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Türkei-Referendum
Regierung nennt Wahlbeobachter "parteiisch"

Die türkische Regierung will von Verstößen gegen internationale Wahl-Standards nichts wissen. Die Vorwürfe der OSZE-Wahlbeobachter nach dem Referendum wies sie als "inakzeptabel" zurück. Die Beobachtermission hatte nicht nur den Wahlkampf vor der Abstimmung, sondern auch die geänderten Abstimmungsregeln angeprangert.

17.04.2017
    Auf dem Tisch in einem Wahllokal liegen vorbereitete Wahlzettel mit dem türkischen Wort für "Ja" ('Evet') und "Nein" ('Hayir') zur Abstimmung die Verfassungsänderung in der Türkei.
    Wahlzettel in einem türkischen Wahllokal mit den türkischen Wörtern für "Ja" und "Nein" (afp / Adem Altan)
    Das Außenministerium in Ankara erklärte, die Delegation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sei "mit Vorbehalten in die Türkei gekommen" und habe "die Grundsätze der Neutralität und der Unparteilichkeit nicht berücksichtigt". Der Bericht spiegele diese "voreingenommene Herangehensweise" wider.
    Die OSZE-Wahlbeobachter, die seit dem 17. März in der Türkei waren, hatten in Ankara deutliche Kritik an einer Benachteiligung der Gegner des Präsidialsystems geäußert. Die Regierungspartei AKP habe die öffentlichen Wahlkampagnen und die Medienberichterstattung in der Türkei dominiert. Es habe zudem Unregelmäßigkeiten bei der Wählerregistrierung gegeben. Außerdem habe man beobachtet, dass in einigen Wahllokalen Wähler bedrängt oder behindert worden seien. Die Beobachter beklagten zudem, dass durch die späte Änderung der Abstimmungsregeln wichtige "Schutzvorkehrungen" beseitigt worden seien.
    Während der laufenden Abstimmung hatte die Wahlkommission gestern erklärt, dass auch von ihr nicht gekennzeichnete Stimmzettel und Umschläge als gültig gezählt würden. Normalerweise werden die Stimmzettel von der Kommission gestempelt, um sicherzustellen, dass keine Zettel oder Umschläge verwendet werden, die nicht von ihr stammen.
    Opposition ruft zu Protesten auf
    Die größte Oppositionspartei CHP und die pro-kurdische HDP forderten deshalb eine Annullierung des Referendums. Laut CHP sollten etwa zwei Drittel der Stimmen neu ausgezählt werden. Mehrere Oppositionsgruppen riefen zu Protesten in Istanbul auf. Auch über soziale Netzwerke gab es Aufforderungen zum Widerstand. Erste Proteste gab es bereits in der vergangenen Nacht.
    Die Wahlkommission wies die Kritik unterdessen zurück. Auch ohne Stempel der Wahlkommission habe es sich um gültige Stimmzettel gehandelt, sagte Kommissionschef Sadi Güven der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu in Ankara zufolge. Diese Wahlunterlagen seien von der Wahlkommission in Auftrag gegeben und angefertigt worden. Damit seien sie "echt" und "korrekt".
    Knappe Mehrheit von 51,4 Prozent stimmte mit Ja
    Das Ergebnis des Referendums in der Türkei (ausgezählt 98,4 Prozent der Stimmen, Quelle: staatliche Agentur Anadolu)
    Das Ergebnis des Referendums in der Türkei. (picture-alliance/ dpa-infografik)
    Wie die Kommission in Ankara bekanntgab, setzte sich bei der Volksbefragung über das Präsidialsystem das Ja-Lager mit einem Vorsprung von gut 1,25 Millionen Stimmen durch. Das sind rund 51,4 Prozent gegen 48,6 Prozent. Die regierende AKP hatte mit einem deutlicheren Sieg gerechnet. In den Großstädten Istanbul, Ankara und Izmir hatte das "Nein" eine Mehrheit. Das offizielle Endergebnis soll den Angaben zufolge spätestens in zwölf Tagen vorliegen. Die Beteiligung an der Abstimmung wurde mit gut 86 Prozent angegeben.
    Erdogan sagte vor jubelnden Anhängern in Istanbul, die Abstimmung sei eine historische Entscheidung der türkischen Nation, die auch vom Ausland akzeptiert werden müsse. Als nächstes will Erdogan nach eigenen Worten über die Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen lassen. Wenn es im Parlament keine Einigung gebe, werde es ein weiteres Referendum geben.
    Medien: Ausnahmezustand soll verlängert werden
    Nach Berichten der Sender CNN Türk und NTV soll der nach dem Putschversuch im vergangenen Juli verhängte Ausnahmezustand erneut verlängert werden. Dazu kämen am Abend der Sicherheitsrat und das Kabinett jeweils unter dem Vorsitz Erdogans zusammen.
    Morgen ist die nächste Sitzung des Parlaments geplant, das der Verlängerung zustimmen muss. Erdogans AKP hat im Parlament die Mehrheit. Der Ausnahmezustand würde ohne eine Verlängerung in der Nacht zu Mittwoch auslaufen. Er ist bereits zweimal verlängert worden.
    Erste internationale Pressestimmen gehen bereits auf das Referendum und die Konsequenzen ein und vermitteln ein eher düsteres Bild für die Zukunft.
    Über die Ereignisse haben wir Sie gestern in unserem Liveblog informiert.
    (tj/kis/hg/hba)