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Türkei und Russland
Die Angst vor Moskaus Kurdenkarte

Das russische Engagement in Syrien und vor allem die Kurdenpolitik Moskaus bereiten der Türkei zunehmend Sorgen. Denn von den russischen Luftangriffen in Syrien profitieren auch die Kurden im Norden Syriens, die wiederum der in der Türkei verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) nahestehen. Dass Russland auch die PKK unterstützt, wird schon jetzt in Ankara vermutet.

Von Reinhard Baumgarten | 03.02.2016
    Ein Flugzeug hebt von der Startbahn ab.
    Ankara blickt mit Sorge auf die russischen Flugzeuge in Syrien. (picture alliance / dpa / Tass)
    Ein Gespenst geht wieder um in der Türkei: die Angst vor einem unabhängigen Kurdenstaat. Die Separierung der irakischen Kurden von Bagdad bereitet Ankara kein Kopfzerbrechen. Die irakischen Kurden folgen dem feudalen Regierungssystem des Barzani-Clans und treiben regen Handel mit der Türkei. Kopfschmerzen bereitet der türkischen Führung das Vorgehen der Kurden im Rojava genannten Norden Syriens. Die stärkste politische Kraft dort ist die Partiya Yekitiya Demokrat – die Partei der Demokratischen Union, kurz PYD. Die syrische PYD ist ein Ableger der türkischen PKK. Gegen die als Terrororganisation gebrandmarkte PKK führt Ankara Krieg. Doch nicht nur diese enge Bande bereitet der türkischen Führung Sorgen.
    Der Kalte Krieg kommt zurück, erklärt der Politikwissenschaftler Akın Ünver von der Kadir Has Universität in Istanbul. Konkret meint er damit die Angst türkischer Politiker vor Moskau. Seitdem russische Truppen im Herbst vergangenen Jahres aktiv im Bürgerkrieg in Syrien mitmischen, schrillen in der Türkei die Alarmglocken.
    "Wenn du dir die letzten 270 Jahre osmanischer und türkischer Geschichte anschaust, dann siehst du, dass verlorene Gebiete meistens an Russland gingen, dass Kriege meistens gegen Russland geführt wurden. Moderner türkischer Nationalismus ist entstanden aufgrund der Kriege gegen Russland, nicht gegen Europa."
    Moskaus Truppen agieren im Norden Syriens. Dort agieren auch die syrischen Kurden. Diese profitieren einerseits von amerikanischen Luftschlägen gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Andererseits profitieren sie auch von Moskaus militärischen Operationen gegen Regimegegner. Ankara fürchtet dabei nicht nur ein Erstarken der syrischen Kurden, sondern auch ganz konkret den wachsenden Einfluss Moskaus.
    "Jetzt breitet sich Russland erneut aus"
    "Russland war immer das, was am meisten erschreckt und es beherrscht instinktiv das türkische Sicherheitsdenken. Während des Kalten Krieges Teil der Nato zu sein, war hier sehr wichtig. Jetzt breitet sich Russland erneut aus."
    Russische Truppen stehen schon an der türkischen Südgrenze. Für Ankara sei damit eine rote Linie überschritten, analysiert Akın Ünver.
    "Wenn die Militärs wieder russische Maßstäbe anlegen und die Alarmglocken läuten, weil die Russen in Syrien sind, dann ist das einer der Hauptgründe dafür, dass Erdoğan die Sache mit den Kurden hat fallen lassen."
    Präsident Erdoğan hat sich Ünver zufolge vom Friedensprozess mit der PKK auch deshalb abgewandt, weil Moskaus Einfluss auf die Kurden Syriens und der Türkei zu groß zu werden drohte. Alle von der PKK erbeuteten Waffen seien russischer Herkunft, verkündete Erdoğan Anfang dieser Woche. Womit er einmal mal mehr eine für Ankara unheilvolle Allianz zwischen Moskau und Kurden hervorheben wollte. Die PKK mit ihren sozialistischen Wurzeln hat seit ihrer Gründung traditionell gute Beziehungen zu Moskau unterhalten. Die Verbindungen nach Russland sind auch nach dem Untergang der Sowjetunion nicht abgerissen. Die Versuchung ist für Wladimir Putin sicher groß, die PKK stärker zu unterstützen, sollten sich die Beziehungen zwischen Ankara und Moskau weiter verschlechtern. Für Ankara wäre das ein Albtraum.