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Tscherkessen protestieren gegen Olympische Winterspiele in Sotschi

Im kaukasischen Sotschi werden 2014 die Olympischen Winterspiele ausgetragen. Die Tscherkessen, Ureinwohner des Kaukasus, erheben sich dagegen. Mit ihrem Protest soll auf die brutale Vertreibung der Tscherkessen durch die Russen vor fast 150 Jahren aufmerksam gemacht werden.

Von Susanne Güsten |
    Als Tor zur russischen Riviera wird Sotschi in dem Werbespot für die Winterspiele angepriesen. 2014 werde sich in dem Kurort am Schwarzen Meer sogar das Tor zur Zukunft öffnen, versprechen die Russen. Doch die Atmosphäre bei den Spielen im Kaukasus wird wohl nicht ganz so friedlich und unbeschwert sein wie im Werbespot angepriesen:

    "Take your games and go away, genocide is not okay!"

    Haut ab mit euren Spielen, skandierten Demonstranten vor dem russischen Pavillon in London - und bezichtigten Russland des Völkermordes. Tscherkessen waren es, die da demonstrierten: Angehörige eines von der Welt fast vergessenen kaukasischen Volkes, das in der Gegend um Sotschi lebte, bis es vor 150 Jahren von russischen Truppen aus seiner Heimat vertrieben wurde - eine brutale und blutige "ethnische Säuberung" im Jahr 1864. Mehr als eine Million Menschen mussten damals die Region verlassen, damals rund 90 Prozent aller Tscherkessen. Dabei kamen nach Schätzungen von Historikern 300.000 bis 400.000 Männer, Frauen und Kinder ums Leben.

    Olympia dürfe nicht auf dem Boden stattfinden, auf dem ihre Vorfahren niedergemetzelt wurden, fordern die tscherkessischen Aktivisten, die sich in der Kampagne "No Sochi" zusammengeschlossen haben. International organisiert ist diese Protestaktion, denn die Nachkommen der überlebenden Tscherkessen sind heute in alle Welt versprengt – vom Nahen Osten über Westeuropa bis in die USA.

    Die meisten Tscherkessen leben heutzutage aber in der Türkei, etwa drei bis fünf Millionen. Viele tscherkessische Vereine bewahren hier die Kultur und die Traditionen der kaukasischen Heimat. Von Istanbul ging deshalb auch die Initiative zu der Kampagne aus. Der tscherkessische Aktivist Kuban Kural war von Anfang an mit dabei:

    "Wir haben 2006 mit der Kampagne begonnen, als Russland die Kandidatur für die Winterspiele in Sotschi erklärt hat. Weil wir nicht wollen, dass die Olympischen Spiele auf tscherkessischem Boden ausgetragen werden, genau dort, wo einst unsere Hauptstadt war und wo bekanntlich 1864 ein Völkermord an uns verübt wurde. Weil das gegen den olympischen Geist verstößt, wenn die Wettkämpfe auf den Massengräbern unserer Vorfahren ausgetragen werden."

    Die bisher relativ unpolitische tscherkessische Diaspora ist über die Spiele von Sotschi so aufgebracht, dass erstmals seit der Vertreibung aus dem Kaukasus eine tscherkessische Bewegung mit gemeinsamen Zielen und politischen Forderungen entstanden ist. Seit vier Jahren demonstrieren die Tscherkessen alljährlich am Jahrestag der Vertreibung in Istanbul, New York und mehreren anderen Städten der Welt für eine offizielle Anerkennung des Völkermordes.

    Als erstes Land verabschiedete Georgien kürzlich eine entsprechende Resolution. Aber auch der Westen müsse sich zu seiner Verantwortung für die Ereignisse und die historischen Konsequenzen bekennen, meint Aktivist Kural. Schließlich hätten westeuropäische Regierungen den tscherkessischen Widerstand im Kaukasus vor 150 Jahren kurzzeitig als Heldentum gefeiert, das Volk dann aber fallen gelassen:

    "Wenn die Welt damals eingeschritten wäre gegen den Genozid an den Tscherkessen, dann wären die Völkermorde an den Armeniern, den Juden und den Tutsi vielleicht nicht geschehen – weil die Täter dann gewusst hätten, dass die Welt das nicht hinnehmen wird."

    Mut gehört jedenfalls bis heute dazu, für die tscherkessische Sache einzutreten und gegen die Winterspiele von Sotschi zu mobilisieren. Weil Kuban Kural mit dem Tode bedroht wurde, stellten ihn die türkischen Behörden jetzt unter Polizeischutz.