Freitag, 29. März 2024

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TV-Fünfkampf der kleineren Parteien
"Das war Feinschmeckerkost für politisch Interessierte"

Beim TV-Fünfkampf der kleineren Parteien seien hoch spannende Fragen durchaus kontrovers diskutiert worden, sagte der Politologe Thorsten Faas im Dlf. Wenn die Sendung eine ähnliche Zuschauerzahl gehabt hätte wie das Duell Merkel-Schulz am Sonntag, dann hätte es riesige Effekte haben können.

Thorsten Faas im Gespräch mit Silvia Engels | 05.09.2017
    Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der FU Berlin.
    Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der FU Berlin. (picture alliance / dpa / privat / Thorsten Faas)
    Silvia Engels: Wo steht der Bundestagswahlkampf derzeit und welche Bedeutung haben sowohl die heutige Bundestagsdebatte als auch die gestrigen Fernsehdebatten? – Das wollen wir besprechen mit Thorsten Faas. Er ist Professor an der Universität Mainz und nun am Telefon. Guten Tag, Herr Professor Faas.
    Thorsten Faas: Schönen guten Tag! Ich grüße Sie.
    Engels: Beginnen wir mit dem Rückblick auf gestern, diese Fünfer-Runde. Die Form dieser Auseinandersetzung, Grüne, Linke, CSU, FDP und AfD, wurde im direkten Medienecho ja recht positiv vielfach bewertet, da hier es kontroverser zugegangen sei als beim Kanzlerduell am Sonntag. Sie haben diese Debatte, eigentlich beide Debatten auch durch mehrere Dutzend Interessenten in Mainz beobachten lassen. Kam diese Fünfer-Runde gestern dort auch gut an?
    "Der Fünfkampf war deutlich anspruchsvoller"
    Faas: Ja. Sie wurde in jedem Fall als lebhafter bewertet, auch als kontroverser und damit insgesamt vielleicht auch als ein wenig unterhaltsamer. Aber das ist insgesamt ein spannender Zielkonflikte, wenn wir Duell und Fünfkampf vergleichen. Das Duell sehr verregelt, es kam ja auch die Kritik gerade von medialer Seite, dass da wenig Neues gekommen sei. Das stimmt schon. Aber auf der anderen Seite darf man nicht vergessen: Dieses Duell mit seinen 16 Millionen Zuschauern, das ist wirklich, man könnte sagen, ein politischer Blockbuster. Da sitzen auch viele Menschen vor den Schirmen, die sonst vielleicht vom Wahlkampf, auch vom Fünfkampf gestern oder der Bundestagsdebatte heute, nicht so viel mitbekommen.
    Und denen tut dieses Verregelte, auch vielleicht für viele andere Menschen Bekannte durchaus gut. Die schätzen das, da können sie gut folgen. Insofern muss man immer ein bisschen trennen zwischen der Wahrnehmung dieser Debatten in Medien oder bei politisch sehr interessierten Menschen und der wirklichen Breitenwirkung, den die Debatten und die Fünfkämpfer haben. Der Fünfkampf gestern, der war interessant, der war kontrovers; der war aber auch, was die Diskussionen betrifft, deutlich anspruchsvoller, und das schränkt dann doch in letzter Konsequenz die Möglichkeiten von Effekten mit Blick auf den Bundestagswahlausgang und den Ausgang der Wahl doch deutlich ein.
    Alice Weidel (3.vr.), Spitzenkandidatin der AfD, begrüßt am 04.09.2017 bei ihrer Ankunft im Fernsehstudio in Berlin Christian Lindner, Bundesvorsitzender und Spitzenkandidat der FDP (r), dahinter stehen die Spitzenkandidaten (l-r) Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Partei Bündnis 90/Die Grünen, und Joachim Herrmann (CSU), bayerischer Innenminister.
    Live-Fünfkampf der kleinen Parteien in der ARD (dpa-Bildfunk / Bernd von Jutrczenka)
    Engels: Das heißt, auch wenn es gestern um Themen ging, die am Sonntagabend zum Teil gar nicht auftauchten – sei es jetzt die Bildung etwas intensiver, sei es jetzt das Thema soziale Ungerechtigkeit intensiver -, dann hat das doch keinen Entscheidungscharakter für die Wähler?
    "Wirklich immens unterschiedliche Reichweiten"
    Faas: Man muss zunächst mal die wirklich immens unterschiedlichen Reichweiten einfach im Kopf behalten. Wir hatten 16 Millionen Zuschauer am Sonntag. Ich kenne die Zahlen für gestern nicht genau, aber ich vermute, wir lagen im Bereich vielleicht von vier, fünf Millionen. Das ist einfach ein himmelweiter Unterschied und nicht nur in der Größenordnung, sondern auch in der Struktur. Ich würde stark vermuten, dass wir gestern eine Zuschauerschaft hatten, wie wir sonst auch bei politischen Talkshows haben, und das sind typischerweise politisch interessiertere Menschen, deren Wahlentscheidungsprozess vielleicht auch schon viel weiter fortgeschritten ist, als das bei den vielen Unentschlossenen der Fall ist. Insofern: Die thematische Auswahl, darüber kann man sicherlich streiten, dass am Sonntag einfach viele Themen zu kurz gekommen sind und wir gestern im Fünfkampf ein deutlich breiteres Themenportfolio erleben konnten. Aber was die Effekte und was die Reichweite betrifft, ändert das nichts an den sehr grundlegenden Unterschieden, die es doch zwischen dem Duell auf der einen Seite und dem Dreikampf und vor allem dem Fünfkampf gestern in der ARD gegeben hat und die es auch in der Vergangenheit immer gegeben hat.
    Engels: Aber unterschätzt man da nicht vielleicht auch etwas die Wähler, auch wenn die Quoten sich unterscheiden? Denn auch die Wähler wissen ja, dass wahrscheinlich einer der beiden Duellanten am Sonntag auf jeden Fall einen Koalitionspartner braucht, und das könnte ja auch möglicherweise aus dem kleineren Parteienspektrum kommen. Hat man da möglicherweise doch auch Entscheidungsbedarf, wenn man diese kleineren Parteien betrachtet, oder ist dieses Format dann eigentlich überbewertet?
    "Das hätte das riesige Effekte haben können"
    Faas: Nein, das ist ein sehr, sehr spannendes Format, keine Frage, und man konnte das auch in unserer Studie durchaus erkennen, dass der Informationsbedarf gestern deutlich größer war, als er es am Sonntag bei Weitem nicht in gleichem Maße bekannt sind, wie das bei Merkel und Schulz der Fall gewesen ist. Das heißt, wenn das gestrige Aufeinandertreffen dieser fünf Politiker in der Zuschauerzahl und in der Zuschauerstruktur ähnlich dem gewesen wäre, was wir am Sonntag beim Duell gehabt hätten, dann hätte das riesige Effekte haben können. Aber dem ist nicht so. Das war gestern dann doch wieder eher Feinschmeckerkost für politisch Interessierte, was die Zuschauer betrifft, und das schränkt die Möglichkeiten ein. Das ändert überhaupt nichts daran, dass hoch spannende Fragen gestern diskutiert wurden, und gerade auch die Frage, wer regiert uns eigentlich nach dem 24. September, ist eine der Fragen, die jetzt auf der Zielgeraden, in den letzten knapp drei Wochen durchaus noch mal für Dynamik sorgen kann, dann nämlich, wenn die Menschen anfangen zu überlegen, wer wird uns denn regieren, möchte ich eigentlich von dieser Koalition regiert werden, oder kann ich vielleicht mit anderen Menschen zusammen durch ein anderes Wahlverhalten auch noch mal dafür sorgen, dass andere Koalitionen, die mir lieber sind, sich dann bilden können. Aber das ändert nichts daran, dass das Format gestern nicht die Reichweite hatte, die wir am Sonntag hatten. Abgesehen davon, dass natürlich die Konstellation mit einem CSU-Vertreter, der der alleinige Regierungsvertreter war und sich den Vorwürfen von vier, entweder innerparlamentarischen, oder außerparlamentarischen Oppositionspolitikern stellen musste, auch noch mal ein gewisses Schmankerl war, was doch eher ungewöhnlich war.
    Engels: Dann halten wir als Zwischenergebnis fest: Trotz aller Mühen des Fünfkampfes, wahlprägender wird wohl das TV-Rededuell sein. Da hat ja Bundeskanzlerin Merkel heute offenbar versucht anzuknüpfen, ihren Amtsbonus auszuspielen. Im Bundestag hielt sie eine Rede, in der es auch etwas um Innen- und Sozialpolitik ging. Aber da ging es wieder um Weltpolitik, Nordkorea, Türkei, Sicherheitspolitik. Ist das Ihre Methode, um Herausforderer Schulz auf Abstand zu halten, dem heute nur die YouTube-Bühne bleibt?
    "Sie hat uns viel mitgeteilt, mit wem sie telefoniert"
    Faas: Das hat man ja am Sonntag schon als Strategie der Kanzlerin deutlich erkennen können, auch natürlich bedingt durch die Art der Fragestellung, dass sie ganz lange auf einem Terrain unterwegs war, wo sie einfach als Kanzlerin ganz natürlich zuhause ist, nämlich das internationale Parkett, die vielen Gipfel. Sie hat uns ganz viel mitgeteilt, mit wem sie telefoniert. Dagegen wirkt dann Martin Schulz einfach naturgemäß als Herausforderer, der da nicht mit gleichem Gewicht, wenn man so will, gegenhalten kann.
    Und auch heute hat man natürlich die zweite Trumpfkarte immer wieder spüren und hören können, die sie hat, nämlich immer, wenn es eng wird, auch am Sonntag im Duell, dann kann sie natürlich darauf verweisen, im Zweifelsfall zu sagen, na ja, das haben wir doch eigentlich gemeinsam (und durchaus erfolgreich) in der Großen Koalition so beschlossen. Das macht es einfach für Martin Schulz sehr, sehr schwierig, sie und die Union zu greifen. Sie hat immer diese Möglichkeiten, einerseits auf ihre Erfahrung, auch ihre Erfolge durchaus auf internationalem Parkett zu verweisen, und sie kann die SPD und letztlich auch Martin Schulz als den Vorsitzenden der SPD immer in Mithaftung nehmen für das, was sie getan hat, und das lässt seine Angriffe dann immer sehr leicht als initiiert oder zur Schau getragen wirken, und das macht es tatsächlich sehr, sehr schwierig.
    "Schulz hat es schwer, Treffer gegen sie zu setzen"
    An einem Punkt konnte man das sehr deutlich sehen. Die größte Überraschung des TV-Duells war ja, dass Martin Schulz sagte, er wolle als Kanzler die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beenden, da wolle er aussteigen. Da hat Frau Merkel sofort gemerkt, das ist hier eine neue Akzentuierung. Sie ist im Duell darauf wirklich mehrfach noch mal eingegangen und hat versucht, diesen Punkt zu neutralisieren. Und auch heute in der Bundestagsdebatte war das ja noch mal Thema, wo sie im Prinzip sagte, im Ergebnis ist mein Vorschlag identisch, da passiert gerade Ähnliches. Langfristig ist er vielleicht sogar besser, weil ich mir noch Hintertürchen offenhalte. Das zeigt einfach, Martin Schulz hat es wirklich schwer, aktuell Treffer gegen sie zu setzen.
    Engels: Thorsten Faas war das, Professor an der Universität Mainz. Wir ordneten Bundestagsdebatte und Fünfkampf ein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.