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Türkei
25 Jahre alt, Christin und Bürgermeisterin

Erstmals in der Geschichte der Türkischen Republik ist eine Christin zur Bürgermeisterin gewählt worden. In ihrem neuen Amt will Februniye Akyol sich insbesondere für die Rechte ihrer christlichen Minderheit einsetzen und damit eine Rückkehr der Aramäer aus dem europäischen Exil erleichtern.

Von Susanne Güsten | 01.05.2014
    Das Kloster Mor Gabriel in der Berglandschaft Tur Abdin in Ostanatolien
    Das Kloster Mor Gabriel im Tur Abdin ist das geistige Zentrum der aramäisch sprechenden christlich Minderheit. (picture alliance / dpa / AKTION MOR GABRIEL)
    Fabronia Benno heißt sie eigentlich, doch den Namen darf sie in ihrem Land nicht führen. Fabronia, wie sie getauft ist, wird sie von ihren aramäischen Landsleuten in Südostanatolien gerufen, wo ihre Familie seit Jahrhunderten unter dem Namen Benno bekannt ist. Doch amtlich ist sie Februniye Akyol: Das ist der Name, den der türkische Staat ihr verordnet hat - und unter dem sie jetzt zur Ko-Oberbürgermeisterin von Mardin gewählt wurde.
    Mardin ist die Provinzhauptstadt der urchristlichen Landschaft Tur Abdin in Südostanatolien, der Heimat des aramäischen Volkes, das noch immer die Sprache von Jesus Christus spricht. Viele Aramäer leben dort nicht mehr - vor Verfolgung, Armut, Unterdrückung und Krieg flohen die meisten im letzten Jahrhundert nach Westeuropa. Auch die Familie von Fabronia Benno floh vor 50 Jahren, hielt es aber im Exil nicht lange aus, wie die 25-jährige erzählt:
    "Wir Aramäer hängen so stark an unserer Heimat, wir können uns einfach nicht trennen von unserem Land. Gleich wohin auf der Welt wir auch gehen, wir gehören einfach hierher. Hier sind unsere Kirchen und Klöster, hier liegen die Gebeine unserer Heiligen. Meine Familie ist nach Istanbul geflohen, aber sie hat es da nur zehn Jahre ausgehalten, denn sie konnten die Heimat nicht vergessen und sind zurückgekehrt."
    In eine winzige Minderheit von kaum mehr als 3000 verbliebenen Christen im Tur Abdin wurde Fabronia Benno deshalb 1988 hineingeboren, während ringsherum der Kurdenkrieg zwischen der PKK und der türkischen Armee tobte. Gutes erfuhren die Aramäer von keiner der beiden Seiten: Der türkische Staat erkannte sie nie als Minderheit an, verweigerte ihnen das Recht auf ihre Sprache und ihre Religion und räumte im Krieg ihre Dörfer. Und das Verhältnis zu den Kurden ist gespannt, seit kurdische Freischärler bei den Massakern an den Armeniern von 1915 Tausende Aramäer töteten. Schwer haben es die letzten Aramäer in ihrer Heimat, sagt Fabronia Benno:
    "Unter dem Eindruck dieser Traumata wachsen die Mädchen in unserer Gesellschaft hinter verschlossenen Türen und sehr behütet auf. Die meisten können nicht einmal das Gymnasium besuchen. Ich bin das erste aramäische Mädchen aus dem Tur Abdin gewesen, das es geschafft hat, in einer Großstadt zu studieren. Und genau deshalb, weil ich so eine kämpferische Natur habe, sind sie zu mir gekommen, als die Kurdenpartei eine aramäische Kandidatin suchte."
    Ausgerechnet für die Kurdenpartei BDP ist Fabronia Benno bei den türkischen Kommunalwahlen gewählt worden - und sogar auf persönlichen Befehl von PKK-Chef Abdullah Öcalan. Der Rebellenchef, der die PKK und deren politischen Arm, die BDP, aus seiner Zelle auf der Gefängnisinsel Imrali dirigiert, schickte der Partei vor der Kommunalwahl die Anweisung, im multi-ethnischen Mardin neben einem Kurdenpolitiker auch eine aramäische Kandidatin aufzustellen. Und so wurde Fabronia Benno von der BDP rekrutiert, um in einer Doppelspitze mit dem kurdischen Stammesfürsten Ahmet Türk zu kandidieren. Der 71-jährige Ahmet Türk, ihr Co-Bürgermeister, ist nicht nur Veteran der Kurdenbewegung - er ist auch der Enkel eines berüchtigten kurdischen Freischärler-Kommandanten, der vor hundert Jahren die Aramäer hier abschlachten ließ. Fabronia Benno ist das durchaus bewusst:
    "Ja, das stimmt, sein Großvater war Kommandant eines Hamidiye-Regiments und hat mitgemacht bei der Christenverfolgung in dieser Gegend. Aber die Kurdenpartei hat sich immerhin zu dieser Vergangenheit bekannt und sie bedauert. Das Trauma ist in meinem Volk natürlich noch immer wach, und auch ich selbst habe früher Vorurteile gegen die Kurden gehabt. Aber wenn wir heute den Kurden nicht vertrauen wollen, weil sie uns damals verfolgt und abgeschlachtet haben, wem sollen wir dann vertrauen? Den Türken ja wohl nicht, jedenfalls nicht der Türkischen Republik - von der haben wir noch nie etwas Gutes erfahren."
    Manche Aramäer im Tur Abdin und in der europäischen Diaspora sind skeptisch - sie befürchten, dass die junge Frau von der Kurdenpartei benutzt werde, um das ramponierte Image der Rebellen aufzubessern und in Westeuropa salonfähig zu werden. Schließlich seien es ja vor allem die Kurden, die von der Abwanderung der Aramäer profitiert und sich deren Land und Besitz unter den Nagel gerissen hätten, argumentieren die Kritiker. Fabronia Benno kennt diese Warnungen, und sie weist sie zurück:
    "Ja, die Kurden haben uns früher verfolgt, aber jetzt haben sie uns aufgenommen in ihren Kampf. Sie sind ja auch unterdrückt worden, und wir sind stets gegeneinander ausgespielt worden. Jetzt ist ihnen klar geworden, dass wir nur zusammen etwas erreichen können - und deshalb haben sie mir die Möglichkeit gegeben, für mein Volk einzutreten. Ich bin ja nicht zur Verzierung hier. Ich werde in meinem Amt für die Rechte des aramäischen Volkes kämpfen, und diese Chance habe ich der Kurdenbewegung zu verdanken."