Donnerstag, 09. Mai 2024

Nach tätlichem Angriff auf Schiedsrichter in der Türkei
Wird Respektlosigkeit vor Unparteiischen zum Problem?

Nach dem tätlichen Angriff von Ankaragücüs Klubpräsident Faruk Koca auf Schiedsrichter Halil Umut Meler ist der Spielbetrieb in der türkischen SüperLig ausgesetzt worden. Das Entsetzen im türkischen Fußball ist groß, zumal es nicht der erste gewalttätige Vorfall gegen Schiedsrichter war.

Von Uwe Lueb und Sabine Lerche | 12.12.2023
Faruk Koca, Präsident von Ankaragücü bei seinem tätlichen Angriff gegen Schiedsrichter Halil Umut Meler auf dem Spielfeld nach dem Spiel der türkischen SüperLig am 11.12.2023 zwischen Ankaragücü undd Rizespor im Eryaman Stadion in Ankara,
Entsetzen im türkischen Fußball nach dem gewalttätigen Angriff von Klub-Präsident Faruk Koca gegen Schiedsrichter Halil Umut Meler (Emin Sansar / Anadolu / picture alliance)
Fans feiern den Präsidenten des türkischen Erstligaclubs Ankaragücü, Faruk Koca. Und das kurz nach dessen Attacke auf den Schiedsrichter der Partie gegen Rizespor. Der hat lange nachspielen lassen. In der siebten Minute der Verlängerung trifft Rizespor zum 1:1.

Schiedsrichter Umut Meler: "Koca sagte zu mir, ich werde dich töten"

Unmittelbar nach dem Abpfiff geht Koca auf den Schiedsrichter los. Tausende Zuschauer pfeifen - die einen, weil sie ebenso wütend sind auf den Schiedsrichter, die anderen wegen Kocas Attacke. Er trifft den Schiedsrichter mit der Faust ins Gesicht. Der sagt später: "Faruk Koca schlug mich mit der Faust unter das linke Auge. Ich fiel zu Boden. Dann traten einige Leute auf mich ein. Koca sagte zu mir vor meinen Schiedsrichterkollegen: 'Ich werde dich fertigmachen'. Er wandte sich an mich und sagte: 'Ich werde dich töten.'"
Schiedsrichter Halil Umut Meler wurde nach dem Vorfall ins Krankenhaus gebracht, das er am zweiten Tag nach dem Spiel wieder verlassen konnte.

Entsetzen bei Türkeis Spitzenpolitikern: "Wir schämen uns"

Das Entsetzen ist groß. Präsident Erdogan lässt sich telefonisch mit dem verletzten Schiedsrichter im Krankenhaus verbinden und übermittelt Genesungswünsche. Zudem schreibt er bei X, Gewalt habe im Sport keinen Platz. So sagt es auch Innenminister Ali Yerlikaya nach seinem Krankenbesuch:
"Gemeinsam mit unserer geliebten Nation hoffen wir, dass es nie wieder Gewalt im Sport geben wird.  Wir wollen nicht so etwas wie gestern Abend erleben, ein Bild, bei dem wir erröten, uns schämen und sagen, dass wir nicht glauben können, was wir gesehen haben."

UEFA-Schiedsrichter Kalkavan: "Spirale der Gewalt"

Nicht glauben wollen auch die Kollegen des angegriffenen Schiedsrichters, was sich zugetragen hat. Mete Kalkavan, ein bekannter Schiedsrichter in der Türkei, der auch internationale Spiele pfeift, sieht den ganzen Berufsstand angegriffen, der immer wieder verleumdet und beschimpft werde: 
"Kein anderer Berufsstand war jemals solchen Beleidigungen und Einmischungen ausgesetzt. Der Grund für das Schweigen der Schiedsrichter ist nicht ihre Angst vor Verleumdungen, sondern ihr Respekt vor ihrem Beruf. Aber nun ist klar geworden, dass der Respekt vor unserem Beruf sich in eine Spirale der Gewalt gegen uns verwandelt hat."
Tatsächlich gab es schon mehrfach Gewalt gegen Schiedsrichter in anderen Fußballligen der Türkei. Aber dass ein Vereinspräsident in der obersten, der Fußball-Süper-Lig, einen Schiedsrichter niederschlägt, das ist neu.

Alarm beim Türkischen Fußballverband - auch wegen der EM 2032

Der Türkische Fußballverband TFF zeigt sich alarmiert. Präsident Mehmet Büyükeksi spricht von einer Mahnung, die man nicht vergessen dürfe. Rufschädigend ist der Vorfall allemal. Doch die Frage, ob er bis hin zum Entzug der Austragung der Europameisterschaft in der Türkei 2032 führen könne, weist Büyükeksi zurück. "Nein, das gibt es nicht. UEFA-Präsident Alexander Ceferin hat angerufen, seinen Beistand erklärt und Unterstützung angeboten. Bitte führen Sie mit solchen Fragen die Öffentlichkeit nicht in die Irre!"

Koca in Untersuchungshaft, aus Erdogan-Partei ausgeschlossen

Zudem werde ja konsequent gehandelt. Der Hauptangreifer Koca sitzt wie zwei weitere Männer in Untersuchungshaft. Und die AKP von Erdogan hat Koca aus der Partei ausgeschlossen. Vor seiner Tätigkeit als Sportfunktionär und Vereinspräsident war Koca mal Abgeordneter für die AKP, sogar neben Erdogan einer deren Gründer.
Über die Kanäle des Klubs Ankaragücü teilte Faruk Koca einen Tag nach dem Vorfall in einem öffentlichen Brief mit, dass er als Präsident von Ankaragücü zurücktreten werde.
 „Ich möchte mich beim türkischen Schiedsrichterwesen, der Sport-Öffentlichkeit und unserer Nation entschuldigen“, schreibt Koca. Sein Verhalten sei nicht zu rechtfertigen.
Der türkische Fußballverband hat Koca erst vergangenes Jahr den "Fair Play President und Manager Award" verliehen. Möglicherweise verlangt der Verband die Auszeichnung nun zurück. Klar ist, dass der Verband den Spielbetrieb in der Türkischen SüperLig erst am 19.12. fortgesetzt wird.

Respektlosigkeit gegenüber Schiedsrichtern auch im deutschen Fußball

Auch im deutschen Fußball kam es im Oktober zu einem körperlichen Angriff auf das Schiedsrichter-Gespann: Der Präsident des SV Sandhausen Jürgen Machmeier habe nach dem Abpfiff der für Sandhausen verlorenen Partie gegen den SSV Ulm 1846 zwei der Unparteiischen gegen den Oberkörper gestoßen, so der Deutsche Fußballbund DFB. Der Verband ahndete den Vorfall mit einer Geldstrafe und Innenraumverbot für vier Spiele.  
Damaliger Geschäftsführer der DFB Schiri GmbH Lutz Michael Fröhlich äußerte sich entsetzt zum Vorfall in Sandhausen: „Schlimm genug, dass Schiedsrichter immer wieder von Zuschauern beleidigt, diffamiert, bedroht und angegriffen werden. Wenn nun aber sogar ein Vereinspräsident den Unparteiischen und seinen Assistenten körperlich attackiert, ist eine neue Dimension erreicht.“

Gewaltvorfälle im Amateurfußball

Respektlosigkeit gegenüber Schiedsrichtern zeige sich vor allem in den Amateurligen. Laut dem Lagebericht Amateurfußball zur Saison 2021/2022 waren bei etwa der Hälfte der 911 abgebrochenen Spiele die Unparteiischen die Opfer. Dazu kommen insgesamt 2400 Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle gegen Unparteiische.
Laut einer DFB-Umfrage im Frühjahr 2023 geben 85 Prozent der aktiven Schiedsrichter in Deutschland an, dass es bei den Zuschauern an Respekt mangle, laut 79 Prozent fehle Respekt und Wertschätzung gegenüber den Referees auch bei Spielern und Trainern.
„Insbesondere in den unteren Klassen kriegt man immer mehr mit, dass da Verhaltensweisen an den Tag gelegt werden, die in meiner Welt nicht tolerierbar sind“, so DFB-Schiedsrichter Deniz Aytekin im Deutschlandfunk-Sportgespräch 2021.
Aytekin weiter: „Es gibt andere Sportarten, wo Schiedsrichter anerkannt und respektiert werden. Im Fußball ist es leider nicht immer so.“

Einsatz von Bodycams noch in der Testphase

Aytekin fände mehr Transparenz bei den Entscheidungen wie im Handball oder im Rugby gut.
Eine Idee, um Schiedsrichter besser zu schützen, sind Körperkameras. In England werden sie in den untersten Spielklassen schon getestet. Die gefilmte Perspektive aus Sicht der Unparteiischen soll die Schiedsrichter besser vor Gewalt schützen und ihnen die Sicherheit geben, weniger auf sich alleine gestellt zu sein.
Dass sich etwas ändern muss, dafür plädiert auch der Chef der FIFA-Schiedsrichterkommission Pierluigi Collina. Er bezeichnet die Respektlosigkeit und Gewalt gegenüber Schiedsrichtern als Krebsgeschwür, das den Fußball töten könne:
"Ein Schiedsrichter kann nicht wegen einer Entscheidung, die er getroffen hat, geschlagen werden, auch wenn sie falsch ist. Sein oder ihr Auto kann nicht wegen eines Elfmeters in Brand gesteckt oder bombardiert werden. Leider ist das keine Übertreibung, denn Autobomben und in Brand gesetzte Autos sind in einigen Ländern gar nicht so selten." 
Quellen: ZEIT, SID, Deutschlandfunk