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Tschechien
Ausstieg aus dem Kohle-Ausstieg

In Tschechien soll der Anteil der Kohle an der Stromproduktion in den kommenden Jahren deutlich gesenkt werden. Die Reduzierung der CO2-Emissionen soll vor allem durch den Ausbau der Atomenergie erreicht werden. Doch die Regierung lässt sich in Sachen Kohle ein Hintertürchen offen.

Von Stefan Heinlein | 17.08.2015
    Ein Braunkohlebagger in der tschechischen Region Nordböhmen
    In Nordböhmen fressen sich in den Tagbaugruben weiter riesige Bagger druch die Landschaft. (picture-alliance / dpa/ Filip Singer)
    Mit Trillerpfeifen gegen die Bagger. In Horni Jiretin kämpfen die Menschen für den Erhalt ihres Ortes. Er droht von der Landkarte zu verschwinden. Eigentlich sollte in wenigen Jahren endgültig Schluss sein mit dem Braunkohle-Tagebau in der Region. Doch Industrieminister Jan Mladek hat andere Pläne.
    "Die Kohle ist noch immer unsere wichtigste Energiequelle. Wir können auf diesen Rohstoff nicht verzichten. Strom und Wärme – das ist auch heute noch der besondere Zauber der Heizkraftwerke."
    Tatsächlich werden zwei Drittel der tschechischen Haushalte nach wie vor durch Fernwärme aus den Kohlekraftwerken versorgt. Sie liefern auch rund die Hälfte der Stromproduktion des Landes. Dieser Anteil soll zwar in den kommenden Jahren deutlich reduziert werden. Doch ein völliger Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle ist nicht geplant, so der Energie-Experte Jiri Gavor:
    "Die tschechische Regierung betrachtet die heimische Braunkohle immer noch als die billigste Energiequelle. Die Kohlekraftwerke werden also nicht grundsätzlich infrage gestellt. Es geht vielmehr um die Frage, wie schnell und in welchem Umfang man den Anteil der Kohle an der Energieversorgung senkt."
    Keine Energiewende nach deutschem Vorbild
    Auf dem Papier ist die Sache klar, Tschechien plant keine Energiewende nach deutschem Vorbild. Im Gegenteil: Die Förderung erneuerbarer Energiequellen wurde zuletzt drastisch reduziert. Der Anteil der Kohle an der Stromproduktion des Landes soll bis zum Jahr 2040 auf rund 15 Prozent sinken, doch Industrieminister Mladek lässt sich ein Hintertürchen offen:
    "Tschechien hat ein neues energiepolitisches Konzept. Die Reduzierung der CO2-Emissionen soll vor allem durch den Ausbau der Atomenergie erreicht werden. Sollte das allerdings nicht funktionieren, werden wir unseren Strom weiter aus Gas und Kohle produzieren müssen."
    Beide Varianten sind in den Augen der wenigen Umweltschützer in Tschechien ein Horrorszenario. Die Regierung mache das Land zu einem energiepolitischen Dinosaurier, so der ehemalige Umweltminister der Grünen, Martin Bursik:
    "Das Ganze ist eine Tragikomödie. Vor 1989 sind die Menschen in unserem Land fast an der Kohle erstickt. Überall in der Welt setzt man deshalb auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Nur unsere Regierung will viele weitere Jahre an der umweltschädlichen Kohle festhalten."
    "Keinen Grund vollständig aus der Kohle auszusteigen"
    Doch die Kritik der Umweltschützer wird in Tschechien kaum wahrgenommen. Der Widerstand in Nordböhmen gegen die Aufhebung der Förderlimits im Braunkohle-Tagebau findet nur wenig Unterstützung. Industrieminister Maldek rechnet fest mit der Umsetzung seiner Pläne:
    "Wir können bis zum Jahr 2100 Kohle aus unseren Gruben fördern. Ihr Anteil an der Stromproduktion wird zwar schrittweise reduziert aber wir haben keinen Grund vollständig aus der Kohle auszusteigen."
    Der geplante Ausbau des Braunkohle-Tagebaus in Nordböhmen könnte indes nicht reichen um den aktuellen Hunger der Kohlekraftwerke zu stillen. Zwei tschechische Energiekonzerne haben deshalb bereits ihr Interesse am Kauf der Vattenfall-Braunkohlesparte in der Lausitz angemeldet. Die Verstromung ostdeutscher Kohle in tschechischen Kraftwerken ist deshalb wohl nur noch eine Frage des Preises.