Freitag, 19. April 2024

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GroKo-Maßnahmenpaket
"Ein wichtiger Schritt gegen Hetze im Netz"

Bislang würden Beleidigungen im Internet kaum strafrechtlich verfolgt. Das könnte sich mit dem vorgeschlagenen Maßnahmenpaket der Bundesregierung gegen Hetze im Netz deutlich ändern, sagte Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas im Dlf. Effizient betrieben, könnten Hass-Speaker abgeschreckt werden.

Nikolaos Gazeas im Gespräch mit Dirk Müller | 30.10.2019
Verschwommene Aufnahme eines Polizei-Computers mit kinderpornografischen Bildern auf dem Bildschirm.
Effiziente Strukturen und ausreichend Personal bei BKA und den Staatsanwaltschaften von Bund und Ländern seien die Vorrausetzung dafür, den Hass im Netz einzudämmen, sagte Jurist Gazeas im Dlf (dpa/ Martin Ruetschi )
Dirk Müller: Es sind hunderte, tausende, zehntausende Eintragungen, Kommentare, wie auch immer genannt, die andere Menschen beschimpfen, verunglimpfen, beleidigen – alles zu haben, zu lesen, zu hören im Internet, ein Forum, das längst auch dazu da ist, Hass zu schüren, zu produzieren und dann auch in die Tat umzusetzen. Auch die rechtsextreme Szene nutzt das Web, nutzt die Social-Media-Kanäle, um zu mobilisieren. Der Mord an Walter Lübcke und jüngst die Anschläge von Halle haben das den Ermittlern auch noch einmal ganz deutlich vor Augen geführt. Welche Rolle spielen dabei die großen Internet-Plattformen Facebook, Instagram und Twitter? Was können diese verbieten, was können diese löschen und was nicht? Die Große Koalition will nun handeln, bringt Maßnahmen auf den Weg.
Am Telefon ist nun der Rechtsanwalt und Strafverteidiger Nikolaos Gazeas, der sich mit den Verwerfungen, mit den Abgründen im Netz fast tagtäglich beschäftigen muss. Herr Gazeas, wird jetzt schon etwas besser?
Gazeas: Das, was heute beschlossen wurde, ist auf jeden Fall ein wichtiges und richtiges Maßnahmenpaket und damit ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung, nämlich dass der Schutz der Bürgerinnen und Bürger gegen Kriminalität und Hetze im Netz verbessert wird.
Der Eingang der Staatsanwaltschaft in München.
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Müller: Sie sagen, der Schutz wird verbessert. Aber brauchen wir dafür nicht die entsprechenden Organe, Menschen, den Personalkorpus, um das auch umzusetzen?
Gazeas: Wir brauchen zwei Dinge. Wir brauchen in jedem Falle Personal, mehr Personal, und die entsprechenden Strukturen, die dafür geschaffen werden müssen. Es muss aber an einzelnen Stellschrauben auch der Gesetze geschraubt werden, und auch solche Änderungen enthält das vorgeschlagene Maßnahmenpaket an ganz unterschiedlichen Stellen, angefangen vom Strafrecht über das Waffenrecht und das Melderegisterrecht – in allen Bereichen, in denen man an diesen Stellschrauben nun drehen muss.
Bislang würden Beleidigung kaum strafrechtlich verfolgt
Müller: Können Sie uns ein konkretes Beispiel geben, wo das Strafrecht jetzt so formuliert werden soll, dass es hinterher effizienter in der Praxis wirkt?
Gazeas: Gerne. Im Strafrecht ist es so, dass bislang die Beleidigung zwar strafbar ist, aber sie bietet den Betroffenen von Beleidigung in der Praxis nur einen sehr, sehr eingeschränkten Schutz. Wenn Sie beleidigt werden und eine Strafanzeige erstatten, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Staatsanwalt Sie auf den sogenannten Privatklage-Weg verweist, sehr, sehr hoch. Das würde bedeuten, man würde Ihnen sagen, Sie haben möglicherweise recht mit Ihrem Tatvorwurf, aber Sie müssen die Strafverfolgung selbst betreiben, auf eigene Kosten, eigene Initiativen, auf einem recht steinigen Weg. Das führt dazu, dass kaum jemand eine Beleidigung strafrechtlich verfolgt. Viele verzichten in all diesen Fällen auch schon auf eine Strafanzeige.
Beleidigungen von Amts wegen verfolgen
Müller: Weil das eine Bagatelle ist in den Augen der Richter oder in den Augen des Apparats?
Gazeas: In den Augen nicht nur des Gesetzes ist es ein Straftatbestand, der mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht wird. Aber die Anwendung in der Praxis ist - sicherlich auch den Ressourcen geschuldet - eine solche, dass Beleidigungen seltenst strafrechtlich verfolgt werden. Hier soll sich etwas dahingehend ändern, dass eine Beleidigung, die im öffentlichen Raum getätigt wird – und das ist das Internet hier vor allem -, und gegen Personen des öffentlichen Lebens, da soll zum einen der Strafrahmen erhöht werden, etwa bei der einfachen Beleidigung im öffentlichen Raum von einem Jahr Freiheitsstrafe auf bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe.
Und – und das ist die wichtigste Stellschraube, an der gedreht werden soll – Beleidigungsdelikte sind im Moment Antragsdelikte. Das heißt, sie werden nur dann verfolgt, wenn der Betroffene einen Strafantrag stellt. Hier soll es bei öffentlichen Beleidigungen so sein, dass sie auch von Amts wegen verfolgt werden müssen. Diese Stellschraube ist deshalb so wichtig, weil bei uns in Deutschland in der Strafverfolgung ein sogenanntes Offizialprinzip herrscht. Das heißt, wenn ein Staatsanwalt Kenntnis erlangt von einer Straftat, muss er verfolgen. Wenn es nicht mehr von einem Antrag abhängt, ist er verpflichtet, gegen eine solche Person vorzugehen. Das wird auch kombiniert mit anderen Maßnahmen, etwa solchen, dass soziale Netzwerke in die Pflicht genommen werden, nicht nur bestimmte Inhalte zu löschen, sondern dies auch der Polizei - und beim BKA soll eine entsprechende Stelle geschaffen werden - zu melden. So soll der Strafverfolgungsmechanismus in Gang gesetzt werden.
Müller: Herr Gazeas, wenn ich hier noch einmal einhaken darf? Ich hatte das in der Anmoderation angedeutet. Es ist ja ganz schwierig, das auch quantitativ in irgendeiner Form festzulegen und klar und präzise zu eruieren. Ich habe von tausenden, zehntausenden Fällen gesprochen. Wenn das jetzt alles so passieren würde, das heißt, wenn jemand in der Lage ist und vor allen Dingen auch die Kapazität hat, die Arbeit dafür aufwendet, tausende von Beleidigungstatbeständen in irgendeiner Form im Internet auszumachen, diese dann zu melden, wie Sie es sagen, und der Staatsanwalt muss dann dementsprechend dagegen vorgehen, muss das zu einem offiziellen Ermittlungsverfahren wie auch immer versuchen umzusetzen, wie ist das leistbar und machbar mit dem Apparat, mit dem Personalkörper, den wir haben?
Gazeas: Das ist eine ganz wichtige und sehr berechtigte Frage, die Sie haben, denn jede Beleidigung im Netz auf die Art und Weise zu verfolgen, wie ich es eben beschrieben habe, dazu ist man heute ganz sicher von den Kapazitäten her nicht in der Lage. Und man wird es, das vermute ich, auch dann nicht sein, wenn die Kapazitäten aufgestockt werden und die Strukturen entsprechend aufgebaut werden. Das ist aber vielleicht auch nicht zwingend notwendig. Notwendig ist es, hier ein ganz deutliches und starkes Signal zu setzen, dass man bei solchen Fällen nicht mehr wegschaut, und, wenn Sie so wollen, dort qualitativ heranzugehen und zu sagen, das, was von erheblichem Gewicht ist, wenn wir es hier mit Beleidigungen zu tun haben, die auch mit Drohungen, mit Morddrohungen einhergehen, die mit Volksverhetzung einhergehen, dass man bei solchen Delikten viel schneller und effizienter verfolgen kann.
Ich glaube, dass das auch eine Ausstrahlungswirkung dahingehend haben wird. Stellen Sie sich vor: Derjenige, der heute im Netz anonym beleidigt, fühlt sich in einem sehr geschützten Raum, weil er einerseits anonym agiert und andererseits weiß, es ist so schwer und faktisch macht kein Staatsanwalt etwas. Wenn es allerdings dazu kommt, dass derjenige, der massive Beleidigungen, Hetze und Drohungen im Netz verbreitet, möglicherweise kurze Zeit später, morgens den Staatsanwalt und Polizeibeamte zu einer Durchsuchung bei sich vor der Haustür stehen hat, dann wird auch das in entsprechenden Kreisen die Runde machen. Und ich verbinde das mit der Hoffnung, dass das auch zu Folgen dahingehend führen wird, dass sich jemand gut überlegt, ob er im Netz weiter so herumpoltert oder eben nicht.
Auch Staatsanwaltschaften mit Kapazitäten auszustatten
Müller: Herr Gazeas, das würde ja bedeuten, dass Abschreckung wirkt.
Gazeas: Davon gehe ich aus, dass in dem Fall, wenn es effizient betrieben wird, es zu einer möglichen Abschreckung sicherlich nicht bei allen, aber bei Personen, die, wenn Sie so wollen, irgendwo noch auf der Entwicklungsstufe zu einem Hass-Speaker sind, dass es dort durchaus helfen kann.
Müller: Aber Sie machten jetzt auch diese Einschränkung, wenn es entsprechend effizient umgesetzt wird. Wie wahrscheinlich ist das, dass das passiert, mit der Verstärkung, die jetzt bisher angekündigt ist? Wir wissen das ja auch nicht. Die finanziellen Details sind noch nicht bekannt. Es hat ja viele Ankündigungen gegeben in den vergangenen Jahren, immer wieder in verschiedenen strafrechtlich relevanten Szenarien. Passiert ist ja unglaublich wenig.
Gazeas: Das ist schwierig und es wäre unseriös, diese Frage belastbar zu beantworten, weil vor allem auch nicht über Anzahl von Stellen und Ähnliches im Moment Zahlen bekannt sind. Was bekannt ist, ist, dass vor allem das BKA gestärkt werden soll und auch der Verfassungsschutz, und zwar dort beim BKA auch eine entsprechende Zentralstelle geschaffen werden soll, an die die sozialen Netzwerke solche Beleidigungen, Drohungen und andere Straftaten melden müssen. Das BKA soll auch mit der Befugnis ausgestattet werden, von sich aus in einem bestimmten Verfahren die entsprechenden Personen namhaft machen zu können. Das geht über die IP-Adresse relativ einfach. Wenn da effiziente Strukturen geschaffen werden und – das ist jetzt ganz, ganz wichtig – ausreichend Personal zur Verfügung gestellt wird, dann bin ich hoffnungsvoll, dass es hier zu einer spürbaren Verbesserung kommt.
Das Personal wird aber nicht nur beim BKA erforderlich sein, denn das BKA ist Polizei, das BKA kann ermitteln. Am Ende muss ein solcher Fall immer bei einem Staatsanwalt landen, und das sind Fälle, die dann bei den jeweiligen Ländern liegen und bei den Staatsanwaltschaften in den einzelnen Städten. Ob da überall die Kapazitäten vorhanden sind, wage ich zu bezweifeln. Wenn man das effizient machen will, ist das nicht nur eine Aufgabe des Bundes, sondern auch eine solche der einzelnen Länder, ihre Staatsanwaltschaften mit entsprechenden Kapazitäten auszustatten. Wir haben hier etwa in Köln ein gutes Beispiel, wo das Land NRW eine Spezialstelle geschaffen hat, eine Cybercrime-Unit, die sich auch und insbesondere dem Thema Hate Speech annimmt, wo einzelne Staatsanwälte jeden Tag sich genau solche Verfahren anschauen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.