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Türkei
Parlament beschließt Aufhebung von Abgeordneten-Immunität

Das türkische Parlament hat entschieden, die Immunität von 138 Abgeordneten zweiweilig aufzuheben. In allen drei Wahlgängen kam die für die Verfassungsänderung nötige Zweidrittel-Mehrheit zustande. Damit kann jetzt gegen die Abgeordneten ermittelt werden.

20.05.2016
    Blick in den Parlamentssaal in Ankara.
    Das türkische Parlament in Ankara. (dpa / Presidental Press Office )
    In der abschließenden Abstimmung stimmten 376 der 550 Abgeordneten für die Verfassungsänderung. Betroffen von dem Votum sind in erster Linie die Abgeordneten der prokurdischen Partei HDP. 50 der 59 Parlamentarier verlieren nun für einen gewisse Zeit ihre Immunität und dürfen damit strafrechtlich verfolgt werden.
    Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wirft den HDP-Politikern vor, die verbotene Arbeiterpartei PKK zu unterstützen. Von der Aufhebung der Immunität sind aber auch Politiker anderer Parteien betroffen. Bei ihnen geht es etwa um deutlich weniger schwerwiegende Anschuldigungen wie Beleidigung, Körperverletzung und Amtsmissbrauch.
    Erdogan sprach von einer "historischen Abstimmung". Vor jubelnden Anhängern sagte er: "Mein Volk will in diesem Land keine schuldigen Parlamentarier in diesem Parlament sehen." Nun seien die Gerichte am Zug.
    Kritiker glauben, Erdogans AKP will auf diesem Weg die HDP-Abgeordneten loswerden. Es ist damit zu rechnen, dass am Ende der Ermittlungen Haftstrafen stehen. Dadurch würden die Abgeordneten ihr Mandat verlieren. Ihre Sitze müssten nachbesetzt werden. Bei solchen Nachwahlen rechnet sich die AKP große Chancen aus. Am Ende könnte es ihr somit gelingen, auf eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament zu kommen und Erdogans Ziel zu verwirklichen, den Staat von einem parlamentarischen in ein präsidiales System umzubauen.
    Aufhebung der Immunität stößt auf Kritik
    Bei zahlreichen Europa-Abgeordneten ist die Aufhebung der Abgeordneten-Immunität auf Kritik gestoßen. Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Rebecca Harms, sagte, der türkischen Opposition versetze die Entscheidung einen entscheidenden Schlag. Der SPD-Abgeordnete Arne Lietz warnte davor, dass die Unruhen zwischen Kurden und türkischen Sicherheitskräften so verstärkt werden könnten.
    Kritik kam auch aus der Linksfraktion.
    Rund 70 Europa-Abgeordnete hatten sich am Dienstag in einer Petition gegen de Immunitäts-Aufhebung ausgesprochen. Auch aus Deutschland kommt Kritik.
    Bundesjustizminister Heiko Maas betonte, kritische Abgeordnete dürften nicht willkürlich der Strafverfolgung ausgesetzt werden. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Der demokratische Pluralismus in der Türkei nimmt damit nachhaltigen Schaden. Es geht dabei ausschließlich um den Erhalt und Ausbau der Macht von Präsident Erdogan und der AKP".
    Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sieht die Beziehungen zur Türkei belastet. Eine "innenpolitsche Entwicklung dieser Dimension wirft mindestens einen Schatten auf die Beziehungen" und erfülle mit Sorge, sagte de Maizière in Brüssel. Darüber müsse offen mit Ankara gesprochen werden.
    Genau das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel vor. Regierungssprecher Steffen Seibert hat angekündigt, dass sie bei ihrem Treffen mit Erdogan am Montag die Aufhebung der Immunität zum Thema machen.
    (at/tgs)