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"Tschechische Republik ist eine Menschenrechtszone zweiter Klasse"

Tschechiens Präsident Vaclav Klaus hat mit seiner Forderung nach einer Ausnahmeregelung bei der EU-Grundrechtecharta nach Ansicht des Sprechers der Sudetendeutschen, Bernd Posselt, seinem eigenen Volk geschadet. An der rechtlichen Stellung der Sudetendeutschen ändere sich nichts, da der Lissabon-Vertrag Eigentumsrechte in nationaler Hoheit belasse, sagte der außenpolitische Sprecher der CSU im Europaparlament.

Bernd Posselt im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Morgen entscheidet das Verfassungsgericht in Tschechien über den Lissabon-Vertrag. Es wird erwartet, dass die Entscheidung positiv ausfällt, die Richter in Brünn keinen Gegensatz zwischen dem Lissabon-Vertrag und der tschechischen Verfassung entdecken. Das umso weniger, als die EU auf dem letzten Gipfel am vergangenen Donnerstag Tschechiens Präsident Vaclav Klaus Zugeständnisse gemacht hat. Diese Zugeständnisse betrafen vor allem die sogenannten Benes-Dekrete, über die Klaus vor einigen Wochen noch folgendes sagte.

    Vaclav Klaus: Die letzte Regierung hat dieser Frage, die für Tschechien lebenswichtig ist, keine ausreichende Beachtung geschenkt und keine Ausnahme von der Grundrechte-Charta erwirkt. Ich bin überzeugt davon, dass Tschechien vor der Ratifizierung eine solche Ausnahme aushandeln muss.

    Liminski: Nun also kam das Zugeständnis, dass die Grundrechte-Charta die zuvor bereits für Polen und Großbritannien künftig auch für Tschechien nur stark begrenzt gilt. Konkret: Die Benes-Dekrete behalten in Tschechien ihre Gültigkeit. Sie betreffen die Rechte von anderen EU-Bürgern, den sogenannten Sudetendeutschen, und deren oberster Repräsentant und Sprecher ist der CSU-Abgeordnete im Europaparlament Bernd Posselt. Er ist auch bayerischer Landesvorsitzender der Union der Vertriebenen und Präsident der Paneuropa-Union Deutschland und ist zu uns ins Studio gekommen. Guten Morgen, Herr Posselt.

    Bernd Posselt: Grüß Gott!

    Liminski: Herr Posselt, nun könnte man wie Ihr Kollege Elmar Brok am Freitag hier im Deutschlandfunk sagen, Klaus bekomme etwas garantiert, was schon immer garantiert war, denn, so Brok, "die Bodenordnung ist nach dem Vertrag ausdrücklich und ausschließlich nationale Zuständigkeit und die Charta der Grundrechte kann nicht in nationales Recht eingreifen." Ist das Ganze also nicht ein Streit um des Kaisers oder Klausens Bart zur Gesichtswahrung des Prager Präsidenten?

    Posselt: Juristisch hat Elmar Brok absolut recht. Das Ganze ist ein gigantischer Schwindel. Klaus hat gesagt, er muss die Tschechen vor etwas bewahren, was ihnen nie gedroht hat, nämlich Klagen aufgrund der Grundrechte-Charta gegen die Benes-Dekrete. Das ist leider Gottes oder ist nicht möglich. Daraufhin muss man einfach ganz klar sagen hat er einfach ein Gespenst aus dem Schrank geholt, um die eigenen Bürger zu erschrecken. Das war nie realistisch, aber es war zutiefst unmoralisch, weil er natürlich auf dem Leiden und dem Schicksal von Millionen von enteigneten und vertriebenen Menschen herumgetrampelt ist. Und wenn das Ganze auch juristisch nichts ändert, werfe ich den Staats- und Regierungschefs vor, dass sie kaltschnäuzig über diese moralische Dimension des Themas hinweggegangen sind.

    Liminski: Hätten denn die Staats- und Regierungschefs das Unrecht der Benes-Dekrete nennen und damit den Lissabon-Vertrag, den Sie ja befürworten, gefährden sollen?

    Posselt: Der Lissabon-Vertrag wäre nicht gefährdet gewesen. Klaus stand in der Tschechischen Republik kurz vor der Absetzung. Die führenden tschechischen Politiker haben sich schon Gedanken gemacht, mit welcher Prozedur sie es tun. Das tschechische Parlament hat die Grundrechte-Charta mit zwei Drittel ratifiziert. Dasselbe hat der tschechische Senat getan, ohne Ausnahmeregelung. Und jetzt gibt es eine Ausnahmeregelung, die zwar an der rechtlichen Situation der Sudetendeutschen nichts ändert und diese nur moralisch verletzt, die aber die Tschechen selbst in ihren Grundrechten beschneidet. Das ist übrigens der Grund, warum die Slowakei in der letzten Minute ausgeschieden ist aus ihrem Bestreben, sich dranzuhängen, weil sie gemerkt haben, damit werden die sozialen Grundrechte der eigenen Bürger beschnitten. Der tschechische Grundrechte- oder Menschenrechtsminister hat dagegen gestimmt und hat gesagt, ich bin jetzt eigentlich überflüssig, denn die Tschechische Republik ist eine Menschenrechtszone zweiter Klasse. Also Klaus hat vor allem dem eigenen Volk geschadet.

    Liminski: Dazu kommen wir gleich. Vielleicht noch eine andere Frage zuvor. Klaus schreibt nun auf seiner Internet-Seite am Freitag, "Aus all diesen Gründen halte ich das Ergebnis für das maximal Mögliche und habe nicht die Absicht, weitere Bedingungen für die Ratifizierung des Lissabon-Vertrages zu stellen." Kann man damit jetzt nicht eigentlich zufrieden sein und die Sache begraben?

    Posselt: Zunächst einmal: wir müssen glücklich sein, wenn der Lissabon-Vertrag wie vorgesehen zum Ende des Jahres in Kraft treten kann, denn der Lissabon-Vertrag macht Europa effizienter, demokratischer, antizentralistischer, durchsetzungsfähiger in der Welt und es ist schon ein Sieg über Klaus, denn Klaus wollte ihn ja verhindern. Ihm ging es ja nie um die Benes-Dekrete, ihm ging es um die Beseitigung des Lissabon-Vertrages. Das Thema Benes-Dekrete bleibt bestehen. Es hatte wie gesagt mit der Grundrechte-Charta nichts zu tun. Insofern ist das Ganze ein Scheinsieg von Klaus und die tschechischen Medien haben schon begonnen, ihn deswegen zu zerpflücken, weil er wie gesagt dem eigenen Volk geschadet hat und bei den Sudetendeutschen hat sich nicht ein Millimeter an der Rechtslage geändert.

    Liminski: Nach Meinung des Vorsitzenden der tschechischen Sozialdemokraten Paroubek schließt die Ausnahmeklausel bei der Grundrechte-Charta Tschechien von der ganzen Bandbreite sozialer Rechte der neuen Generation aus. Seine Partei hätte einen Kompromiss bevorzugt, sagt er, der nur eine nachträgliche Anwendung der Grundrechte-Charta unterbinden würde. Teilen Sie diese Meinung? Sind Menschenrechte nur ab einem bestimmten Zeitpunkt an gültig?

    Posselt: Es kann nicht Grundrechte erster und zweiter Klasse geben, wenn höchstens für eine Übergangszeit. Man kann beim Euro sagen, der eine erfüllt schon die Kriterien, der andere nicht, aber Menschenrechte sind doch etwas universal Gültiges, was man nicht aufteilen kann entlang der nationalen Grenzen. Was soll das für eine Grundrechte-Charta sein?

    Liminski: Kann man denn Mindeststandards der Menschenrechte definieren oder auf die Menschenrechts-Charta des Europarats zurückgreifen?

    Posselt: Die Menschenrechts-Charta des Europarats - das ist ein Teil des Lissabon-Vertrages, der kaum beachtet wird -, wird durch den Lissabon-Vertrag juristisch verbindlich für die Institutionen der Europäischen Union. Die Europäische Union erhält Rechtspersönlichkeit und tritt der Menschenrechtskonvention des Europarates bei. Das ist Teil des Lissabon-Vertrages. Die Grundrechte-Charta ist dann nur noch ergänzend als eigenes EU-Recht, das die europäischen Institutionen bindet, wenn sie europäisches Recht anwenden, und das auf die Zukunft bezogen. Insofern verhindert natürlich die Grundrechte-Charta künftige Entrechtungen, Vertreibungen, Enteignungen. Insofern ist sie gerade für eine Vertriebenengruppe wie die Sudetendeutschen wertvoll, weil sie die richtige Konsequenz aus unserem schlimmen Schicksal ist, und insofern ist es ein Treppenwitz der Geschichte, dass man ausgerechnet dieses Thema missbraucht hat, um erneut auf den Gefühlen der Sudetendeutschen herumzutrampeln.

    Liminski: Was bedeuten denn nun die Ausnahmeregelungen für Tschechien, Polen und auch Großbritannien ganz konkret?

    Posselt: Sie bedeuten konkret eigentlich nur, dass man innerstaatlich nicht gegen Verwaltungsvorschriften klagen kann unter Berufung auf die Grundrechte-Charta, sondern dass man das nur kann unter Bezug auf nationales Recht. Das ist so ziemlich wörtlich die Ausnahmeklausel. Die wurde formuliert von Großbritannien in dem Bestreben, bei der Anwendung der Sozial-Charta draußen zu bleiben, weil diese Sozial-Charta mit den kapitalistischen Ideen in Großbritannien, die keine soziale Marktwirtschaft, sondern nur eine Marktwirtschaft ohne Attribute kennen, sozusagen unvereinbar gewesen wäre. Daher kommt das und insofern passt diese Klausel überhaupt nicht zum Thema Benes-Dekrete. Wenn man das Thema Benes-Dekrete weiter aufgreift: Das ist eine elementare, moralische Frage, die auf die Eigentumsfrage zu verengen verhängnisvoll wäre, und sie hat wie gesagt mit der Grundrechte-Charta und mit dem Lissabon-Vertrag nichts zu tun, sondern mit dem bilateralen Verhältnis zwischen Tschechen und Sudetendeutschen und Tschechen und Deutschen.

    Liminski: Wird an diesem Beispiel, Herr Posselt, offenbar, dass die Kompetenzen zwischen Europa und den Nationalstaaten nicht definitiv geklärt sind, was ja auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 30. Juni feststellte?

    Posselt: Ich glaube, dass durch den Lissabon-Vertrag die Kompetenzabgrenzungen wesentlich sauberer werden. Ich glaube ehrlich gesagt, was das Verfassungsgerichtsurteil betrifft, dass das Verfassungsgericht hier seine Kompetenzen überschritten hat, denn das Verfassungsgericht hat dem Deutschen Bundestag vorgeschrieben, wie weit er mit der europäischen Integration gehen darf. Insofern hat das Verfassungsgericht hier ein sehr politisches Urteil gesprochen. Ich bin für die Stärkung des Deutschen Bundestages, die in dem Urteil drinsteht, aber die Aussagen zur Europapolitik sind äußerst problematisch und müssen diskutiert werden.

    Liminski: Welche Kompetenzen wird denn der EU-Ratspräsident haben? Das ist ja auch im Gespräch. Ist er mehr als ein koordinierender Frühstücksdirektor Europas?

    Posselt: Nicht viel mehr und insofern ist der Wichtigste natürlich der Kommissionspräsident. Der wird direkt vom Europaparlament aufgrund des Wahlergebnisses der Europawahlen gewählt. Der ist demokratisch legitimiert, auch handlungsfähig. Wir können ihn stürzen. Er ist an das Gemeinschaftsbudget, was wir als Parlament beschließen, gebunden. Er ist quasi Ausdruck einer europäischen parlamentarischen Demokratie. Dasselbe gilt auch für den Vizekommissionspräsidenten, der gleichzeitig EU-Außenminister sein soll, auch wenn er jetzt nicht so heißt. Dieser Ratspräsident ist nicht, wie immer behauptet, ein europäischer Präsident, sondern er ist nur der Präsident des Organs der Staats- und Regierungschefs, er soll die koordinieren, Kompetenzen sind minimal, aber es hängt ein wenig von der Persönlichkeit ab, die das wird, was man daraus macht.

    Liminski: Eine weitere EU-Personalie wird derzeit diskutiert. Der Noch-Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Oettinger, wird Kommissar, oder soll es werden. Hat das EU-Parlament da etwas mitzureden und geht das reibungslos durch?

    Posselt: Das EU-Parlament wird jeden einzelnen Kommissarskandidaten auf Herz und Nieren prüfen und muss ihn beurteilen. Wir haben vor fünf Jahren gesehen, dass ein Kommissarskandidat, wenn auch aus Gründen, die ich nicht teile, aber doch abgelehnt wurde. Daran sieht man: Das Parlament hat hier echte Möglichkeiten und wir müssen ja, wenn das Team der Kommission steht, auch noch mal über die Kommission als Ganzes abstimmen. Das wird ein sehr spannender parlamentarischer Prozess, der alle fünf Jahre stattfindet und wo das Europaparlament eigentlich stärker ist als ein nationales Parlament bei der Berufung einer nationalen Regierung.

    Liminski: Wird Tschechien auch einen Kommissar bekommen?

    Posselt: Die Tschechen werden natürlich auch einen Kommissar bekommen, wenn der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt, denn dann kann der Rat einstimmig beschließen – das muss er allerdings einstimmig tun -, dass jeder Mitgliedsstaat weiterhin einen Kommissar bekommt, beziehungsweise wir haben eine Übergangsregel für die nächsten fünf Jahre, da ist es automatisch so, dann wird es entsprechend beschlossen. Und warum sollen die Tschechen keinen Kommissar bekommen? – Die haben übrigens, muss ich mal sagen, hervorragend qualifizierte Leute und das ärgert mich auch, dass man Herrn Klaus ständig mit den Tschechen gleichsetzt. Die Tschechen sind mehrheitlich proeuropäisch. Das tschechische Parlament hat sich klar für Lissabon und für die Grundrechte-Charta ausgesprochen. Die tschechische Ratspräsidentschaft war gut. Aber Herr Klaus hat sie mutwillig aus Egomanie zu Fall gebracht.

    Liminski: Tschechien wird Menschenrechtszone zweiter Klasse, droht es jedenfalls zu werden, und die Staats- und Regierungschefs der EU hätten moralisch versagt, meint hier im Deutschlandfunk zu den EU-Zugeständnissen an Klaus und vor der Entscheidung des tschechischen Verfassungsgerichts Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen und außenpolitischer Sprecher der CSU im Europaparlament. Besten Dank für das Gespräch, Herr Posselt.

    Posselt: Danke sehr!