Donnerstag, 28. März 2024

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Tschechien
Trotz Wirtschaftswunder wandern junge Menschen ab

Im Dreiländereck Tschechien-Slowakei-Polen herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Die Region gehört zu den größten Automobilproduzenten in Europa, doch hoch qualifizierte junge Leute ziehen weg. Die Region wächst zusammen und möchte sich auch Zukunftsthemen stellen.

20.04.2017
    Autos laufen am Band im Unternehmen TPCA, einem Joint Venture von Toyota, Peugeot, Citroën im tschechischen Kolín. Hier im Juli 2015. Im Hintergrund prüfen Angetellte die Produktion.
    Vollbeschäftigung und Aufschwung: Aber viele junge Leute wollen lieber in die größeren Städte. (Imago/CTK)
    Ein paar tausend Quadratmeter misst die Halle, Roboterarme und schwere Maschinen dominieren die Geräuschkulisse. Hier im Osten Tschechiens produziert die Firma Röchling, ein Unternehmen aus Deutschland. Chef vor Ort ist Hartmut Bischoff.
    "Hier, das sind Sachen für Abgas-Turbolader. Luftröhren, also Luftführungen für die Druckluft."
    Spezielle Kunststoffteile für die Autoindustrie laufen hier vom Band, rund um die Uhr sind die Maschinen in Betrieb. Das Dreiländereck in der Grenzregion von Tschechien, Polen und der Slowakei hat sich zu einem Wirtschaftswunderland entwickelt: Die Auto-Industrie stampft ein Werk nach dem anderen aus dem Boden, Hyundai, Kia, Toyota, VW und bald auch Land-Rover stellen Motoren oder gleich komplette Autos her - und prägen damit eine ganze Region.
    Ein paar Minuten entfernt von der Fabrikhalle sitzt Lenka Simeckova am Schreibtisch, sie arbeitet in der Verwaltung der 25.000-Einwohner-Stadt Koprivnice. Als sie in den 1990er Jahren anfing, sagt sie, sei die Region quasi am Ende gewesen.
    "Das war eine deprimierende Zeit. Die Arbeitslosigkeit lag weit über zehn Prozent, wir hatten jede Menge Leute im produktiven Alter, die keine Beschäftigung fanden."
    Im Kommunismus war das Dreiländereck geprägt von der Schwerindustrie - Tagebau, Hüttenwerke und speziell in Koprivnice die Firma Tatra, einer der größten Lastwagen-Hersteller des einstigen Ostblocks, der tausende Arbeiter entlassen musste. Lenka Simeckova steht auf und geht ans Fenster. Vom achten Stock aus hat sie die ganze Stadt im Blick:
    Die ganze Region blüht auf
    "Das Gebäude der Stadtverwaltung war früher die Direktion von Tatra. Da vorne war das alte Areal, wo sich jetzt kleinere Firmen angesiedelt haben, dort ist das Heizkraftwerk und da vorne bei den Eisenbahnschienen erstreckt sich das neue Firmengelände. Unser Industriepark fängt dahinter an."
    Der Industriepark. Lenka Simeckova ist eine der Initiatorinnen dieses Plans, der für die Stadt wie ein Hauptgewinn im Lotto war: 80 Hektar Brachland wurden zum Industriegebiet. Um die Jahrtausendwende war das, und plötzlich kamen die Investoren, angelockt vor allem von den arbeitslosen Metallarbeitern. Die ganze Region blüht heute auf:
    "Die Stadt versucht, etwas aus sich zu machen. Nehmen Sie allein das Angebot an Freizeitaktivitäten: Wir haben ein Freibad, ein Hallenbad, eine Eishalle, ein paar Fußballfelder, Tennisplätze, einen Golfplatz. Außerdem bauen wir ein Radwegenetz, das uns mit den umliegenden Orten verbindet."
    Das Wirtschaftswunder soll weitergehen
    Ein Problem aber beschäftigt das Dreiländereck Tschechen-Polen-Slowakei trotz Vollbeschäftigung und Aufschwung: Viele junge Leute wollen lieber in die größeren Städte.
    Ein Rezept gegen die Abwanderung sucht man 90 Kilometer östlich von Koprivnice im slowakischen Zilina. Jozef Ristvej ist einer der Prorektoren der hiesigen Universität; er beobachtet ein zunehmendes Zusammenwachsen der Region. Und genau darin könnte der Schlüssel liegen, die Region wieder attraktiver zu machen für junge Leute - und dafür, die Abwanderung der Qualifizierten zu stoppen:
    "Das Gros unserer Studenten bleibt hier in der Region, wenngleich es natürlich einige unserer besten Absolventen auch ins Ausland zieht. Ich würde mir eine engere Zusammenarbeit mit den Firmen auch im Bereich Forschung und Entwicklung wünschen. Dann könnten unsere Absolventen passende Stellen finden, in denen es stärker um Innovationen geht."
    Die Aussage ist klar: Mehr qualifizierte Tätigkeiten seien jetzt der nächste Schritt, nachdem das Dreiländereck wirtschaftlich wieder blendend dasteht. Die ersten Firmen überlegen schon in diese Richtung - auch, um sich für das Zeitalter der Elektromobilität zu rüsten, das die Region hart treffen könnte. Das Wirtschaftswunder soll jetzt nach der Phase des Aufblühens weitergehen - das ist das neue Ziel hier im Dreiländereck.