Archiv


Türkischer Einmarsch im Nordirak?

Remme: Ich begrüße Baha Güngör. Er leitet die Türkei-Redaktion der Deutschen Welle. Guten Morgen, Herr Güngör.

    Güngör: Guten Morgen.

    Remme: Herr Güngör, Sie sind, wie ich höre, gestern aus Istanbul zurückgekommen. Grundlage der Beratungen im Sicherheitskabinett waren ja Meldungen, denen zufolge die Türkei ihre Truppen im Nordirak bereits verstärken würde. Seit einiger Zeit sind sie dort schon mit einem gewissen Kontingent. Wie sieht man diese Diskussion in der Türkei?

    Güngör: Die türkischen Soldaten sind immer, seit 15 Jahren, im Nordirak gewesen, weil es ja einen Kampf gegen die PKK, gegen die türkischen Kurden, gab. Im Rahmen der Verfolgung dieser Kurden im Norden Iraks waren die türkischen Soldaten immer dort gewesen. Zur Zeit ist die Aktion noch verständlich, weil es darum geht, mögliche Flüchtlingsströme vor dem Erreichen des Hochlandes an der Grenze aufzufangen und sie dort zu versorgen, wo sie noch gut mit amerikanischer und internationaler Hilfe versorgt werden können, und das im Flachland jenseits der Grenze im Norden Iraks. Deshalb dürfen auch die türkischen Soldaten - das wurde auch gestern noch einmal bestätigt - bis zu 20 Kilometer in den nordirakischen Raum vordringen.

    Remme: Nun haben wir gehört, dass sich eine neue Lage für die Bundesregierung ergibt, falls sich die Situation verändert, diese Truppen dort also verstärkt werden. Wie wahrscheinlich ist das?

    Güngör: Die türkischen Soldaten werden mit Sicherheit verstärken, und auch der Generalstabschef fliegt heute oder morgen in Grenzregion, um von dort aus die Koordination persönlich vornehmen zu können. Fest steht, dass die Türkei eine eventuelle Bildung eines eventuellen irakisch-kurdischen Staates in der Region auf jeden Fall verhindern wird und auch alles tun wird, um das verhindern zu können. Bislang wurde auch immer ganz offen in Ankara gesagt, dass ein solcher Staat ein Kriegsgrund ist, das heißt also, ein kurdischer Staat im Norden des Irak wäre für die Türkei nicht akzeptabel, und darüber verhandelt man auch zur Zeit mit den Amerikanern, denn man fürchtet in der Türkei, dass die Amerikaner einen kurdischen Staat beziehungsweise eine verstärkte Autonomie eventuell doch unterstützen, um von dort aus das Bagdader Regime, das neue Regime und die neuen Machthaber in Bagdad besser kontrollieren zu können.

    Remme: Werden denn die Weiterungen einer solchen Entscheidung, also der Truppenverstärkung im Norden Iraks, insofern als dass das Auswirkungen auf die Bundeswehr-Soldaten in den AWACS-Maschinen in der Türkei hätte, wahrgenommen?

    Güngör: Das wird wahrgenommen und es wird auch sicherlich nicht positiv wahrgenommen, denn man fühlt sich schon von den Deutschen etwas im Stich gelassen, denn man versucht immer wieder zu erklären: Die Türkei will nicht in einen Krieg ziehen. Die Türkei will auch, dass der Irak nach Saddam Hussein als Ganzes, als Staat bestehen bleibt. Man möchte doch nur dazu beitragen, dass eine Spaltung des Iraks vermieden wird, denn das hätte ungeahnte Folgen für die ganze Region und die ganze Nachbarschaft. Deshalb stellt man schon auf deutsche Hilfe, vor allem auf NATO-Hilfe, aber wenn die deutschen Soldaten zurückgezogen würden, dann gäbe das sicherlich eine sehr, sehr empfindliche Störung der bilateralen Verhältnisse zwischen Ankara und Berlin.

    Remme: Inwieweit bilden denn die Kurden, die beiderseits der Grenze leben, eine geschlossene Gruppe?

    Güngör: Die sind überhaupt nicht in sich geschlossen. Man darf nicht vergessen, dass die irakischen Kurden, um Dschalal Talabani und Massoud Barzani, sich auch um die Vormachtstellung im Norden des Iraks bekämpft haben. Die Kurden selbst sind untereinander nicht immer und auch nicht überall sehr friedlich miteinander umgegangen. Das wissen wir aus dem Norden Iraks, das wissen wir in der Türkei und das wissen wir im Iran und auch in Syrien. Die Kurden sind ein Kulturvolk, das sich auf mehrere Staaten in der Region verteilt und sie haben sich schon etwas anders entwickelt. Sie haben auch teilweise andere Sprachen, andere Herkünfte, aber es ist ein Kulturvolk, das einer anderen Behandlung bedarf als das was in der Türkei passiert ist. Man hat sie nämlich Jahrzehnte politisch und auch wirtschaftlich vernachlässigt. Andererseits aber hat man die irakischen Kurden aber auch vom Iran aus gegen Saddam Hussein während des allerersten Golfkriegs instrumentalisiert. Man hat im Iran die Kurden gegen den Schah damals in den 70er Jahren, Ende der 70er Jahre, instrumentalisiert. Also, die Kurden wurden immer wieder instrumentalisiert und sie haben es nicht verstanden, eine Einheit zu formen. Dieser Frieden jetzt zwischen Talabani und Barzani ist sicherlich auch nur vorübergehend bis dann feststeht, wer über das Öl verfügt, was in der Region auch da ist.

    Remme: Würde denn die türkische Bevölkerung eine Verstärkung der Truppen, einen Einmarsch, eine Beteiligung an diesem Krieg, also die Türkei als Kriegspartei unterstützen?

    Güngör: Mit Sicherheit wird die Bevölkerung das unterstützen, denn die Bevölkerung vertritt den Standpunkt, dass ein irakisch-kurdischer Staat ein sehr, sehr schlimmer Fall für die Türkei wäre, zumal man ja auch verhindern will, dass ein kurdischer Staat entsteht, also ein starke autonome Region in der Region entsteht, deren Pro-Kopf-Einkommen mit Sicherheit weitaus höher liegen würde als die der türkischen Kurden diesseits der Grenze.

    Remme: Vielen Dank für diese Berichte. Das war Baha Güngör, der Leiter der Türkei-Redaktion der Deutschen Welle.

    Link: DeutschlandRadio Aktuell

    Link: Interview als RealAudio