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Türkei
Akgün: Erdogan will Präsident mit "aller Macht der Welt" sein

Für die SPD-Politikerin Lale Akgün kommt die erneute Anklage gegen Journalisten in der Türkei nicht überraschend: Die wenigen noch frei berichtenden Pressevertreter würden so mundtot gemacht, sagte die ehemalige Bundestagsabgeordnete im DLF. Und Erdogan tue aktuell alles für Neuwahlen - und die Erfüllung seiner Träume.

Lale Akgün im Gespräch mit Gerd Breker | 05.08.2015
    Lale Akgün bei der Buchmesse 2008 in Frankfurt.
    Lale Akgün, ehemalige Islambeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion. (imago/Hoffmann)
    Gerd Breker: Angesichts der Eskalation der Gewalt in der Türkei hat die Europäische Union sich gestern sehr besorgt geäußert und von Ankara gefordert, den demokratischen Prozess im Lande nicht zu gefährden. Angriffe gegen die Arbeiterpartei Kurdistans müssten verhältnismäßig sein und dürften auf keinen Fall den demokratisch-politischen Dialog gefährden. Doch die Entwicklung in der Türkei geht wohl eher in eine andere Richtung. Gewalt bestimmt das Verhältnis der türkischen Regierung mit der PKK. Der Kampf gegen die PKK hat für Erdogan Vorrang. Gegen die Terroristen des Islamischen Staats kann man ja später kämpfen. Der Umbruch in der Türkei, nach innen wie nach außen, den beschreibt Kathrin Erdmann.
    Ein Bericht von Kathrin Erdmann war das. Und wir sind nun telefonisch verbunden mit der SPD-Politikerin Lale Akgün, die sich in der türkischen politischen Landschaft sehr gut auskennt. Guten Tag, Frau Akgün!
    Lale Akgün: Guten Tag!
    Breker: Beginnen wir mit den 18 Journalisten, die mit Haftstrafen bedroht sind. Sie sollen den Terrorismus verherrlicht haben. Was geht da vor? Ist das die Härte, mit der Erdogan im Inneren vorgehen will gegen den politischen Gegner?
    Akgün: Nun, die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei wird ja schon seit Längerem eingeschränkt. Und dass Journalisten mundtot gemacht werden sollen mit Anklagen, ist ja auch nichts Neues. Das Problem ist, dass es in der Türkei kaum noch freie Zeitungen oder Fernsehstationen gibt. Die meisten gehören großen Unternehmen, die auch eine Zeitung oder eine Fernsehstation besitzen, also sehr auf die gute Zusammenarbeit mit der Regierung angewiesen sind und somit völlig regierungskonform berichten. Wenn Sie diese Sender einschalten, dann ist jeder zweite Satz "Der Präsident hat gesagt". Und die anderen, wenigen Journalisten, die noch frei berichten, werden eben mit Anklagen oder mit Verleumdungen mundtot gemacht.
    Breker: Frau Akgün, wir haben zwei Monate nach der Wahl in der Türkei, bei denen die AKP, also die ehemalige Partei von Präsident Erdogan, die absolute Mehrheit verloren hat, und es gibt immer noch keine neue Regierung, ja, es gibt gar keine Koalitionsverhandlungen. Wie erklärt sich denn das?
    Akgün: Erdogan hat ja vor fünf Tagen sehr deutlich gesagt, dass er nichts von Koalitionen hält. Vielleicht von einer Minderheitenregierung, um die Neuwahl vorzubereiten. Also es geht mit Siebenmeilenstiefeln auf den 23. August zu. Am 23. August verfällt die Frist, bis zu der eine Koalition hätte gebildet werden können. Dann kann der Präsident Neuwahlen ausschreiben. Das wird er auch tun, denn ich bin der Meinung, dass er immer noch von einem Präsidentenamt träumt, das ihm alle Macht der Welt ermöglicht. Deswegen wird man keine Koalition hinbekommen, und deswegen werden auch jetzt in den nächsten Tagen die Unruhen nicht aufhören.
    "Die HDP ist nicht nur der AKP ein Dorn im Auge"
    Breker: Die AKP hat die absolute Mehrheit der Stimmen verpasst, eben weil die Kurden-Partei, die gemäßigte linke Kurden-Partei so stark geworden ist. Ist das der Verdacht, weshalb er jetzt so massiv gegen die PKK vorgeht?
    Akgün: Das ist sicherlich ein ganz wichtiger Grund. Die HDP, die prokurdische Partei, hatte ja eine ganz neue Richtung eingeschlagen, sie ist als gesamttürkische Partei angetreten und wollte eigentlich die Lösung des Kurdenkonflikts in die politische Landschaft tragen. Und das wurde honoriert auch von den vielen linken Intellektuellen, die eben auch mit ihren Stimmen die HDP über die Zehnprozenthürde getragen haben, eine unglaublich hohe Hürde eigentlich für eine Partei, um ins Parlament zu kommen. Das hat den Erdogan oder die AKP - Sie sehen, man kann das sozusagen synonym verwenden - zehn Prozent der Stimmen gekostet. Denn wäre die HDP bei 9,8, 9,9 Prozent geblieben, dann wären nach dem türkischen Wahlsystem die 80 Sitze, die die HDP bekommen hat, der stärksten Partei, also der AKP zugeschlagen worden und sie wäre ihrem Traum von der absoluten Mehrheit weiter nähergekommen. Jetzt muss die HDP bei der Neuwahl außen vor bleiben. Das Drama des Ganzen ist, dass die HDP nicht nur der AKP ein Dorn im Auge ist, sondern auch der PKK. Denn wenn wirklich die HDP es schafft, die Kurdenfrage politisch zu lösen, dann wird die PKK völlig unwichtig, wird hier irgendwann hoffentlich verschwinden, denn es geht hier nicht um eine militärische, sondern um eine politische Lösung des Problems in der Türkei. Das heißt, die HDP wird weder von der PKK gemocht noch von der AKP, und deswegen können die beiden sich jetzt bekriegen und werden letztendlich beide die HDP bis ins Herz treffen.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung der SPD-Politikerin Lale Akgün. Frau Akgün, ich bedanke mich für dieses Gespräch, und bei unseren Hörern entschuldige ich mich für die schlechte Qualität der Leitung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.