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Türkisch-israelische Beziehungen
Türkische Versöhnungsoffensive trifft auf Zustimmung in Tel Aviv

Die Türkei hat sich in einer offiziellen Aussöhnungsvereinbarung mit Israel darauf verständigt, die diplomatischen Beziehungen wiederzubeleben. Die Türkei hofft auf die Rückkehr israelischer Touristen. Für Israel wiederum ist Ankara als regionalpolitischer Bündnispartner von großem Interesse.

Von Clemens Verenkotte | 02.07.2016
    Eine Restaurantstraße in der türkischen Mittelmeer-Küstenstadt Antalya
    Für israelische Touristen war die türkische Ägäis-Küste jahrelang zur zweiten Heimat geworden. Jetzt hofft man auch hier in der Küstenstadt Antalya auf mehr Touristen. (Lena Klimkeit/dpa)
    In den Lagerhallen von "Mussafi and Sons" in Tel Aviv, ein Familienbetrieb, der Nüsse und kandierte Früchte seit der Unternehmensgründung 1960 importiert. Firmenchefin Vered Mussafi freut sich über die israelisch-türkische Aussöhnung, denn ihre Einfuhren aus der Türkei gingen seit dem Marmana-Zwischenfall vor sechs Jahren drastisch zurück. Jetzt, sagt sie, habe sie eine Nachricht von ihrem früheren Lieferanten aus der Türkei erhalten:
    "Er schickte mir eine Fahne, eine gemeinsame Fahne, zur Hälfte die israelische, zur anderen Hälfte die türkische. Das war wirklich nett. Mehr schrieb er nicht, aber, okay, wir sind glücklich. Jetzt sind wir offiziell Freunde."
    Die rapide Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zweier Staaten, die bis zum israelischen Marineeinsatz gegen die Free Gaza Flottille Ende Mai 2010 eine enge sicherheitspolitische Zusammenarbeit pflegten, hatte sich in Israel deutlich bemerkbar gemacht. Israelische Touristen, denen die türkische Ägäis-Küste nahezu zur zweiten Heimat geworden war, mieden fortan die Türkei. Jetzt, nach dem Deal, so prognostiziert Noam Ron, Marketing-Direktor des Reisebüros Issta Travel Agency, würden die Zahlen wieder nach oben gehen:
    Impression aus dem Voyage Belek Golf & Spa Hotel Ressort, aufgenommen am 08.01.2016 in Belek, Türkei
    Voyage Belek Golf & Spa Hotel Ressort, Belek, Türkei (Thomas Eisenhuth/dpa)
    "2008, 2009: Das waren Rekordjahre, in denen Israelis in die Türkei reisten. Über eine halbe Million verbrachten ihren Urlaub in der Türkei. Als dann die Sache mit der "Marmana" passierte, verzeichneten wir eine drastischen Rückgang auf 80.000."
    Privatwirtschaft begrüßt das Aussöhnungsabkommen mit Ankara
    Es ist nicht allein die Privatwirtschaft, die das Aussöhnungsabkommen mit Ankara begrüßt: In den einschlägigen Kommentaren gestandener israelischer Zeitungsanalysten wird dem Ministerpräsidenten bescheinigt, die überfällige Kurskorrektur ohne größere Verwerfungen innerhalb seiner rechtsnationalen Koalitionsregierung über die Bühne gebracht zu haben.
    Vermutlich, so spekuliert Yossi Verter von "Haaretz", habe Netanjahu allein aus diesem Grund Avigdor Lieberman mit dessen stramm rechtsgerichtete Israel Beiteinu Partei ins Kabinett aufgenommen, bevor er den Deal mit Staatspräsident Erdogan habe abschließen wollen.
    Der öffentliche Sturm der Empörung gegen die Konditionen der Vereinbarung -die angebliche "nationale Schmach", die vermeintliche "Unterwerfung unter Erdogans Diktat" – dieser Sturm wäre unweigerlich von Lieberman entfacht worden, aber auch von Anführern aus den Reihen der anderen rechtsnationalen Parteien. Das – habe Netanjahu verhindern wollen. Das taktische Kalkül des Ministerpräsidenten ging auf:
    Als am Mittwoch das zehnköpfige Sicherheitskabinett das Abkommen billigte, stimmten – wie vorab angekündigt – nur drei Mitglieder dagegen; unter ihnen Verteidigungsminister Lieberman, der sich jede öffentliche Bemerkung untersagte, und Bildungsminister Bennett. Allerdings – sehr kommod, eine kleine Facebook-Eintragung, am nächsten Tag moderate Töne im Armee-Radio:
    Entscheidung gegen den populistischen Impuls
    "Ich habe alles getan, um meine Kollegen umzustimmen. Natürlich ist die Wiederaufnahme der Beziehungen mit der Türkei ein wichtiges Interesse Israels. Aber der Schaden, der durch dieses Abkommen angerichtet wird, ist größer als der Gewinn. Wir wären auch ohne (die Zahlungen) zu einer Wiederaufnahme der Beziehungen gelangt. Denn man muss verstehen, dass das Interesse gegenseitig ist und wenn man mich fragt, sind die Türken sogar noch mehr daran interessiert.
    Sie wollen Gas einführen und wir wollen es ausführen – sie wollen eine Formel gegen den Iran und wir wollen eine Formel gegen den Iran, sie wollen den Handel und wir wollen den Handel."
    Mit der Wiederannäherung an die Türkei, der Wiederaufnahme des vormaligen engen geheimdienstlichen Austausch zwischen Jerusalem und Ankara ist dem Ministerpräsidenten ein selten in Israel selten anzutreffendes politisches Kunststück geglückt.
    Er entschied sich – aus guten Gründen – für die langfristigen nationalen Sicherheitsinteressen des Landes, und gegen den populistischen Impuls, der Stimmungslage bei seinen Likud-Anhängern und weiteren Teile der streng national ausgerichteten Rechten unverändert nachzugeben.
    Dafür – hat Benjamin Netanjahu mit Staatspräsident Erdogan wieder einen regionalpolitischen Bündnispartner, der bei den künftigen Szenarien einer Post-Assad-Ära in Syrien von großer Bedeutung für Israel sein wird.