Freitag, 19. April 2024

Archiv

Türkischer Konsulatsunterricht
"Wir sollten schon wachsam sein"

"Kinder mit Migrationshintergrund und ihre Eltern wünschen sich, etwas über ihre Ursprungsländer zu erfahren", so Ties Rabe, Hamburgs Bildungssenator, im Dlf über den Konsulatsunterricht. Diesen Wunsch müsse man ernst nehmen. Doch sollten die Schulen sorgfältig anschauen, was Schüler dort lernen.

Ties Rabe im Gespräch mit Michael Böddeker | 12.10.2017
    Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) sitzt am 23.06.2017 in Hamburg im Klassenzimmer einer Ganztagsschule.
    Der umstrittene Konsulatsunterricht sei "kein Angebot der staatlichen Schulen", betont Bildungssenator Ties Rabe (dpa / Markus Scholz)
    Michael Böddeker: Der türkische Konsulatsunterricht ist hoch umstritten. Ursprünglich mal, als er vor Jahrzehnten eingerichtet wurde, da war das Ziel, Kinder von Einwanderern auf die Rückkehr in die Heimat ihrer Eltern vorzubereiten. Heute dagegen finden viele den Unterricht - in der jetzigen Form - nicht mehr zeitgemäß. Wir haben hier in der Sendung schon mehrfach darüber berichtet: Die Lehrer werden vom türkischen Staat ausgewählt und bezahlt. Das Problem: Die Lehrinhalte seien zu religiös, zu nationalistisch - das sagen zumindest Kritiker -, besonders seit sich die Lage in der Türkei seit dem Putschversuch nochmal verschärft hat.
    Heute diskutieren in Berlin die Kultusminister der Länder darüber bei der Sitzung der Kultusministerkonferenz (KMK). Mit dabei ist auch Ties Rabe. Er ist Bildungssenator in Hamburg und KMK-Präsidiumsmitglied. Die Frage an ihn: Ist der türkischsprachige Konsulatsunterricht aus Ihrer Sicht noch zeitgemäß?
    Ties Rabe: Zunächst einmal ist es wichtig festzuhalten, dass wir Konsulatsunterricht nicht nur in 14 der 16 Bundesländer haben, sondern auch Konsulatsunterricht in vielen anderen Sprachen - nicht nur Türkisch, Spanisch, Portugiesisch und so weiter und so weiter zählt mit dazu. Wichtig ist auch zu berücksichtigen, das ist kein Angebot der staatlichen Schulen, das ist kein Angebot, das die Kultusminister sich ausdenken oder das an der Stundentafel oder im Stundenplan einer Schule verankert ist, sondern das ist, wenn man so will, man könnte beinah flapsig sagen wie ein privates Nachhilfeangebot, und wer da hingehen möchte, der geht da hin. Deswegen ist es nicht direkt in der Verantwortung der Kultusminister, im Gegenteil, die Konsulate verantworten diesen Unterricht selber.
    Wir müssen "rechtssicher" sein
    Böddeker: Haben Sie denn irgendeine Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen, trotzdem, auch wenn das ein freiwilliges Angebot ist?
    Rabe: Die einzige Möglichkeit, die man hätte, wäre, wenn man sagt, das darf nicht mehr in schulischen Gebäuden stattfinden. Hier muss man allerdings sagen, dass Schulen ja am Nachmittag in der Regel für viele, viele Zwecke ihre Türen öffnen und wir ja auch rechtssicher sein müssen. Wir können nicht einerseits politischen Gruppen - was wir auch tun - Räume zur Verfügung stellen, falls es Fachtagungen gibt oder anderes, Sportvereine, die Turnhallen und vieles mehr, und jetzt hier sagen, das wollen wir aber nicht, am liebsten für ein bestimmtes Land, die anderen dürfen weiter. Das ist alles nicht so einfach, das muss man hier einmal an den Anfang stellen. Aber ich sage Ihnen auf Ihre erste Frage auch, offensichtlich gibt es hier eine Nachfrage. Viele Kinder mit Migrationshintergrund und ihre Eltern wünschen sich, etwas über ihre Ursprungsländer zu erfahren, in ihrer Sprache auch ein Stück weit gebildet zu werden. Und ich glaube, Kultusministerien sind gut beraten, diesen Wunsch ernst zu nehmen und auch zu überlegen, ob in den eigenen staatlichen richtigen Unterrichtsangeboten nicht dieser Wunsch ein Stück weit erfüllt werden kann, und dann hat sich vielleicht die Frage mit dem Konsulatsunterricht langfristig erübrigt.
    Böddeker: Weil eben es staatliche Angebote geben könnte, die eine Alternative sein könnten, meinen Sie.
    Rabe: In der Tat. Das gibt es auch jetzt schon in vielen Ländern, weil wir doch anerkennen, dass wir mittlerweile über ein Drittel in ganz Deutschland der Schülerinnen und Schüler haben, die letztlich aus anderen Ländern zugewandert sind oder wo zumindest die Eltern aus den anderen Ländern zugewandert sind. Und ich sage ganz offen, wenn ich in einem anderen Land leben wollte, würde ich auch gerne, dass meine Kinder doch etwas über meine Heimat erfahren. Dieser Wunsch wird schon jetzt in vielen Bildungsplänen ernst genommen, indem nämlich die Länder selber in vielen Sprachen - als dritte Fremdsprache, als Wahlpflichtunterricht oder vieles mehr - Schülern ermöglichen, eine Sprache, vielleicht die Heimatsprache, zu lernen, und im Ganztag gibt es da auch noch viele Möglichkeit, so etwas auszubauen. Ich glaube, wir sollten diesen Wunsch schon ernst nehmen.
    "Zur Zeit kein einheitliches Bild"
    Böddeker: Trotzdem noch mal zurück zum Konsulatsunterrichts in der bisherigen Form, so wie er jetzt stattfindet, da gibt es ja reichlich Kritik, unter anderem gerade von der kurdischen Gemeinde. Da hat jetzt KMK-Chefin Susanne Eisenmann heute schon erklärt, es gebe keine Hinweise auf türkische Spionage über den Konsulatsunterricht - immerhin das -, allerdings könnte man den Unterricht ja auch verstärkt inspizieren, so wie Sie das ja in Hamburg auch seit Kurzem verstärkt machen. Sind Sie denn bei diesen Inspektionen auf Schwierigkeiten und Probleme gestoßen?
    Rabe: Es ist schon richtig, dass man genau hinguckt. Das ist auch ein legitimer Anspruch, das wird auch getan. Im Bundesland Berlin sind die Bildungspläne beispielsweise überprüft worden in diesem Konsulatsunterricht, und es gab Gespräche mit dem Konsulat mit dem Ziel, die Bildungspläne anzupassen. In Hamburg haben wir in der Tat den Unterricht inspiziert, wir haben uns das angeguckt, Schulräte sind dort hingegangen, haben am Unterricht teilgenommen, mit Lehrern und Schülern gesprochen. Ich sage Ihnen ganz offen, in der Zusammenschau der vielen Dinge, die man aus 16 Bundesländern hört, ergibt sich zurzeit hier kein einheitliches Bild. Sicherlich gibt es immer wieder im Konsulatsunterricht auch Tendenzen, die eigene Nation in einer bestimmten politischen Art und Weise darzustellen, aber dass wir jetzt hier im Moment alle Alarmglocken schrillen hören, das ist zurzeit nicht der Fall. Dennoch sage ich, wir wollen dort schon wachsam sein und insgesamt beim Konsulatsunterricht - jetzt nicht nur beim türkischen Konsulatsunterricht - das sorgfältig angucken, was die Schülerinnen und Schüler dort am Nachmittag lernen.
    "Einseitige religiöse Ausrichtung gehört auf den Index"
    Böddeker: Was wären denn Inhalte, die nicht vertretbar wären in so einem Unterricht aus Ihrer Sicht?
    Rabe: Eine einseitige religiöse Ausrichtung gehört auf jeden Fall mit auf den Index, wo man sagt, das geht nicht, denn natürlich gibt es in jedem Land eine religiöse Vielfalt, und eine Staatsreligion in diesem Sinne ist etwas, was in Deutschlands Unterricht - ob das nun von den Konsulaten unterrichtet wird oder von den Schulen organisiert wird … das ist nicht in Ordnung. Das Gleiche gilt für den Schutz von Minderheiten und vieles mehr, aber auch insbesondere eine gezielte politische Indoktrination in Bezug auf eine Partei oder in Bezug auf eine Führungsfigur. Das sind alles Dinge, die auch in diesem Zusammenhang nicht gehen, die wir allerdings bisher weder bei den Konsulatsunterrichten der vielen, vielen Sprachen, noch im Besonderen beim türkischen Konsulatsunterricht, nicht generell als Tendenz zurzeit erkennen können.
    Böddeker: Heute wird in der KMK-Sitzung darüber diskutiert, was erwarten Sie sich von dieser Diskussion, was könnte am Ende dabei rauskommen?
    Rabe: Ja, es ist sicherlich sehr wichtig, dass die Bundesländer sich über ihre verschiedenen Erfahrungen austauschen, denn da gibt es ja auch unterschiedliche Konsulate, die das auch unterschiedlich jeweils organisieren, und auch unterschiedliche Erfahrungen vor Ort. Bildung ist vielfältiger, als man in der Öffentlichkeit häufig denkt, da kann es durchaus sein, dass es in dem einen Bundesland auch echte Probleme gibt, während es in dem Nachbarbundesland eigentlich relativ gut läuft. Diese Vielfalt erst einmal sich genau anzugucken, um ein Gesamtbild zu bekommen, steht am Anfang. Die zweite Frage ist natürlich, wie gehen wir eigentlich strategisch langfristig damit um, dass es offensichtlich ja doch ein Bedürfnis gibt von vielen Kindern und ihren Eltern, etwas über ihre Heimat zu erfahren, und dass dieses Bedürfnis zurzeit vielleicht im staatlichen Unterricht nicht überall befriedigt werden kann. Und hier, glaube ich, lohnt es schon genau hinzugucken, ob nicht auch der staatliche normale Unterricht über Wahlpflichtkurse oder über Zusatzangebote, über Zusatzkurse, über Nachmittagsangebote ein Stück weit diesen Wunsch respektieren und aufnehmen kann und wir auf diese Art und Weise auch etwas dafür tun, dass Schüler mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungswesen auch angenommen werden und hier auch ihren angemessenen Platz finden können.
    Böddeker: Sagt Ties Rabe, Bildungssenator in Hamburg und KMK-Präsidiumsmitglied. Wir haben über die Kritik am türkischen Konsulatsunterricht gesprochen, über den heute auch auf dem Treffen der Kultusminister in Berlin diskutiert wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.