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'TV-Duelle sind unnötig für politische Information'

09.09.2002
    Engels: Am Telefon ist nun Siegfried Weischenberg. Er war früher Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes. Heute ist er Professor für Journalistik an der Universität Hamburg. Guten Tag, Herr Weischenberg!

    Weischenberg: Guten Tag, Frau Engels!

    Engels: Wir haben gerade Herrn Müntefering gegen Ende des Gesprächs gehört. Er hält solche TV-Duelle durchaus für wahlentscheidend. Würden Sie seine Einschätzung teilen?

    Weischenberg: Also, das ist höchst umstritten. Es gibt ja dieses klassische Duell vom 26. September 1960: Kennedy - Nixon. Da kann es so gewesen sein, dass sich tatsächlich einige Wähler, es war ja eine sehr enge Wahl, umentschieden haben. Aber ob das hier bei uns in der Bundesrepublik bei einem ganz anderen politischen System auch der Fall sein muss, da habe ich schon meine Zweifel. Also, es kann sein, dass es Leute gibt, die sagen: Wenn sich die Programme schon nicht unterscheiden, dann nehme ich den sympathischeren und glaubwürdigeren Kandidaten. Wenn die gestern zugesehen haben, werden sie vielleicht Schröder wählen. Aber das bewegt sich im Grunde genommen im Bereich der Spekulation.

    Engels: Dieses direkte Duell in zweifacher Auflage war nun eine Premiere in Deutschland. Brauchen wir so etwas in der Zukunft?

    Weischenberg: Also, wir brauchen das nicht. Vielleicht brauchen das die Fernsehsender, weil das ja eine tolle Quote gibt. Das war ja gestern wohl so viel wie beim WM-Halbfinale, also über 15 Millionen. Für die politische Information, für die politische Kommunikation ist die Geschichte verzichtbar. Es passt, ich habe das gerade schon angedeutet, im Grund genommen natürlich auch nicht zu unserer Parteiendemokratie.

    Engels: Blicken wir nun auf das Gespräch, das Duell im Einzelnen: Wie hat es Ihnen denn direkt gefallen?

    Weischenberg: Ja, eigentlich ist schon alles gesagt, allerdings noch nicht von allen. Ich fand es auch ein bisschen unterhaltsamer, ein bisschen informativer sicherlich, was den möglichen Krieg der USA gegen den Irak angeht. Aber es hat sich, fand ich, gestern Abend auch wieder gezeigt, dass das doch ein sehr enges Korsett ist, in das sowohl die Kandidaten auf der einen Seite als auch die Befragerinnen auf der anderen Seite gequetscht waren. Da gab es dann natürlich unterschiedliche Eindrücke. Es fiel auf, wie sehr Stoiber wieder gecoacht worden ist. Das war ja nun fast schon ein bisschen überdreht, wie er versucht hat, in jedem Statement die Arbeitslosigkeit unterzubringen. Schröders staatsmännische Attitüde kommt natürlich besser zur Geltung beim Medium Fernsehen, das ja sowieso alles verstärkt. Wenn da jemand zurückhaltend auftritt, ist das im Prinzip gut. Ich fand auch ganz interessant, wie das bei den beiden Moderatorinnen war. Also, ich hatte den Eindruck, dass Frau Christiansen sich sehr wohl fühlte in diesem engen Korsett und Frau Illner nicht so sehr. Also, es gab ganz unterschiedliche Eindrücke, die man da zusammenfassen kann.

    Engels: Blicken wir auch einmal direkt auf die Rolle der Medien. Sie haben es eben schon angedeutet: Das Fernsehen profitiert natürlich von den hohen Einschaltquoten. Ist das nun ein weiterer Gang dahin, dass man sich stärker aus den elektronischen Medien, vielleicht gerade dem Fernsehen, und dementsprechend auch von der Fernsehwirksamkeit informieren lässt?

    Weischenberg: Letzteres halte ich für umstritten. Ich glaube, wenn es Wirkungen gibt, die durch Fernsehduelle entstehen, dann entstehen die doch eher durch Verlängerung im Hörfunk und insbesondere bei der Presse. Also, die Frage: Wie gehen die Medien mit den möglichen Eindrücken, die diese Duelle gezeigt haben, um? In solchen Verlängerungen können womöglich Wirkungen entstehen. Das ganze ist natürlich Ausdruck unserer Mediendemokratie. Es ist ein Riesenhype. Es erinnert mich schon, nicht nur wegen der 90 Minuten Dauer, ein bisschen an den Bereich Fußball. Da hat man die Rechte für 90 Minuten Spiel, aber man macht vorher einen Riesenaufstand, hinterher einen Riesenhype. Und das Ganze wird dann zu einer Geschichte aufgeblasen, die weit über diese 90 Minuten hinaus reicht. Also, wir reden über ein Medienereignis, aber nicht unbedingt über ein Ereignis für unsere parlamentarische Demokratie.

    Engels: Sie haben es vorhin schon angedeutet: Meinungsforscher sind sich auch sicher, dass die Frage, wer besser abgeschnitten hat, eigentlich nicht direkt nach der Sendung feststeht, sondern sehr stark in den darauf folgenden Tagen eben durch die veröffentlichte Meinung geprägt wird. Bekommen Journalisten in Zukunft dadurch mehr Macht?

    Weischenberg: Diese Macht haben Journalisten eigentlich immer schon gehabt. In Amerika spricht man ja von editorial endorsement , also von Unterstützung durch Leitartikel. Die Presse hat, glaube ich, einen viel größeren Einfluss auf Wahlentscheidungen als die Leute glauben. Das ist immer schon so gewesen. Wenn Sie sich erinnern: Die früheren Gesprächsrunden im Fernsehen, als es nur öffentlich-rechtliches Fernsehen gab, die hatten Einschaltquoten, die noch ein ganzes Stück über dem lagen, was wir gestern erlebt haben. Dieser Einfluss war immer schon da. Der Einfluss teilt sich nur inzwischen etwas anders mit und drückt sich anders aus. Da ist mehr Infotainment dabei. Da sind sehr viel mehr Medienanbieter am Start. Und deswegen ist es natürlich auch sehr schwer, etwas darüber zu sagen, wie die konkreten Wirkungen dann aussehen werden.

    Engels: Sie lehren ja auch Journalistik. Wie steht es denn um den Zusammenhang, dass möglicherweise auch die Parteizentralen sich viel stärker bemühen, auf die Journalisten Einfluss zu nehmen?

    Weischenberg: Ja, das ist ja nicht zu übersehen, dass der Einfluss sehr groß ist. Der Einfluss war ja bei diesen Duellen schon dadurch gegeben, dass offenbar ja die Parteizentralen bestimmt haben, nach welchen Regeln angetreten wird. Es gibt eine ganz starke, wie ich finde auch nicht mehr ganz rationale, Ausrichtung auf die Medien. Ich denke, man muss den Einfluss der Parteizentralen, den Einfluss der Wahlkampfmanager, bei Stoiber insbesondere den Einfluss von Michael Spreng, sehr hoch veranschlagen.

    Engels: Wie sollten die Journalisten selber damit umgehen, um eben ihre gewisse Distanz zu den großen Parteien in so einem wichtigen Wahlkampf zu bewahren?

    Weischenberg: Ja, Distanz ist das zentrale Stichwort. Also, man sollte nach allen Regeln der Kunst, alles, was wir gelernt haben zur objektiven Berichterstattung, das sollte man natürlich in diesem Zusammenhang anwenden. So wie Hans-Joachim Friedrich das mal gesagt hat, sich auch mit einer guten Sache nicht gemein machen, sich raushalten, die nötige Distanz wahren, mit Augenmaß berichten. Ich habe den Eindruck, dass viele Journalisten das auch wissen und sich daran halten, aber es gibt natürlich auch welche, die schon etwas stärker zu Kampagnen neigen.

    Engels: Vielen Dank! Wir sprachen mit Siegfried Weischenberg. Er lehrt Journalistik an der Universität in Hamburg.

    Link: Interview als RealAudio