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Tschetschenien
Deutschland liefert Kadyrow-Gegner an Russland aus

Für Tschetschenen setzt sich international kaum jemand ein. Auch Deutschland zögert offenbar nicht mehr, Gegner der Kadyrow-Regierung auszuliefern an ein Land, das wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht. Von 21 russischen Auslieferungsanträgen hat Deutschland sechs positiv beschieden.

Von Sabine Adler | 27.02.2019
Wladimir Putin (l.) trifft Ramsan Kadyrow am 25. März 2016.
Kritiker sagen, Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow (r.) lasse viele seiner Auslieferungsgesuche über Russland laufen (picture alliance / dpa / TASS / Mikhail Klimentyev)
Es ist dieses Geräusch, das Salima Samrailowa fürchtet und bei dem die Kinder anfangen zu weinen. Denn wenn mehrere Männer kommen und an ihre Wohnungstür klopfen, zittert Bislan Eskachanow, ihr Mann, Vater ihrer vier Kinder, vor Angst.
"Seit einem Jahr lebe ich der Sorge, dass sie ihn heute oder morgen abholen. Er hat das schon in Tschetschenien erlebt, dass sie zu ihm nach Hause gekommen sind und ihn mitnehmen wollten, fragten, wo er sich aufhält."
"Wen meinen Sie mit 'sie'?"
"Die Kadyrow-Leute. Einer sagte, wenn er Bislan findet, bringt er ihn um."
Wie viele Tschetschenen ist Salima Samrailowa über das weißrussische Brest nach Polen und damit in die EU eingereist. Und von dort aus floh sie später nach Deutschland. Doch auch hier kann sich ihre Familie nicht in Sicherheit fühlen. Die Jagd auf Kadyrow-Gegner finde in Polen und auch in Deutschland statt, weiß Marina Napruschkina vom Flüchtlingszentrum Berlin-Moabit.
"Also, wir hatten mehrere Familien, wo die Männer da sichtlich panische Angst haben und behauptet haben, dass sie hier verfolgt werden, hier in Deutschland."
"Ich fürchte, dass man ihn in Russland umbringt"
Bislan Eskachanow habe sich drei Jahre in der Nähe von Grosny versteckt und sei schließlich nach Polen geflohen. Zunächst eine gute Zeit, denn dort lernten sich die beiden kennen, erinnert sich die Ehefrau. Die heute 40-Jährige ist Mutter von sieben Kindern.
Demonstranten halten am 30.04.2017 in Berlin beim Start einer dreitägigen Mahnwache zum Schutz von Schwulen in Tschetschenien Plakate mit der Aufschrift "Merkel: Tell Putin to Stop the Killings of Gay Men in Chechnya" in den Händen.
Tschetscheniens Regierung steht unter anderem in der Kritik, Minderheiten nicht vor Übergriffen zu schützen (picture alliance / Paul Zinken/dpa)
Dass Bislan, ihr zweiter Ehemann, ein Gegner des tschetschenischen Präsidenten Kadyrow war und ist, wusste sie nicht. Über Politik redeten die Eheleute bis vor anderthalb Jahren überhaupt nicht. Die Frau war froh, dass Bislan sie heiratete, nachdem sich der erste Ehemann von ihr trennte und die drei Söhne mitnahm. In Warschau verlor sie ihre erste Familie und in Warschau gründete sie die zweite, mit Bislan.
"Vor anderthalb Jahren wurde er festgenommen, aber nach einem Monat wieder freigelassen. Er hat danach gearbeitet, alles war gut. Am 15. Februar wurde er auf dem Meldeamt festgenommen, dann kam er in die JVA nach Wriezen, und am 8. März soll er nach Russland. Ich fürchte, dass man ihn in Russland umbringt, dort warten sie doch schon auf ihn."
Auslieferung an Kadyrow via Russland?
Seit einer guten Woche sitzt Bislan Eskachanow in Haft. Gegen die Auslieferung des Tschetschenen an Russland am 8. März hat seine Anwältin Beschwerde eingelegt. Ekkehard Maaß von der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft (*) kann die Kooperationsbereitschaft deutscher Behörden mit Russland nicht nachvollziehen. Nicht nur, weil Eskachanow Hepatitis C hat und an der Lunge operiert werden musste.
"Das Auslieferungsersuchen kommt von Russland. Das Regime Kadyrow setzt diese Leute, an die sie herankommen wollen, auf die Interpol-Liste, und dann werden die an Russland ausgeliefert. Es gibt eine Anschuldigung, einen Vorwurf, er hätte 2001 an einem Raubüberfall teilgenommen. Man muss dazu den Hintergrund wissen. Es sind schon zwei seiner Brüder getötet worden, und am Ende dieses zweiten Tschetschenienkrieges ist ein Cousin getötet worden. Er ist jetzt für Kadyrow ein potentieller Rächer, und es ist ganz klar: Dieser Mann wird niemals ihm gegenüber loyal sein."
Der Menschenrechtler und frühere DDR-Bürgerrechtler Ekkehard Maaß wandte sich in einem offenen Brief an die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Bärbel Kofler.
"Für mich ist das Hauptproblem, dass Deutschland ein Rechtsstaat, der nicht einmal die Dokumente der Staatssicherheit anerkennt, aber die Dokumente, die in einer absoluten Diktatur wie in Tschetschenien fabriziert werden, die werden von den deutschen Oberlandesgerichten, von der Generalstaatsanwaltschaft und dann auch vom Auswärtigen Amt und dem Bundesamt für Justiz akzeptiert, denn die müssen alle für jede Auslieferung zustimmen."
International wenig Sympathie für Tschetschenen
Von insgesamt 21 russischen Auslieferungsanträgen hat Deutschland sechs positiv beschieden, eine Person wurde sogar direkt nach Tschetschenien überstellt. Unverständlich, findet Ekkehard Maaß:
"Dass man überhaupt Menschen ausliefert an einen Staat, in dem nachweislich von allen internationalen Menschenrechtsorganisationen misshandelt, gedemütigt und gefoltert wird."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Natalia Estemirova von Memorial Tschetschenien wurde 2009 getötet. Ihr Nachfolger Oleg Titijew soll in Russland vor Gericht gestellt werden. (EPA/Jelena Ignatieva)
Der Terroranschlag auf den Boston-Marathon mit drei Toten, ein Toter und mehrere Verletzte bei einer Messerstecherei in Paris haben die Tschetschenen Sympathien gekostet, auch ihre Beteiligung an den Kriegen in der Ostukraine und Syrien. Ihre Lobby ist geschrumpft.
"Die ist gleich Null. Das ist aber auch Ergebnis der sehr emsigen Arbeit des russischen Geheimdienstes und der russischen Medien. Aber nicht ausgebildet ist das System der persönlichen Verantwortung. Weil sie immer das machen, was der Ältestenrat gesagt hat. Und wenn ihnen jemand einen Auftrag gibt und sagt, mache dies oder das, dann schwillt die Heldenbrust, und dann machen sie das, ohne darüber nachzudenken, ist das gut oder schlecht. Und ich habe Angst, dass gerade diese Kadyrow-Leute, die wir im Raum Hamburg, Bremen und Kiel haben, dass die, wenn es Russland notwendig ist, auch Leute finden, die hier einen Anschlag organisieren. Das geht nur von denen aus, nicht von den Flüchtlingen."
Menschenrechtsaktivist gesucht
Einen Tag vor Bislan Eskachanows Haft in Deutschland, die seine Auslieferung nach Russland sicherstellen soll, hat das Europäische Parlament die Freilassung des russischen Menschenrechtsaktivisten in Grosny, Oleg Titijew, gefordert. Dem Nachfolger der 2009 getöteten Vorsitzenden von Memorial Tschetschenien Natalia Estemirowa wird in Russland der Prozess wegen unerlaubten Drogenbesitzes gemacht.
Ein Vorwurf, der bei Kadyrow-Gegnern sehr häufig ebenfalls fabriziert wird.
(*) In einer früheren Fassung wurde im Text eine falsche Organisation genannt, das haben wir korrigiert.
[Anmerkung der Redaktion: Die Auslieferung von Bislan Eskahanow findet zumindest in den kommenden sechs Wochen nicht statt, er wurde am 27. 2. 2019 freigelassen. Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass der Prozess keinesfalls im Kaukasus stattfindet, was Russland bisher nicht zugesagt hat. Vollständig vom Tisch ist der Antrag aber noch immer nicht.]