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Türkei
Herrscher über den Wasserhahn

Mit einer neuen Pipeline-Technik will die Türkei Trinkwasser nach Nordzypern liefern. Mit dem Prestige-Projekt kann die Türkei ihre Macht gegenüber den von Dürre geplagten Nachbarstaaten ausbauen. Der Nahe Osten könnte bald sein Süßwasser von hier bekommen.

Von Susanne Güsten | 01.03.2014
    "Wasser, Wasser überall, und doch kein Tropfen zu trinken" – im östlichen Mittelmeer passt das Dichterwort genau. Zypern zählt zu den 20 trockensten Ländern der Welt, und Jordanien, Libanon, Palästina, Syrien und Israel geht es nicht viel besser. Die Region trocknet rapide aus, sagt der zyperntürkische Hydrologe Hüseyin Gökcekus, Professor für Wasserwirtschaft an der Nahost-Universität in Nordzypern:
    "Ich befasse mich seit 30 Jahren mit diesem Thema, und ich kann Ihnen versichern, dass die globale Erderwärmung die Welt verändert. Die Mittelmeerregion trocknet aus, das zeigen alle Studien, und am Stärksten betroffen ist das östliche Mittelmeer, das wird zur Wüste. Als Hydrologe bin ich davon überzeugt, dass Wasser in dieser Region das beherrschende Thema des 21. Jahrhunderts sein wird."
    Türkische Lösung für Wasserproblem des Nahen Ostens
    Auf Zypern ist das Problem schon längst akut. Seit Jahren muss auf der geteilten Insel, sowohl im griechischen Süden als auch im türkischen Norden, immer wieder das Wasser rationiert werden.
    Doch nun will die Türkei eine Lösung gefunden haben.
    Grundsteinlegung an der türkischen Mittelmeerküste bei Mersin - 80 Kilometer Luftlinie sind es von hier aus über das Mittelmeer nach Zypern. Das erste von 160 Leitungsrohren wurde bei der Zeremonie vor 15 Monaten feierlich im Meer versenkt. Jedes der Polyethylen-Rohre ist einen halben Kilometer lang. Die schwimmenden Rohre werden 250 Meter unter der Meeresoberfläche versenkt und mit kilometerlangen Drähten im Meeresboden verankert. Zusammengesetzt sollen sie die türkische Südküste mit dem nordzyprischen Ufer verbinden und frisches Wasser auf die Insel führen. Wenn die Pipeline in diesem Jahr in Betrieb geht, sollen 75 Millionen Kubikmeter Wasser jährlich aus dem südtürkischen Dragon-Fluss durch das Mittelmeer nach Zypern fließen. Doch die Bedeutung der Pipeline geht weit über Zypern hinaus, sagt Gökcekus, der das Projekt im Auftrag der nordzyprischen Regierung koordiniert:
    "Das Wasser für Zypern ist nur die Spitze des Eisbergs, der Eisberg selbst ist die zukünftige Führungsmacht der Türkei. Es ist das erste Mal auf der Welt, das so etwas gemacht wird, mit dieser Technik. Damit wird nicht nur das Wasserproblem von Zypern gelöst. Die Türkei beweist mit diesem Projekt auch, dass sie das kann - dass es mit dieser neuen Technik möglich wird, Wasser über lange Strecken zu transferieren. Das wird die Führungsmacht der Türkei in der Region stärken.
    Über das Drehkreuz Zypern könne die Türkei mit dieser neuen Technik perspektivisch die ganze östliche Mittelmeerregion mit Wasser versorgen, von Syrien bis nach Israel, sagt Gökcekus. Das Wasser habe sie jedenfalls:
    "Alleine der Dragon-Fluss führt jährlich 750 Millionen Kubikmeter, davon wird gerade mal ein Zehntel nach Zypern fließen. Und das ist nur ein Fluss von vielen. Im Süden der Türkei, zwischen Iskenderun und Antalya, fließen jährlich viele Milliarden Kubikmeter Wasser ungenutzt ins Meer."
    Der Fortschritt schafft Abhängigkeiten
    Als "Projekt des Jahrhunderts" bezeichnen die Türken die Pipeline, mit der dieses Wasser nutzbar gemacht und nach Zypern gepumpt werden soll. Wasser spielt in der türkischen Außenpolitik schon lange eine große Rolle. So entspringen Euphrat und Tigris, die großen Flüsse des Zweistromlandes, auf türkischem Boden. Die Türkei staut sie seit Jahrzehnten mit immer mehr Dämmen auf, bevor sie die südlichen Anrainerstaaten Syrien und Irak erreichen. Über die Wassermengen, die für die Nachbarn noch übrig bleiben, wird immer wieder gestritten, denn Ankara hat die Hand am Wasserhahn. Im von Dürre geplagten Nahen Osten reicht die türkische Wassermacht auch weit über die unmittelbare Nachbarschaft hinaus. So ist Israel schon lange interessiert an Wasserlieferungen aus der Türkei – doch Ankara ließ die Verhandlungen über eine Belieferung mit Tankschiffen vor einigen Jahren platzen, als die bilateralen Beziehungen sich abkühlten.
    Wenn die Türkei es nun schafft, hunderte Millionen Kubikmeter Wasser nach Zypern zu pumpen, sind ihrer regionalen Wassermacht keine Grenzen mehr gesetzt. Von Zypern aus könnte das Wasser dann mit weiteren schwimmenden Pipelines an alle Anrainerstaaten des östlichen Mittelmeeres vertrieben werden, hoffen die Türken. Die Pipeline werde das politische Gefüge der Region verändern, meint auch der nordzyprische Außenminister Özdil Nami:
    "Bei Rohstoffen denkt man meist an Erdöl oder Erdgas, aber in diesem Teil der Welt ist auch Wasser ein sehr wichtiger Rohstoff. Wir werden durch die Leitung mehr Wasser bekommen, als wir brauchen. Wir können also leicht einiges davon an Griechenland oder andere Länder in der Region weiterleiten. Wir hoffen, dass dies ein Projekt von Wasser für Frieden wird."