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Türkei
Prozess gegen Demirtaş beginnt

Er wurde der türkische Obama genannt: Selahattin Demirtaş, der Chef der pro-kurdischen HDP. 2015 wurde er gefeiert, als er bei den Parlamentswahlen mit seiner Partei Erdoğan die absolute Mehrheit nahm. Er galt als große Hoffnung vieler Türken. Jetzt steht er in Ankara vor Gericht.

Von Karin Senz | 07.12.2017
    Sie sehen Selahattin Demirtas, Vorsitzender der Demokratischen Partei der Völker (HDP)
    Selahattin Demirtaş sitzt in der Türkei im Gefängnis (Sedat Suna, dpa picture alliance)
    So einen Spitzen-Politiker hat die Türkei auch noch nicht gesehen: Selahattin Demirtaş malt, schreibt Gedichte und Kurzgeschichten, er musiziert und singt. Die junge Istanbulerin Fatoş schwärmt: "Er ist intelligent, er ist gebildet, jung, voller Energie, er hat Charisma und er ist ehrlich."
    Natürlich hat sie bei der Parlamentswahlen 2015 für seine Partei, die pro-kurdische HDP gestimmt - obwohl sie keine Kurdin ist.
    Demirtaş stammt aus dem Osten der Türkei. Der 44-Jährige ist Kurde, machte damals aber klar, er fühle sich nicht als kurdischer Kandidat. "Es geht im Wahlkampf nicht um die ethnische Herkunft. Ich trete als Mensch an, als neutraler Kandidat, für den alle Bürger gleich sind."
    Erdoğan wusste sich zu wehren
    Die HDP hatte die Zehn-Prozent-Hürde damals locker genommen. Erdoğans AKP verlor dadurch die absolute Mehrheit im türkischen Parlament und erstmal auch die Chance, ein Präsidialsystem in der Türkei einzuführen. Demirtaş war auf dem Höhepunkt seiner politischen Laufbahn. Noch am Wahlabend machte er klar: "Ab sofort ist in der Türkei die Diskussion um ein Präsidialsystem, um eine Diktatur abgeschlossen. Die Türkei hat sich vor dem Abgrund bewahrt."
    Aber Erdoğan wusste sich zu wehren. Demirtaş sitzt seit einem Jahr im Gefängnis. Die HDP soll der verlängerte Arm der kurdischen PKK sein, die ist in der Türkei als Terrororganisation eingestuft, und der HDP-Chef ein Terrorist, sagte Erdoğan erst im Sommer bei einer Rede am Rande des G20-Gipfels in Hamburg:
    "Wir sind nicht befugt, Terroristen aus dem Gefängnis rauszulassen. Das zum einen. Die Türkei ist ein Rechtsstaat. Außerdem ist er ein Terrorist. Er hat alle meine kurdischen Brüder und Schwestern gegeneinander aufgehetzt, dass es sogar Tote gab. Und das ist nur eines von vielen seiner Verbrechen. Und er hat damit gedroht, dass hinter ihm unter anderem die PKK steht. Damit beschäftigen sich jetzt die Gerichte. Was auch immer die türkische Justiz entscheidet, werden wir akzeptieren."
    Der türkische Obama gibt Hoffnung
    Erdoğan hat sein Präsidialsystem inzwischen auf den Weg gebracht - per Referendum vergangenen April. Demirtaş drohen angeblich mehr als 140 Jahre Haft. Seine Partei, die HDP, hat deutlich an Einfluss verloren. Nicht nur Demirtaş ist im Gefängnis, auch seine Co-Vorsitzende Figen Yüksekdağ und viele andere Parteimitglieder.
    Der HDP-Abgeordnete Sırrı Süreyya Önder will auf keinen Fall, dass sie vergessen werden. "Bis unsere Freunde frei sind, werden wir weiter hierher kommen."
    Raus nach Edirne im Westen der Türkei, 1000 Kilometer weit weg von Demirtaşs Heimat und seiner Familie.
    Aus dem Gefängnis lässt er immer wieder Twitter-Nachrichten verschicken - ein Kontakt zur Außenwelt. Und er schreibt. Das erste Buch ist schon vergriffen. Die junge Istanbulerin Fatoş hat's natürlich gelesen. Demirtaş wird gerne auch der türkische Obama genannt.
    Warum nicht, findet Fatoş: "Bei Obama haben die Amerikaner erleben dürfen, dass einer, der einer Minderheit angehört, Präsident werden und viel bewirken kann. Demirtaş gehört auch einer Minderheit an - hier in der Türkei. Er kann auch was erreichen. Ja, die beiden sind sich ähnlich, würde ich sagen, aber Selahattin Demirtaş ist noch charismatischer ... als Obama."