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Twitter-Trend #ProudBoys
Schwule Küsse gegen Rechts

Schwule Männer in den USA kapern aus Protest den Slogan der rechtsextremen Gruppe "Proud Boys". Bei Twitter posten sie unter diesem Hashtag Bilder von Schwulen, die Händchen halten und sich Küssen - als Reaktion auf Aussagen von Wahlkämpfer Donald Trump. Eine eingängige aber auch ambivalente Netz-Aktion.

Raphael Smarzoch im Gespräch mit Adalbert Siniawski |
Zwei Männer küssen sich auf einem steinigen Strand, im Hintergrund ist das Meer zu sehen.
Die anderen "Proud Boys": Zwei Männer küssen sich am Strand (imago / Westend61)
Donald Trump und seine Corona-Infektion sorgen derzeit für Gesprächsstoff - und fast schon in den Hintergrund gerückt ist dessen Fernsehduell mit Herausforderer Joe Biden. Dabei gab es auch dort reichlich Sprengstoff. Zum Beispiel, als sich der US-Präsident nicht von der rechtsextremen Gruppierung "Proud Boys" distanzieren wollte. Stattdessen forderte Trump die "Proud Boys" auf, sich "zurück- und bereitzuhalten". Später revidierte er die Aussage.
Und doch brach auf Twitter eine Gegenbewegung los: Queere Menschen und Aktivisten posten seitdem tausendfach Fotos von ganz anderen "Proud Boys", nämlich schwulen Männern, sie sich stolz umarmen, küssen oder Händchen halten. Losgetreten wurde der Trend von Raumschiff-Enterprise-Schauspieler George Takei.
Adalbert Siniawski: Ein rechter Slogan wird von der schwulen Community in den USA - und mittlerweile auch in Deutschland - gekapert. Raphael Smarzoch aus der Corso-Redaktion: Welchen Einfluss kann diese Aktion haben?
Raphael Smarzoch: Es ist zumindest eine Form des Protestes, wie wir sie in Zukunft noch viel häufiger sehen werden, weil sie über digitale Kanäle verläuft. Und Hashtags eignen sich sehr dafür, gezielt Aufmerksamkeit zu erzeugen, Inhalte zu bündeln und sie mit einer gewissen Reichweite zu versehen. Ähnliche Aktionen konnte man beispielsweise bereits in der Vergangenheit beobachten, als die gigantische K-Pop-Fan-Gemeinde rassistische Hashtags kaperte, die eine Reaktion auf die BlackLivesMatter-Proteste waren – also #WhiteLivesMatter zum Beispiel. Und unter diesen Hashtags waren dann auf einmal vorwiegend progressive, anti-rassistische Inhalte zu sehen und zu lesen. Von daher würde ich es schon als wirksame Form des Protestes bezeichnen, die den klassischen Straßenprotest zwar nicht ersetzt – jedoch weicht das Megaphon zunehmend dem Smartphone und seinen mannigfaltigen Vernetzungskapazitäten.
Fader Beigeschmack
Siniawski: Ist das Protestieren mit Bildern im Netz besonders wirksam, weil besonders plakativ und provokant?
Smarzoch: Das Protestieren in digitalen Bildern - ob das jetzt nun bewegte oder Standbilder sind - ist auf jeden Fall unmittelbarer und daher viel eingängiger als eine Protestrede, die man sich auf einer Demo anschaut. Sie ist schneller, leichter zu organisieren und entspricht einfach den Dynamiken der heutigen vernetzten Welt viel mehr.
Das Protestieren in Bildern an sich ist sicherlich nicht provokativ, da kommt es dann auf die Inhalte an, die vermittelt werden. Das gilt für jedes Medium. Von daher ist diese Protestaktion sicherlich auch unter ambivalenten Gesichtspunkten zu sehen, denn sich küssende Männer als Provokation zu instrumentalisieren, hinterlässt bei mir jedenfalls einen faden Beigeschmack - auch wenn es gegen Rechtsextremismus gerichtet ist und Rechtsradikale provozieren soll. Küssende Männer sind de facto nämlich nicht unter Gesichtspunkten der Provokation wahrzunehmen - oder sollten es zumindest nicht mehr.
Siniawski: Ich spiele jetzt mal den Advocatus Diaboli: Verhilft man den Rechtsextremen eventuell zu mehr Popularität, wenn man ihren Namen in die Welt setzt?
Smarzoch: Das ist natürlich immer die Frage, die mit solchen Aktionen einhergeht. Sollte man Rechtsextreme eher außen vor lassen, sie ignorieren oder sie gezielt kritisieren und mit – in diesem Fall – spielerischen Aktionen bloßstellen? Sie merken schon, auch das ist eine ambivalente Angelegenheit, da man indirekt ja auch auf den Kernpunkt des Protestes zurück verweist und damit auf die "Proud Boys" selbst.
Den größten Gefallen hat dieser Vereinigung, die man durchaus auch als Miliz bezeichnen kann, allerdings der US-amerikanische Präsident selbst getan. Nach ihrer Nennung im Fernsehduell mit Joe Biden haben diverse Terrorismus-Analysten einen rapiden Zuwachs und Interesse an der Community verzeichnen können. Inklusive einer Monetisierung von Trumps Aussage, die jetzt auf T-Shirts der "Proud Boys" zu erwerben ist.
Chauvinismus und patriarchale Strukturen
Siniawski: Sie haben von Miliz gesprochen. Wer steht eigenlich hinter dieser Gruppierung und wie einflussreich ist sie überhaupt?
Smarzoch: Die "Proud Boys" sind eine von Gavin McInnes, ehemals Chefredakteur des "Vice"-Magazins, gegründete Organisation, die ausschließlich Männer aufnimmt, die ein Aufnahmeritual durchlaufen müssen. Sie sind eine Gruppierung, die sich gegen politische Korrektheit ausspricht, für Chauvinismus und patriarchale Strukturen. Also: so weit, so reaktionär.
Sie sind aber auch - und da wird es tricky - eine Organisation, die zumindest vorgibt, antirassistisch eingestellt zu sein. Mitglieder der "Proud Boys" sind nicht alle weiß, es gibt auch schwarze "Proud Boys". Sie sind somit auch um eine gewisse Diversität bemüht - aber natürlich nur unter dem Mantel ihrer rechtskonservativen Weltanschauung.
Und sie pflegen auch ein ambivalentes Verhältnis zur Homosexualität. Sie hatten nie davor Angst, homoerotische Zuneigung zu zeigen. Gavin McInnes küsste etwa Alt-right-Provokateur Milo Yiannopoulos bei einem öffentlichen Auftritt, um damit Muslime zu beleidigen. Und McInnes selbst penetrierte sich in seiner Live-Show mit einem Dildo. Hier wird natürlich Homosexualität im Sinne des Trollings instrumentalisiert, zeigt aber, dass die Alt-right und ihre vielfältigen Ausformungen da ein deutlich entspannteres Verhältnis zu haben.
Queere Trump-Anhänger
Siniawski: Viele Menschen aus der queeren Community protestieren nun gegen solche Ideen und Ideale, wie eben mit diesem Hashtag. Aber sind solche Haltungen in der queeren Szene auch zu finden?
Smarzoch: Natürlich. Queere Menschen sind nicht automatisch besser, weil sie queer sind. Auch in der queeren Szene gibt es rechtskonservative Ansichten. Und auch hier Menschen, die Sympathien für Trump haben. Natürlich nicht so weit verbreitet, wie in anderen Kreisen, aber es würden sich immerhin 17 Prozent der queeren US-amerikanischen Bevölkerung wieder für Trump in der nächsten Wahl entscheiden.