Die bisher auflagenstärkste Zeitung des Landes veröffentlichte in ihrem neuen Gewand am Sonntag eine Reihe von Beiträgen, in denen wohlwollend über Präsident Recep Tayyip Erdogan berichtet wurde. Über die Proteste gegen die Erstürmung der Redaktion am Wochenende gab es dagegen keine Artikel. Das Blatt war mit zwölf Seiten deutlich dünner als üblich. Die "Zaman"-Website war offline, den Lesern wurde in Kürze eine "bessere und objektivere" Berichterstattung in Aussicht gestellt.
Die ebenfalls unter staatliche Aufsicht gestellte englische Ausgabe "Today's Zaman" berichtete im Internet über die jüngste Entwicklung und auch über die Kritik der EU an der türkischen Regierung. Die Website wurde aber seit Samstag nicht mehr aktualisiert. An diesem Tag wurde der "Zaman"-Chefredakteur Abdulhami Bilici entlassen.
Am Sonntag versammelten sich rund 50 "Zaman"-Unterstützer vor dem Istanbuler Büro der Zeitung. Dabei blieb es ruhig, nachdem die Polizei an den zwei Tagen zuvor Proteste von Demonstranten gewaltsam niedergeschlagen hatte.
Vom Verbündeten zum Feind
Die "Zaman"-Publikationen standen dem in den USA lebenden Geistlichen und Erdogan-Rivalen Fethullah Gülen nahe. Die Regierung in Ankara beschuldigt ihn, einen Putsch vorzubereiten. Erdogan wirft Gülen vor, ein Unterstützernetz in verschiedenen Bereichen des Staates aufzubauen.
Die "Zaman"-Redaktion hatte früher weitgehend hinter Präsident Erdogan gestanden, der von 2003 bis 2014 als Ministerpräsident die Politik des Landes geprägt hatte. Doch Differenzen über die Außenpolitik führten zu einer Abkehr des Blattes von Erdogan. Vor allem Pläne der Regierung, von Gülen-Anhängern finanzierte Schulen zu schließen, lösten Widerstand aus.
EU-Türkei-Gipfel unter anderen Vorzeichen
Die Erstürmung der Zeitung wirft dunkle Schatten auf das Treffen der 28 Staats- und Regierungschef der EU in Brüssel am Montag mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu. Ziel des Sondergipfels ist eine bessere Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat aber schon angekündigt, auch über die Pressefreiheit in der Türkei reden zu wollen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht dieses Thema nicht im Vordergrund der Gespräche. Ihre Themen sind die EU-Türkei-Agenda, also für welche Projekte die drei Milliarden Euro Unterstützung für Flüchtlinge in der Türkei eingesetzt werden; zweitens der Schutz der EU-Außengrenzen; und drittens eine mögliche Entlastung Griechenlands, wo momentan besonders viele Flüchtlinge ankommen.
Diese Haltung der Kanzlerin stößt auf Kritik. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte, Merkel müsse aufhören, "absichtlich jede menschenrechtliche Sauerei in der Türkei zu übersehen". Kritik an derlei Verstößen in geringen Dosen, Lob über die türkische Flüchtlingspolitik: Diese Haltung vertritt auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Er hatte die Türkei noch kurz vor dem rabiaten Vorgehen gegen die Zeitung wegen ihrer Flüchtlingspolitik gelobt. "Ankara hat unter humanitären Gesichtspunkten zuletzt Bemerkenswertes geleistet." Die Äußerung des Ministers, "wir sollten nicht der Schiedsrichter beim Thema Menschenrechte für die ganze Welt sein", verdiene eindeutig eine rote Karte, kommentiert Stefan Maas.
(sdö/tzi)