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Türken und Kurden wollen friedlich zusammenleben

Vergangene Woche ermordeten PKK-Kämpfer türkische Soldaten und Polizisten im Grenzgebiet zum Irak - die Folge waren gezielte Militärschläge der türkischen Armee. Bei aller Härte gegen den kurdischen Terror will Ministerpräsident Erdogan den Kurden im Land aber weiter entgegenkommen.

Von Luise Sammann |
    Anfang des Jahres in Diyarbakir, im Südosten der Türkei. Ein paar kurdische Männer sitzen auf winzigen Hockern in einem Teegarten zusammen. Ein Lautsprecher im Baum über ihnen scheppert die immer gleichen kurdischen Lieder. "Früher", sagt einer, "hätten sie uns für diese Lieder gleich ins Gefängnis geworfen. PKK-Musik haben sie dazu gesagt." Die Männer grinsen. "Heute lassen sie uns wenigstens in Ruhe", fügt Besitzer Nejdet Yayik hinzu, der mit einem Tablett randvoller Teegläschen herbei kommt:

    "Ich denke, jetzt ändert sich wirklich etwas. Es gibt dieser Tage ein viel größeres Bewusstsein für unsere Probleme als früher. Und endlich tun sie auch etwas für die Bildung bei uns - vielleicht ist das Zufall, vielleicht aber auch Teil der Demokratischen Initiative."

    Im Jahr 2009 hatten Premierminister Erdoğan und seine gemäßigt islamische Regierung die so genannte Demokratische Initiative eingeleitet: Der erste kurdischsprachige TV-Kanal ging auf Sendung, Kurdisch an Universitäten wurde erlaubt - im Südosten des Landes entstanden zwei Fakultäten für kurdische Sprache und Kultur. Auch türkisierte Orte bekamen endlich ihre ursprünglich kurdischen Namen zurück, Familien das Recht, ihren Kindern kurdische Vornamen zu geben.

    Es waren kleine Schritte, doch sie machten Nejdet und den Männern in seinem Teegarten Hoffnung: Zum ersten Mal versuchte jemand, das Kurdenproblem mit anderen als mit militärischen Mitteln zu lösen.

    Doch die Träume vom Ende des Konflikts zerplatzten mit den PKK-Anschlägen der vergangenen Monate - und ihrem blutigen Höhepunkt letzte Woche - wie Seifenblasen. Schon während die Leichen der 24 getöteten Soldaten beigesetzt wurden, bombardierte die türkische Luftwaffe die nordirakischen Kandil-Berge, Unterschlupf der PKK. Auch die öffentlichen Racherufe ließen nicht lange auf sich warten. Präsident Abdullah Gül war einer der ersten, der sich zu Wort meldete:

    "Alle sollten wissen, dass jeder, der uns leiden lässt, selbst doppelt leiden wird. Diejenigen, die glauben, sie könnten unseren Staat mit solchen Anschlägen ins Wanken bringen, werden unsere Rache spüren."

    Es sind Worte, die seit Jahrzehnten auf jeden PKK-Anschlag in der Türkei folgen, die den endlosen Strudel aus Gewalt und Gegengewalt, aus Racheschwüren und Hoffnungslosigkeit begleiten. Umso mehr überraschte da Premierminister Erdogan - sonst eher bekannt für seinen rauen Ton:

    "Heute müssen wir ganz besonders zusammenhalten. Heute müssen wir uns umso mehr umarmen, in Frieden und Aufrichtigkeit. Anstatt zu kritisieren, anzuklagen, zu beschuldigen oder zu provozieren, müssen wir jetzt kooperieren!"

    Es ist nur wenige Jahre her, da wären solche Töne nach einem PKK-Anschlag undenkbar in der Türkei gewesen. Sie wären einem Ministerpräsidenten als Schwäche oder gar Verrat am Vaterland ausgelegt worden. Doch nach der anfänglichen Schockstarre ist in den türkischen Medien heute weniger von Racheplänen als viel mehr von Aufbruchstimmung die Rede.

    Dutzende Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaftsverbände und Vereine gingen in den letzten Tagen an die Öffentlichkeit, forderten ein sofortiges Ende der Gewalt. Bis in die Kandil-Berge will eine Gruppe von kurdischen und türkischen Geschäftsleuten ziehen und die PKK zur Niederlegung der Waffen anrufen.

    Und auch in den Straßen und Teehäusern von Istanbul wird dieser Tage aus Schock und Trauer häufig Entschlossenheit. Nach dem Motto "Jetzt erst recht" betonen ungewöhnlich viele Passanten, dass Türken und Kurden Brüder sind - oder es doch zumindest sein sollten:

    "Ich denke, dass die Anschläge deswegen wieder mehr werden, weil wir dabei sind, die Probleme demokratisch zu lösen. Ja, die Kurden hatten Probleme in der Türkei, aber jetzt arbeiten wir daran! Und weil diese blutrünstigen Kämpfer das sehen, versuchen sie den Friedensprozess aufzuhalten. Aber ich glaube trotzdem an eine friedliche Lösung!"

    Die Zustimmung zu Erdogans beruhigender Rhetorik nach den Anschlägen ist groß. Und doch bleibt anzuwarten, wie lange der Premier seinen verhältnismäßig zurückhaltenden Kurs durchhalten kann. Denn natürlich: Auch Rufe von rechts nach mehr Militär und härterem Vorgehen gegen die Kurden allgemein bleiben dieser Tage nicht aus.