einzigartige Qualität haben, dieses "Made in Germany". Das ist ja, warum wir auch arbeiten müssen daran, dass wir in Deutschland auch wettbewerbsfähig bleiben. Ich glaube, woran wir was ändern können und ändern müssen ist, dass wir mehr in Deutschland investieren. Und ich glaube, das ist auch eine Aufgabe an die Bundesregierung, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass wieder mehr in Deutschland investiert wird.
Geers: Sie sagten, eine Millionen Arbeitsplätze in Deutschland hängen vom Export ab in die USA. Gefährdet das, was da möglicherweise kommt von Donald Trump aus dem Weißen Haus, gefährdet das hierzulande Jobs und wenn ja wie viele? Was steht da auf dem Spiel?
Schweitzer: Wenn das, was Donald Trump angekündigt hat, eins zu eins komplett so umgesetzt wird, würde das sowohl Arbeitsplätze in Deutschland gefährden als auch in den Vereinigten Staaten. Das heißt, die Lösung des amerikanischen Präsidenten zu sagen: 'Ich baue an anderer Seite Arbeitsplätze ab - nach diesem America First-Prinzip - und die werden dann in mindestens gleicher Anzahl in den Vereinigten Staaten wiederaufgebaut', das funktioniert in der Welt des 21. Jahrhunderts nicht mehr. Wenn Sie alleine anschauen, Europa ist für die amerikanische Industrie, für die amerikanische Flugzeugindustrie ein extrem wichtiger Markt, für die amerikanische Pharmaindustrie ein wichtiger Markt, wir sind ein wichtiger Markt für die Internetgiganten Google, Facebook, wo sie hier Daten sammeln, was in den Handelsbilanzen gar nicht stattfindet. Das heißt, Politik so konkret umgesetzt, vernichtet Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten, im Rest der Welt, in Europa und auch in Deutschland.
"Probleme löst man nie durch Schweigen"
Geers: Nun ist ja die Frage, wie geht man mit dem, was da aus Washington kommt, um. Was empfehlen Sie denn der Bundesregierung, wie sie jetzt mit diesen Dingen, die da möglicherweise noch kommen, von denen keiner weiß, ob sie kommen, wann sie kommen, aber wie soll man damit umgehen? Die Wirtschaftsministerin hat vor ein paar Tagen gesagt: 'Reden, reden, reden' - was empfehlen Sie?
Schweitzer: Ich fand zunächst die Antwort der Bundeskanzlerin auch auf das Thema der Einschränkung der Visen für die sieben muslimischen Länder richtig zu sagen: 'Klar sind wir uns einig im Kampf gegen den Terror, damit darf aber keine Diskriminierung von gesamten Religionsgemeinschaften stattfinden.' Ich finde den Besuch von Herrn Gabriel diese Woche in Washington sehr wichtig, sehr richtig und sehr gut. Und am Ende des Tages geht es nur über gemeinsame Gespräche und geht es nur über den Austausch. Und es ist noch nie ein Problem gelöst worden, indem man nicht miteinander spricht. Das gilt nicht nur für das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten, das gilt für das Verhältnis, was man privat hat und das gilt für das Verhältnis, welches man da hat, wo man beschäftigt ist. Das heißt, Probleme löst man nie durch Schweigen, sondern Probleme löst man nur durch Gespräche. Und Gespräche zeichnen sich dadurch aus, dass nicht nur einer spricht und der andere zuhört, sondern das der, der zuhört, auch mal spricht. Und das geht am besten, wenn man sich unter vier Augen austauscht.
Geers: Und was ist, wenn man mit diesen Argumenten nicht durchdringt, wenn denen in Washington, um das mal so auszudrücken, eigentlich alles egal ist, weil es eben heißt "America First"?
Schweitzer: Ich sage mal, die Frage, jetzt ein Himmelfahrtsszenario zu bauen, zu sagen, es hört einer gar nicht zu, glaube ich nicht, dass das stattfindet. Die Frage, mit welcher Intensität gelingt es uns, mit unseren Argumenten durchzukommen, in dem Zusammenhang ist vielleicht ein Punkt ganz wichtig: Auch diese jetzige Diskussion mit den Vereinigten Staaten zeigt ganz deutlich, dass wir eine Europäische Union brauchen, weil eine Europäische Union - auch ohne das Vereinigte Königreich - hat 450 Millionen Einwohner, ist größer als die Vereinigten Staaten und hat damit auch eine potenzielle wirtschaftliche Stärke, um auch entsprechend wahrgenommen zu werden. Und ich glaube, nichts zeigt deutlicher als in den jetzigen Tagen, wie wichtig ein vereinigtes Europa ist und wie wichtig ein einheitliches Auftreten ist. Und auch hier die Ideen und die Anstrengungen der europäischen Regierungschefs genau dazu zu finden, ist sehr, sehr wichtig und ist wegweisend.
"Wir sollten versuchen, einen Handelskrieg zu verhindern"
Geers: Befürchten Sie eigentlich, dass sich das auch möglicherweise aufschaukeln könnte nach dem Motto: Der eine fängt an mit Handelsbeschränkungen, mit Abschottung und dann sagen die Nächsten: 'Das können wir auch, was der kann' und dann fängt so eine Spirale an sich zu drehen, die immer weiter nach unten geht?
Schweitzer: Ja, diese Gefahr besteht. Wir sollten, glaube ich, möglichst einen Handelskrieg versuchen zu verhindern. Das geht nur über Gespräche. Aber alleine das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko, ich sage mal, wenn der amerikanische Präsident tatsächlich mexikanische Produkte mit Importzöllen belegen würde - was übrigens am Ende des Tages der Verbraucher in den Vereinigten Staaten zahlt, der Wähler von Donald Trump unter anderem bezahlen würde -, das würde natürlich auch dazu führen, dass Mexiko mit hoher Wahrscheinlichkeit sich genau das Gleiche überlegen würde für Produkte aus den Vereinigten Staaten. Und Mexiko ist das wichtigste Agrarexportland für die Vereinigten Staaten. So, das heißt, das zeigt schon daran, dass würde zu Verlust von Arbeitsplätzen in Mexiko führen, aber auch in den Vereinigten Staaten. Das führt nicht zu einem Aufbau von Arbeitsplätzen. Und wir sollten versuchen über sehr intensive Gespräche genau dieses zu verhindern, dass so etwas dann auch in Europa stattfindet oder in anderen Regionen der Welt.
Geers: Das heißt, Sie glauben nicht, dass da noch mehr kommt?
Schweitzer: Das weiß ich nicht, ob nicht noch mehr kommt. Aber ich glaube, der Weg darauf zu antworten, ist der richtige. Es ruhig und sachlich zu tun und die Dinge darzustellen wie sie sind und nicht wie man sie gerne hätte.
"Die Investitionsquote, die muss deutlich erhöht werden"
Geers: Reicht es denn auf Dauer als deutsche Bundesregierung oder auch als deutsche Wirtschaft, abwehrend die Hände zu heben, zu sagen: Na ja, wir haben halt gute Produkte, die sind auf dem Weltmarkt nun mal gefragt, wir können das auch nicht künstlich verschlechtern und unsere Wettbewerbsfähigkeit dadurch schmälern und Stichwort Wechselkurs ist auch nicht unsere Verantwortung, da ist die EZB zuständig? Das stimmt ja alles. Auf der anderen Seite, aus Sicht eines Amerikaners bleibt es dabei, dass Länder wie Deutschland erhebliche Überschüsse haben und eben damit immer wieder ins Visier geraten.
Schweitzer: Also, diese Überschüsse, die haben wir ja nicht deswegen, weil sie politisch angeordnet sind, sondern weil die deutschen Unternehmen in der Welt ihre Produkte verkaufen, die sehr, sehr hoch angesehen sind, dieses Thema "Made in Germany". Die Frage: Wo haben wir Schwächen in Deutschland, wo wir besser werden können und auch dieses Leistungsbilanzdefizit dadurch ein Stück weit minimieren? Das heißt mehr importieren. Die haben wir, weil wir zu wenig in Deutschland investieren. Das heißt, die Investitionsquote, die muss deutlich erhöht werden, sowohl durch öffentliche Investitionen - das ist was passiert in den letzten fünf Jahren, da muss aber noch mehr passieren - als auch durch Privatinvestition. Dann minimieren sie automatisch den Handelsbilanzüberschuss, den wir haben. Also, wir importieren dann mehr, wenn wir mehr investieren. Das ist zwingend notwendig. Darauf wurde in den letzten Jahren reagiert, indem die öffentlichen Investitionen bei der Infrastruktur ein Stück weit erhöht wurden, aber bei weitem noch nicht genug. Und auch im privaten Bereich muss mehr investiert werden.
Geers: Glauben Sie, dass man damit dann diese Kritik an Deutschland und seinen Überschüssen auf Dauer wird entkräften können?
Schweitzer: Also, den Vorwurf zu bekommen, dass man gut ist, höre ich lieber, als den Vorwurf zu bekommen, dass man ein hohes Leistungsbilanzdefizit hat. Die Frage ist, wo haben wir Stellschrauben, dass wir etwas verändern können? Da gibt es meines Erachtens zwei: Entweder wir machen unsere Produkte schlechter - das sollten wir nicht tun, das geht dann auch zu Lasten von Arbeitsplätzen und Wohlstand in Deutschland - oder aber wir machen unser Land noch wettbewerbsfähiger in dem Sinne, dass wir hier mehr investieren. Und das ist, glaube ich, die richtige Antwort und der richtige Weg.
"Die deutsche Wirtschaft wird sich dafür einsetzen, die Dinge wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen"
Geers: Das sagte der DIHK-Präsident Eric Schweitzer im Interview des Deutschlandfunks. Herr Schweitzer, bleiben wir noch mal bei der Frage, wie man auf Trump reagieren sollte und schauen mal auf die Unternehmen. Die reagieren bislang höchst unterschiedlich. Die einen bleiben cool, die anderen sagen gar nichts, andere beziehen wieder Stellung und manche reagieren auch, zum Beispiel kündigen sie an, wie Samsung oder Toyota, dass sie vielleicht demnächst doch wieder in Amerika doch wieder mehr investieren werden. Was raten Sie den deutschen Firmen? Wie sollen sie auf diesen veränderten Wind, der da aus Washington weht, reagieren?
Schweitzer: Also, die Vereinigten Staaten sind ja unser wichtigstes Exportland. Und - ich hatte es anfangs gesagt - unser wichtigster Verbündeter außerhalb Europas und auch im Teilen einer gemeinsamen Wertegemeinschaft: Freiheit, Rechtsstaatdemokratie. Das vorabgeschickt. Zweitens, viele Unternehmen die Geschäfte mit den Vereinigten Staaten machen, entweder indem sie nur was dahin verkaufen oder auch dort produzieren, sind zurzeit erheblich beunruhigt, weil Vieles angekündigt ist, aber keiner konkret weiß, ob und wie es umgesetzt wird. Und- wenn man sich tiefer mit den Dingen beschäftigt - weiß man, wenn Dinge, die angekündigt werden, zum Beispiel ein neues Steuersystem über eine Importsteuer, dass das zu stark steigenden Verbraucherpreisen in den USA führt. Die USA kaufen - nur als Beispiel - pro Tag fünf Millionen Barrel Öl aus Mexiko. So, wenn sie noch eine Importsteuer draufmachen, wird das teurer. Das heißt Viele sind beunruhigt, sagen, was er zum Teil ankündigt, da schadet er sich ja selbst damit, und warten jetzt ab, was passiert.
Das heißt, halten dann Investitionen zurück, die sie unmittelbar vorhatten - ob das nun in Mexiko oder in den USA ist -, um zu sehen, was passiert nach vorne. Ich würde empfehlen, jetzt das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Das heißt jetzt nicht hektisch zu werden - das machen die deutschen Unternehmen auch nicht -, aber sehr genau zu beobachten, was dort passiert. Und die deutsche Wirtschaft insgesamt wird sich im Dialog mit den Vereinigten Staaten sehr stark dafür einsetzen, die Dinge wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Und über die Dinge zu sprechen, welche Komplexität sie haben und welche Auswirkung es am Ende des Tages auch hat. Und dass es nicht zur Lösung kommen sollte, wo "America First" das Ergebnis hat, eine solche Politik, worunter die Vereinigten Staaten wirtschaftlich leiden.
Gespräche auf vielen Wegen
Geers: Heißt das jetzt, die deutsche Wirtschaft wird irgendwann mal in so einer konzertierten Aktion in Washington auftreten und versuchen ihre Argumente vorzubringen?
Schweitzer: Also nicht in einer konzertierten Aktion, das halte ich für Quatsch, aber in vielen, vielen Gesprächen.
Geers: Wer wird das machen?
Schweitzer: Das machen die einzelnen Unternehmenschefs selbst. Das werde ich machen. Ich glaube, auch der BDI-Präsident wird das machen. Also, da finden auf vielen Wegen Gespräche statt.
"Ich halte den Ansatz für richtig, in Asien deutlich mehr zu tun"
Geers: Eine andere Strategie um auszuweichen, hat auch der gewesene Wirtschaftsminister, Sigmar Gabriel, vor einigen Tagen noch skizziert. Er hat gesagt: 'Wenn die Amerikaner sich zurückziehen, zum Beispiel aus Asien, dann sollten wir, die deutsche Industrie, diese Lücken, die sich da auftun, nutzen, in diese Lücken hineingehen, nach Asien vorstoßen, um vielleicht auch möglicherweise das zu kompensieren, was in Amerika verloren gehen könnte.' Ist das eine stimmige Strategie?
Schweitzer: Also, ich halte den Ansatz für richtig, in Asien deutlich mehr zu tun. Da darf man nicht nur China sehen - China auch, China ist wichtig, für Deutschland sogar sehr wichtig, aber nicht nur China sehen -, sondern in die ASEAN-Staaten insgesamt investieren wir für 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr - in die USA für 115. In vielen AEAN-Staaten, die nicht China sind - als Beispiel Thailand, als Beispiel die Philippinen -, sind wir nicht unter den ersten fünf der Exportpartner. Das heißt, da ist für die deutsche Wirtschaft, für deutsche Produkte noch ein erhebliches Potential, was genutzt werden kann. Ich sehe es nur nicht als ein Entweder/Oder. Sondern ich glaube, unsere Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten sind sehr wichtig und das andere ist auch wichtig, aber das sticht sich nicht gegeneinander aus, sondern man sollte versuchen, das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten wieder auf reale Füße, also den Informationsaustausch über die wirtschaftlichen Zusammenhänge wieder auf reale Füße zu stellen. Man sollte mehr investieren in Deutschland und wir sollten uns als Deutschland auch mehr bemühen, um die wirtschaftlichen Verbindungen zu den ASEAN-Staaten deutlich zu erhöhen. Das geht im Wesentlichen über Freihandelsabkommen. Da haben wir auch bisher im Wesentlichen nur eines, das ist mit Südkorea. Das heißt, da sind wir mit oder die Europäischen Union mit verschiedenen Staaten zurzeit in Verhandlung. Das sollte man beschleunigen.
"Wenn wir in viele Märkte der Welt verkaufen, sind wir natürlich auch bei jeder Krise dabei"
Geers: Heißt übersetzt, Herr Schweitzer, das, was möglicherweise in Amerika wegbrechen könnte, das kann man nicht einfach in Asien ersetzen, aber Sie fürchten auch gar nicht, dass in Amerika so viel wegbrechen könnte durch Herrn Trump?
Schweitzer: Wie war das in der Vergangenheit? Wir hatten ja auch Rückgänge in einzelnen Staaten. Ich erinnere da an die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland. Da sind unsere Exporte um 40 Prozent nach Russland zurückgegangen, auch durch die anschließenden Sanktionen. Das sind für die deutsche Wirtschaft 16 Milliarden Euro. Das ist ausgeglichen worden durch Wachstum in anderen Märkten. Und ich glaube, wir sind ganz vernünftig aufgestellt, dass wenn wir in viele Märkte der Welt verkaufen, dann sind wir natürlich auch bei jeder Krise mit dabei. Klar, wenn es in irgendeinem Land eine Krise gibt und wir sind Exportweltmeister und wir verkaufen in viele Länder der Welt, dann werden wir da auch getroffen. Das zeigt sich am besten durch eine Aufstellung, wie wir sie haben, dass wir Rückgänge, die sie immer in einzelnen Ländern haben, dann möglichst durch Wachstum in anderen Regionen ausgleichen. Und, klar, mache ich mir Sorgen über die Entwicklung in den Vereinigten Staaten, ich glaube nur, jetzt ist nicht Hektik angebracht, sondern jetzt ist einfach angebracht darüber zu sprechen aus einer selbstbewussten Position mit den Vereinigten Staaten und die Dinge, wie gesagt, wieder richtig zu stellen.
Geers: Noch eine Frage zu diesem Themenkomplex, Herr Schweitzer. Gefährdet dieser wachsende, weltweit zu beobachtende Hang zu Protektionismus, gefährdet der möglicherweise das deutsche Wirtschaftsmodell, was ja sehr stark auf Exporten basiert?
Schweitzer: Na klar. Ich sage mal, dieser Hang in vielen Ländern zu glauben, durch Protektionismus, das heißt durch Abschottung der eigenen Märkte und gegen Freihandel mehr Wohlstand zu generieren, führt genau zum Gegenteil. Sie werden nicht besser, wenn sie Wettbewerber ausschließen, sondern sie werden besser, wenn sie im Wettbewerb sind zu fairen Bedingungen. Deswegen sollte unser Interesse, weil ein Kern unseres Wohlstandes ist Freihandel, an Freihandelsabkommen liegen, die fair sind und auf unserer Wertebasis basieren. Weil das zeigt die Diskussion, die wir im TTIP hatten. Da hatten ja viele Angst hier, dass sie sagen, dann werden uns die Amerikaner überfahren mit ihrem Hormonfleisch und mit ihren Chlorhühnchen. Und jetzt sehen wir, was eigentlich passiert, wenn wir kein Freihandelsabkommen haben: Jetzt schreiben uns die Amerikaner vor.
"Wir sollten hohes Interesse haben an Freihandelsabkommen"
Das heißt, manchmal ist es vielleicht ganz klug, auch darüber nachzudenken, was passiert eigentlich, wenn man es nicht hat und dann gibt es jemand anders der regiert, der die Dinge vielleicht ganz anders sieht. Das heißt, wir sollten hohes Interesse haben an Freihandelsabkommen, weil wir dann die Chance haben, unsere Werte und die Dinge die uns wichtig sind, wie Umweltstandards, wie Sozialstandards, dort auch möglichst mit reinzubekommen, weil sonst spielen wir nach den Bedingungen anderer. Das heißt konkret: Protektionismus und weniger Verhandeln. Es gibt, glaube ich, kaum ein Land der Welt, was darunter so sehr leiden würde wie Deutschland, wenn Freihandel zurückgefahren wird und immer mehr Protektionismus kommt.
Geers: Kommen wir auf ein anderes Thema, Herr Schweitzer. Hier in Deutschland nimmt der Bundestagswahlkampf langsam Fahrt auf. Die SPD hat Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten nominiert, mit der Folge, dass auch in der Union die Reihen geschlossen werden, selbst die CSU schart sich jetzt hinter Angela Merkel ein. Wenn man jetzt weiß, dass in diesen Zeiten und Wochen die Wahlprogramme geschrieben werden, wenn man weiß, dass auch die Vertreter der Wirtschaft in den Parteizentralen ein- und ausgehen und mit den Autoren dieser Wahlprogramme sprechen, was aus Sicht der Wirtschaft in ein solches Wahlprogramm hineingehört, was gehört denn aus dieser Sicht da hinein, aus Sicht der DIHK? Egal, bei welcher Partei erstmal.
Schweitzer: Ich glaube, was ganz wichtig ist, wir brauchen eine deutliche Erhöhung der Investitionen in Deutschland und zwar insbesondere auch im privaten Bereich.
"Wir brauchen steuerliche Änderungen für Unternehmen"
Geers: Wie wollen Sie die herbeiführen?
Schweitzer: Wir brauchen steuerliche Änderungen für Unternehmen. Das heißt, wir brauchen Anreize dafür, dass Unternehmen wieder mehr investieren. Weil wir ja feststellen, so wie wir es zurzeit haben, Status quo, tun sie investieren, sind wir steuerlich zu hoch und investieren zu wenig. Zweitens, wir brauchen einen deutlichen Schwerpunkt, wie gesagt, in der Investition im privaten Bereich und wir brauchen einen deutlichen Schwerpunkt bei den Investitionen im öffentlichen Bereich, in dem Ausbau der digitalen Infrastruktur. Wir hatten ja die Zwischenlösung "50 Megabyte Breitbandnetzausbau bundesweit" - was wir vom Grunde her brauchen, ist ein flächendeckender Glasfasernetzausbau in ganz Europa, in der europäischen Union, weil nur das der relevante Markt ist. Das würde erhebliche Summen kosten, wäre aber richtig wichtig auch für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Wir brauchen deutliche Investitionen im Bildungsbereich.
Weil wenn sie sehen, wo wir ... wir haben ja in Deutschland ein hervorragendes duales Ausbildungssystem, was durch die Kammern getragen wurde, wofür wir weltweit bewundert werden. Wir müssen aber noch mehr investieren in die Ausbildung, auch in Teilqualifizierungen für Menschen, die älter als 25, 30 sind, die keine entsprechende Ausbildung haben, dass man dort Teilqualifizierungen anbietet. Das tun wir in der IHK, aber wir brauchen auch vom Bund eine deutliche Investition in die Bildungsinfrastruktur und insbesondere auch in die Berufsschulen. Und wir müssen uns weiter anstrengen, im Forschungs- und Entwicklungsbereich noch besser zu werden - da gilt ja das Ziel, drei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Forschung und Entwicklung auszugeben. Ich glaube, das reicht nicht, da müssen wir noch deutlich höher rangehen.
"Keine Steuererhöhung"
Geers: Gibt es auch was, was wir gar nicht brauchen können?
Schweitzer: Steuererhöhungen.
Geers: Und was noch?
Schweitzer: Das reicht Ihnen nicht? Ich glaube, wenn ich das mitbekomme, die Diskussion in den einzelnen Parteien …
Geers: Ich frage das deshalb, weil zum Beispiel die SPD ganz klar angekündigt hat, sie will mit dem Argument "Mehr soziale Gerechtigkeit" in den Wahlkampf ziehen, und das wird möglicherweise auf das Thema höhere Steuern oder auch vielleicht Steuern für bestimmte Gruppen hinauslaufen. Denn Martin Schulz, der designierte Kanzlerkandidat, hat ja schon gesagt, er will an die großen Vermögen ran.
Schweitzer: Und wenn ich Herrn Schulz bisher richtig verstanden habe, ging es ihm bei dem Steuerthema auch im Wesentlichen darum, dass Gewinne, die ausländische Unternehmen in Deutschland machen, auch in Deutschland versteuert werden sollen. Das ist übrigens ein Ansatz, den ich teile. Ich glaube, diese alte Diskussion über eine Einführung der Vermögenssteuer, bringt relativ wenig, weil wir alle wissen, der Aufwand, um das zu betreiben, ist höher als das, was man anschließend daraus einnimmt. Den Spitzensteuersatz weiter zu erhöhen, der übrigens inklusive des Solidaritätszuschlages in Deutschland schon knapp 50 Prozent beträgt, führt dazu, dass sie den vielen mittelständischen Unternehmen, die ja in Personengesellschaften organisiert sind und Einkommenssteuer zahlen, damit Investitionsfähigkeit wegnehmen, weil das Geld was sie Steuern zahlen, können sie nicht investieren.
Und ich glaube mal, bei der Erbschaftssteuer - das ist ja dann der dritte Punkt -, da hatten wir jetzt über zwei Jahre eine sehr, sehr intensive Diskussion, haben wir glaube ich einen Kompromiss gefunden, der für die Wirtschaft schwer war, der auch viele trifft, der aber tragbar war. Da nochmal ranzugehen, würde übrigens dazu führen, dass wir viele mittelständische Betriebe in Deutschland in der Wirtschaftsstruktur ändern würden, weil die dann anschließend nicht mehr in der Lage wären, in der nächsten Generation ihr Unternehmen weiter fortzuführen. Eines der Erfolgsmodelle für unser Land ist ja, dass wir diese mittelständische Struktur der Familienunternehmen haben. Deswegen würde ich dringend davon abraten: Lasst die Finger von der Erbschaftssteuer, lasst diesen Kompromiss jetzt so wirken wie er war. Und deswegen ist das, glaube ich, schon ein wichtiges Thema: Keine Steuererhöhung.
"Wir müssen deutlich mehr in Bildung investieren"
Geers: Trotzdem nochmal gefragt, Herr Schweitzer. Wenn eine Partei wie die SPD mit dem Gerechtigkeitsargument kommt und sagt, das sei auch ein Rezept, um zum Beispiel den wachsenden Rechtspopulismus bei uns im Lande zu bekämpfen, teilen Sie diese Analyse? Muss da mehr passieren aus Ihrer Sicht oder sagen Sie eher der Partei: "Vorsicht"?
Schweitzer: Also, ich glaube, in diesen Punkten, die Herr Schulz angesprochen hat, zu sagen, auch wenn ausländische Unternehmen in Deutschland Wertschöpfungen machen, Gewinne machen, die auch hier zu versteuern, teile ich, dass das auch angemessen versteuert werden muss. Ich glaube, dass dieses Thema "Anstand" bei der Bezahlung von Managern und das Leistung auch bezahlt werden soll, das ist richtig - also, wenn der Erfolg da ist. Wenn kein Erfolg da ist, es nicht bezahlt oder entsprechend geringer bezahlt werden soll, ist auch richtig. Ich glaube, das kann man wenig gesetzlich regeln - das hat viel mit der Moral zu tun. Übrigens auch damit, wir haben mitbestimmende Aufsichtsräte, das geht dann in beide Richtungen. Ich glaube vielmehr, das Thema auch der Aufklärung und das Thema Rechtspopulismus, dem zu begegnen, hat auch viel davon, was ich eingangs angesprochen habe, Kernthemen für die nächste Legislatur sind die Investitionen in Bildung. Wir brauchen, wir müssen deutlich noch mehr in Bildung investieren, weil Aufgeklärtheit und Bildung führt meistens auch dazu, dass man in der Lage ist, sich ausgewogen eine Meinung zu bilden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.