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Ulf Poschardt sagt zum Abschied laut Servus

Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt hat sich von Twitter verabschiedet, das für ihn zu einem "Brandbeschleuniger sowieso hitziger Debatten" geworden ist. Dabei habe Poschardt selbst viel zu dem Klima auf Twitter beigetragen, das er nun bemängelt, kommentiert Michael Borgers.

Von Michael Borgers | 11.11.2019
Ein Porträt des Welt-Chefredakteurs Ulf Poschardt
Ulf Poschardt verabschiedet sich von Twitter (imago/epd/Jürgen Blume)
Jetzt ist er weg, liebe Twitter-Gemeinde. Und wir sind wieder allein, allein. Ulf Poschardt will nicht mehr, oder genauer: Wir wissen jetzt, warum er nicht mehr will. Warum er sich seit Wochen nicht mehr zu Wort gemeldet hat im 280-Zeichen-Dienst. Warum ihn all diese Gefühle plagen, die er scheinbar so lange nicht kannte.
Twitter sei ein "Werkzeug für Feinde der Freiheit geworden", konstatiert der Chefredakteur der Welt-Gruppe in eigener Sache. Das Medium habe sich, Zitat, "in gesellschaftlich angespannten, auch konfliktreichen Zeiten zu einem Brandbeschleuniger sowieso hitziger Debatten entwickelt". Zwei Grundzüge würden die Twitter-Kulturlandschaft dieser Tage prägen: Hass und Opportunismus. Deshalb, bilanziert er, sei es Zeit, sich zu verabschieden.
Mehr selbstgerecht als selbstkritisch
Dabei war er lange Zeit in dieser anderen Welt ein König. Ein Journalist, der Debatten anstoßen konnte. Wie 2017, als er sich nach dem Besuch einer Christmette an einen Abend bei den Jusos oder der Grünen Jugend erinnert fühlte. Oder ein anderes Thema, sozusagen sein größter Hit: die Freiheit, die bekanntlich das Einzige ist, was zählt. Der Ruf nach einem Tempolimit? Für Poschardt der Versuch, diese Freiheit einzuschränken. Genau wie die Kritik an großen Autos. Und vieles andere mehr.
Doch all das, alles was ihn einst kickte, von dem er nie genug kriegte, will er nun sein lassen. Und schon titeln einige, Poschardt mache den Habeck. Auch er selbst ordnet seine Entscheidung in der Tradition des Grünen-Chefs ein. Der hatte bereits Anfang des Jahres Twitter Lebwohl gesagt.
Etwas allerdings unterscheidet die beiden dann doch: die Fähigkeit zu Selbstkritik. Habeck erklärte damals, Twitter triggere in ihm etwas an: "aggressiver, lauter, polemischer und zugespitzter zu sein". Eine Tendenz, die durchaus auch in Poschardts Tweets zuletzt zu beobachten war. Doch davon, und das ist mehr selbstgerecht als selbstkritisch, kein Wort nun.
Debattenanstöße und Polemisierung
Etwa dazu, wie er einen positiven Kommentar der ARD-Tagesthemen zum Berliner Mietendeckel mit einer Nordkoreaflagge kommentierte – also einem beliebten Motiv derer, die in Deutschland eine Meinungsdiktatur sehen wollen.
Oder, ein anderes Beispiel: Als Herbert Grönemeyer dazu aufrief, "Keinen Millimeter nach rechts" zu rücken, schrieb der Springer-Journalist: "Besonders witzig von jemand der in London vor unseren Steuersätzen geflüchtet ist." Eine nicht nur sprachlich falsche Entgleisung, die Poschardt erst auf Druck von Grönemeyers Anwalt zurückzog - vorher aber noch gegen dieses rechtliche Vorgehen polemisierte.
Nun also soll Schluss sein. Und Poschardt überlegt, wohin nun mit dem "kultivierten Diskutieren". Die "liberalen, pluralismuspositivistischen Medien", zu denen er wohl auch die seines eigenen Verlags zählt, müssten "auf ihren Plattformen selbst jene Aufgaben übernehmen, zu denen Facebook und Twitter offensichtlich nicht in der Lage" seien.
Poschardt protegierte auf Twitter hetzende Kolumnisten
Was der Chefredakteur unter "Pluralpositivismus" versteht, beweist er bereits seit einigen Jahren mit den Kolumnen in seinem Blatt. Die zum Teil von Autorinnen und Autoren stammen, die ihren Hass gegen alles, was nicht ihren moralischen Vorstellungen entspricht, nicht nur dort verbreiten. Die auch in Social Media hetzen, und dann, und an dieser Stelle zitiere ich noch einmal Poschardt selbst, "anonyme Fanboys und -babes" haben, Zitat Ende. Anhänger, die - angestachelt von den Zündlern - gezielt kritische Stimmen angehen und dabei auch vor Morddrohungen nicht zurückschrecken. Etwas, das Poschardt in seinem Kommentar auch beklagt, gegen sich. Dennoch protegierte er seine eigenen Zündler und damit auch ihre Anhänger bislang.
Nur diese Rückendeckung ihres Chefs auf Twitter, die haben diese Kolumnistinnen und Kolumnisten fortan dort nicht mehr. Der ist jetzt weg, schaut seinen eigenen Film und will sein eigener Held sein.
Aber für die, die ihn vermissen, seine rund 45.000 Follower, bleibt ein Trost: Er habe "erstmal keinen Bock mehr", schreibt Poschardt in seinem letzten Tweet, mit Betonung auf "erstmal". Denn auch an dieser Stelle ist er nicht so konsequent wie Grünen-Chef Habeck. Gelöscht hat er sein Twitter-Profil nicht, seine Werksammlung von mehr als 31.000 Kurznachrichten – sie ist nicht weg.