Ursula Welter: Die Wirtschaftsverbände wirken verärgert, die Umfrageergebnisse sind schlecht, das Stöhnen über quälende Kompromisssuche und fragwürdige Kompromissergebnisse ist laut. Viel leiser ist das Lob etwa für den Versuch, Schulden abzubauen, den Föderalismus zu reformieren und die Arbeitslosigkeit zu senken. Ein Jahr Große Koalition: Bilanzen fallen in der Sache überwiegend negativ aus. Wie aber steht es um die Personen? Um die Frau an der Spitze? Um Angela Merkel, die vor einem Jahr versprach, mehr Freiheit wagen zu wollen, wo sie doch mit dem Kirchhoffschen Befreiungsschlag in der Steuerpolitik gerade erst gescheitert war? Die Journalistin Evelyn Roll hat über Angela Merkel geschrieben, im ZDF ein filmisches Porträt vorgelegt und so heißt es von Evelyn Roll, sie habe das Vertrauen der Kanzlerin. Wie äußert sich das?
Evelyn Roll: Also wenn es von mir heißt - ich weiß nicht was das bedeutet - das Vertrauen der Kanzlerin zu genießen… Sie hat uns zugetraut, dass wir diesen Film machen. Ansonsten bin ich halt eine Journalistin, die sie seit vielen Jahren beobachtet und aus Hintergrundgesprächen kennt und auch gelegentlich die Möglichkeit hat, große Interviews mit ihr zu machen. Da drin äußert sich wahrscheinlich das Vertrauen.
Welter: Wie waren die Reaktionen auf Ihren Film, auf Ihr Portrait von Angela Merkel?
Roll: Ganz geteilt, enthusiastisch bei Leuten, die, wie ich das naturgemäß finde, verstanden haben, wie dieser Film war und ein bisschen skeptischer bei den politischen Journalisten, denen ein wenig - so haben sie es jedenfalls geschrieben - politische Analyse gefehlt hat. Also, es war heiß und kalt, aber es gab keine lauwarmen Kritiken, was mich sehr gefreut hat.
Welter: Gab es denn ein Urteil, das Sie besonders gefreut hat oder auch eines, dass Sie besonders geärgert hätte?
Roll: Mich hat besonders gefreut, dass viele gesehen haben, dass es gelungen ist, was wir versucht haben. Es war ja die Idee, mal zu versuchen, auf eine andere Art der Bundeskanzlerin näher zu kommen. Schreibende Journalisten wissen, dass sie ein bisschen anders ist, als sie sich sonst im Fernsehen gibt. Das ist ja zwar bei allen Politikern so, aber die Schere geht kaum bei jemanden so weit auseinander. Sie ist, wenn Kameras an sind, enorm konzentriert, enorm drauf bedacht, nicht einen halben Nebensatz zu sagen, der irgendwie gefährlich werden könnte, und das führt bei ihr zu einer, wie ich finde, sehr angestrengten Sprache und einem angestrengten, unentspannten Gesichtsausdruck und wir, die wir so aus Hintergrundgesprächen kennen oder von Reisen, wissen, dass sie auch ganz anders sein kann. Und das war die Idee: Man begleitet sie ein Jahr, man sammelt das Bildmaterial des ersten Jahres ein und dann führt man ihr das vor. Natürlich war der Plan dabei, sie wird im Gespräch mit mir und beim Ansehen dieser Bilder eines Jahres, ein bisschen vergessen, dass sie auch dabei wieder gefilmt wird. Und das ist in Teilen gelungen. Sie hat uns nicht irgendetwas erzählt, was sie nicht vorgehabt hätte uns zu erzählen, aber ich finde, man sieht in ihrem Gesicht sehr, sehr viel, was man sonst nicht sieht. Das ist einfach der Versuch, jemandem näher zu kommen, ohne irgendwie ihr im Privatleben aufzulauern. Das ist gelungen, und das haben sehr viele auch erkannt. Und es gibt nichts, was mich richtig geärgert hat. Es hat aus der männlichen Schiene so eine Kritik gegeben, die ich eher lustig fand. Denen waren das einfach zu viele Frauen. Eine Kanzlerin ist ja schon ein Menge zu verkraften für manche Männer offenbar, dann zwei Filmemacherinnen, die Produzentin Regina Ziegler und die Redakteurin Schausten, da habe ich gemerkt, dass es da Männer gibt, die das ärgerlich fanden. Aber die muss man ja auch fast schon wieder mutig finden, wenn sie es dann hinschreiben.
Welter: Sie haben es selbst angedeutet, eine Analyse der Politik der großen Koalition sollte Ihr Film nicht sein und doch verknüpfen sich ja die Aspekte. Die Kanzlerin Angela Merkel hier, die Skepsis, die ihr vor Regierungsbeginn entgegengebracht wurde und die heute wieder durchschimmert, dazu die schlechten Umfrageergebnisse. Wie geht Angela Merkel damit um?
Roll: Angela Merkel geht damit naturwissenschaftlich um. Sie ist ja Physikerin, sie sagt immer: Umfragen sind Umfragen. Und sie hat das ja auch drastischer als wir alle erlebt und sich gemerkt, sie erinnern sich vielleicht noch, wie die Umfragen unmittelbar vor der Bundestagswahl waren und das dann mit dem Ergebnis der Bundestagswahl nichts mehr zu tun hatte, das hat bei denen, die umfrageskeptisch sind, diese Skepsis sehr vergrößert, und bei Angela Merkel kommt dazu, dass sie so denkt, die Summe bleibt immer ungefähr gleich. Es gibt in der Physik so etwas, das nennt man Erhaltungssätze, da bleibt in einem System die Summe von Hitze und Kälte, von Druck und Gegendruck, das bleibt immer alles gleich und so guckt sie ein bisschen auch auf die Politik und hat in den Phasen, in denen sie diese erstaunlichen 80 Prozent Zustimmung hatte, unmittelbar nachdem sie es geworden war und es in der Außenpolitik so schön losgelegt hat, da hat sie das schon immer gesagt, okay, 80 Prozent, das ist gefährlich, weil, wenn die Ausschläge so weit nach oben gehen, werden sie auch wieder sehr weit nach unten gehen. Ich glaube, dass sie so auf diesen Umfrageteil dieses ersten Jahres guckt.
Welter: Spricht sie auch darüber, wie wenig Macht eine Kanzlerin hat, die die Opposition ja auch in den eigenen Reihen vermuten darf?
Roll: Ihre Frage hat ja zwei Teile. Sie weiß, wie viel eine Bundeskanzlerin an Macht haben könnte in dieser Großen Koalition. Die Mehrheit, die die im Bundestag haben, ist so groß, wie schon sehr lange keine Regierung mehr eine Mehrheit hatte. Bei ein paar politischen Ereignissen hat man ja auch gesehen, dass das funktionieren kann. Und dann ist für uns Beobachter was Überraschendes passiert, nämlich, dass sich dann in so einem föderalen Land die eigenen Ministerpräsidenten zu viel stärkeren Oppositionen gerieren können. Das hat, glaube ich, Angela Merkel nicht überrascht. Sie hat eher überrascht, auf welche Art und Weise das dann gemacht worden ist. Da sind ein paar Sachen gelaufen, da würde sie sich nie öffentlich drüber beschweren, die sind aber nicht richtig fair gewesen.
Ich glaube, das beste Beispiel ist da Edmund Stoiber, der in seiner Eigenschaft als Teilnehmer an dieser Großen Koalition ja gelegentlich Dinge in langen Nachtsitzungen verabschiedet hat, die er dann kaum, als er dann wieder in München war, in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident wieder angezweifelt hat. Das hat zu diesem sehr langwierigen Prozedere in der Gesundheitsreform geführt, die, wie ich fand, dann verheerende Wirkung in der Öffentlichkeit hatte.
Das ist auch der Punkt, den ich sehr viel ernster nehme, als Angela Merkel zugibt, dass sie ihn ernst nimmt, nämlich dieses Vertrauen, was zerstört worden ist. Wir haben ja eh keine sehr große Begeisterung mehr für Politik in diesem Land. Es gab aber am Anfang dieser Großen Koalition nicht nur bei uns Journalisten, sondern, das konnte man auch spüren, bei den ganz normalen Konsumenten von Politik dieses Gefühl, diese beiden großen Parteien, wenn die sich jetzt am Riemen reißen, werden sie was schaffen für das Land. Und das ist zertrümmert worden durch diesen furchtbaren Prozess der Gesundheitsreform. Da gibt es tausend Gründe für, warum das so furchtbar gelaufen ist, aber das hat noch bei einem Rest von Leuten, die noch gesagt haben, da könnte mal was gelingen, das Vertrauen in die Politik zerstört und das finde ich persönlich viel dramatischer als Meinungsumfragen.
Welter: Hat sich Angela Merkel in dem langen Gespräch, dass Sie mit ihr geführt haben, dazu geäußert, dass sie, sagen wir, genervt ist über Einlassungen etwa aus Bayern. Hat sie es durchschimmern lassen? Merkt man ihr das an?
Roll: Nein, sie sagt es nicht, sie lässt es auch nicht durchschimmern, aber ja, man merkt es ihr an. Man merkt es ihr auch in diesem Film an, wenn ihr Gesicht auf Edmund Stoiber reagiert, oder wenn ihr Gesicht auf einen sehr verschachtelten Satz von Roland Koch reagiert, mit dem er ihr ewige Treue schwört. Das ist ja das, was wir auch so gelungen und so komisch an dem Film finden. Aber selbstverständlich sagt sie es nicht, sie sagt es nicht öffentlich.
Welter: Zwischen der Ausstrahlung Ihres Filmes und unserem Interview jetzt kam "Die Zeit" auf den Markt mit - wie könnte es anders sein - mit einem Gespräch über weiblichen Führungsstil. Führt Angela Merkel anders?
Roll: Es werden ja die Bundeskanzler immer mit ihren unmittelbaren Vorgängern verglichen. Wenn sie das tun ja, führt Angela Merkel anders…
Welter: Anders, weil sie eine andere Person und nicht, weil sie eine Frau ist?
Roll: Das weiß ich nicht. Ich glaube schon, es ist der Typus von Führungsstil, den man weiblich nennt, der aber nicht nur von Frauen angewandt wird. Also, ich glaube, Schröder ist wirklich gut beschrieben gewesen mit diesem er ist ein Basta-Typ. Es gab im Kabinett eigentlich immer nur einen der geredet hat, Schröder, Schröder und noch mal Schröder und wenn der aufgehört hat, gab es noch Fischer und Schily, und alle anderen hatten nichts zu sagen. Das hat dazu geführt, dass die Kabinettssitzungen nicht besonders lang waren, dass aber nachher sich dann alle bei ihren befreundeten Journalisten ausgeweint haben. Wir haben das ja ein bisschen vergessen, dass auch Schröder immer nachreparieren musste und dass es große Debatten dann in den Medien gab. Die waren so entstanden. Merkel macht das im Kabinett ganz anders. Sie lässt ausdiskutieren, sie lässt auch die Minister, die nicht ganz so bedeutende Ressorts haben, ihre Dinge vortragen. Wenn die dann auseinander gehen, ist sehr viel Zeit vergangen, aber es sind sich dann auch alle einig. Und wir erleben es zurzeit zumindest aus dem Kabinett nicht, dass dann einer einen befreundeten Journalisten anruft und von außen noch mal alles in Frage stellt. Das kann man weiblichen und männlichen Führungsstil nennen, ja, dann hat sie weiblichen Führungsstil.
Welter: Das hieße aber auch, dass aus dieser Warte das fehlende Machtwort, das oft von ihr verlangt wird, auch in Erinnerung an das Basta von Gerhard Schröder, die Tatsache, dass das zuweilen fehlt, nicht schlecht ist?
Roll: Das halte ich sowieso für naiv, wenn das gefordert wird, beziehungsweise, wenn es aus der Opposition oder von der SPD gefordert wird, auch für politisch kalkuliert naiv. Ein Machtwort kann immer nur jemand sprechen, der auch wirklich dann die Macht hat. Auf den Tisch können Sie nur hauen, wenn Sie wissen, dann wird auch alles anders. Und selbst Schröder in seiner Koalition hat es ja, wenn wir es genau wissen, drei Mal, manche sagen vier Mal, getan, dieses Machtwort sprechen und er musste es immer mit einer Rücktrittsandrohung verknüpfen. Wenn sie das dann das vierte Mal machen, müssen sie zurücktreten. So kann man ja Rot-Grün auch zusammenfassen. Und das macht natürlich auch wiederum eine Physikerin der Macht nicht, dass sie Drohungen ausstößt, von denen sie nicht weiß, was sie tut, wenn die anderen sagen, machen wir aber trotzdem nicht. Es kann ja dann ein Bundeskanzler - so funktioniert nun mal Demokratie - letztendlich seinen Richtlinienkompetenzen nur durchpressen, wenn er mit Rücktritt droht und das, glaube ich, macht man ein oder zwei Mal und schon beim dritten Mal hat es sich völlig geschwächt als Machtmittel.
Welter: Von Angela Merkel ist das nicht zu erwarten?
Roll: Also, ich glaube schon, dass sie im Hintergrund gelegentlich mal so was macht, aber ich glaube nicht, dass sie jetzt und bei diesen relativ, aus ihrer Sicht, kleinen Scharmützeln mit diesem Machtwort drohen wird. Sie muss sich ja auch noch was vorbehalten für den Zeitpunkt, auf den wir ja jetzt alle neugierig sind, nämlich wenn diese Koalition ernsthaft wieder anfängt an den nächsten Wahlkampf zu denken und zu überlegen, wie bringt man eigentlich eine Große Koalition wieder auseinander, so dass beide im Wahlkampf dann wieder neue und gute Startpositionen haben.
Welter: Und ein scharfes Profil.
Roll: Und ein scharfes Profil.
Welter: Evelyn Roll über die Physikerin der Macht, über ein Jahr Angela Merkel an der Spitze der Großen Koalition.
Evelyn Roll: Also wenn es von mir heißt - ich weiß nicht was das bedeutet - das Vertrauen der Kanzlerin zu genießen… Sie hat uns zugetraut, dass wir diesen Film machen. Ansonsten bin ich halt eine Journalistin, die sie seit vielen Jahren beobachtet und aus Hintergrundgesprächen kennt und auch gelegentlich die Möglichkeit hat, große Interviews mit ihr zu machen. Da drin äußert sich wahrscheinlich das Vertrauen.
Welter: Wie waren die Reaktionen auf Ihren Film, auf Ihr Portrait von Angela Merkel?
Roll: Ganz geteilt, enthusiastisch bei Leuten, die, wie ich das naturgemäß finde, verstanden haben, wie dieser Film war und ein bisschen skeptischer bei den politischen Journalisten, denen ein wenig - so haben sie es jedenfalls geschrieben - politische Analyse gefehlt hat. Also, es war heiß und kalt, aber es gab keine lauwarmen Kritiken, was mich sehr gefreut hat.
Welter: Gab es denn ein Urteil, das Sie besonders gefreut hat oder auch eines, dass Sie besonders geärgert hätte?
Roll: Mich hat besonders gefreut, dass viele gesehen haben, dass es gelungen ist, was wir versucht haben. Es war ja die Idee, mal zu versuchen, auf eine andere Art der Bundeskanzlerin näher zu kommen. Schreibende Journalisten wissen, dass sie ein bisschen anders ist, als sie sich sonst im Fernsehen gibt. Das ist ja zwar bei allen Politikern so, aber die Schere geht kaum bei jemanden so weit auseinander. Sie ist, wenn Kameras an sind, enorm konzentriert, enorm drauf bedacht, nicht einen halben Nebensatz zu sagen, der irgendwie gefährlich werden könnte, und das führt bei ihr zu einer, wie ich finde, sehr angestrengten Sprache und einem angestrengten, unentspannten Gesichtsausdruck und wir, die wir so aus Hintergrundgesprächen kennen oder von Reisen, wissen, dass sie auch ganz anders sein kann. Und das war die Idee: Man begleitet sie ein Jahr, man sammelt das Bildmaterial des ersten Jahres ein und dann führt man ihr das vor. Natürlich war der Plan dabei, sie wird im Gespräch mit mir und beim Ansehen dieser Bilder eines Jahres, ein bisschen vergessen, dass sie auch dabei wieder gefilmt wird. Und das ist in Teilen gelungen. Sie hat uns nicht irgendetwas erzählt, was sie nicht vorgehabt hätte uns zu erzählen, aber ich finde, man sieht in ihrem Gesicht sehr, sehr viel, was man sonst nicht sieht. Das ist einfach der Versuch, jemandem näher zu kommen, ohne irgendwie ihr im Privatleben aufzulauern. Das ist gelungen, und das haben sehr viele auch erkannt. Und es gibt nichts, was mich richtig geärgert hat. Es hat aus der männlichen Schiene so eine Kritik gegeben, die ich eher lustig fand. Denen waren das einfach zu viele Frauen. Eine Kanzlerin ist ja schon ein Menge zu verkraften für manche Männer offenbar, dann zwei Filmemacherinnen, die Produzentin Regina Ziegler und die Redakteurin Schausten, da habe ich gemerkt, dass es da Männer gibt, die das ärgerlich fanden. Aber die muss man ja auch fast schon wieder mutig finden, wenn sie es dann hinschreiben.
Welter: Sie haben es selbst angedeutet, eine Analyse der Politik der großen Koalition sollte Ihr Film nicht sein und doch verknüpfen sich ja die Aspekte. Die Kanzlerin Angela Merkel hier, die Skepsis, die ihr vor Regierungsbeginn entgegengebracht wurde und die heute wieder durchschimmert, dazu die schlechten Umfrageergebnisse. Wie geht Angela Merkel damit um?
Roll: Angela Merkel geht damit naturwissenschaftlich um. Sie ist ja Physikerin, sie sagt immer: Umfragen sind Umfragen. Und sie hat das ja auch drastischer als wir alle erlebt und sich gemerkt, sie erinnern sich vielleicht noch, wie die Umfragen unmittelbar vor der Bundestagswahl waren und das dann mit dem Ergebnis der Bundestagswahl nichts mehr zu tun hatte, das hat bei denen, die umfrageskeptisch sind, diese Skepsis sehr vergrößert, und bei Angela Merkel kommt dazu, dass sie so denkt, die Summe bleibt immer ungefähr gleich. Es gibt in der Physik so etwas, das nennt man Erhaltungssätze, da bleibt in einem System die Summe von Hitze und Kälte, von Druck und Gegendruck, das bleibt immer alles gleich und so guckt sie ein bisschen auch auf die Politik und hat in den Phasen, in denen sie diese erstaunlichen 80 Prozent Zustimmung hatte, unmittelbar nachdem sie es geworden war und es in der Außenpolitik so schön losgelegt hat, da hat sie das schon immer gesagt, okay, 80 Prozent, das ist gefährlich, weil, wenn die Ausschläge so weit nach oben gehen, werden sie auch wieder sehr weit nach unten gehen. Ich glaube, dass sie so auf diesen Umfrageteil dieses ersten Jahres guckt.
Welter: Spricht sie auch darüber, wie wenig Macht eine Kanzlerin hat, die die Opposition ja auch in den eigenen Reihen vermuten darf?
Roll: Ihre Frage hat ja zwei Teile. Sie weiß, wie viel eine Bundeskanzlerin an Macht haben könnte in dieser Großen Koalition. Die Mehrheit, die die im Bundestag haben, ist so groß, wie schon sehr lange keine Regierung mehr eine Mehrheit hatte. Bei ein paar politischen Ereignissen hat man ja auch gesehen, dass das funktionieren kann. Und dann ist für uns Beobachter was Überraschendes passiert, nämlich, dass sich dann in so einem föderalen Land die eigenen Ministerpräsidenten zu viel stärkeren Oppositionen gerieren können. Das hat, glaube ich, Angela Merkel nicht überrascht. Sie hat eher überrascht, auf welche Art und Weise das dann gemacht worden ist. Da sind ein paar Sachen gelaufen, da würde sie sich nie öffentlich drüber beschweren, die sind aber nicht richtig fair gewesen.
Ich glaube, das beste Beispiel ist da Edmund Stoiber, der in seiner Eigenschaft als Teilnehmer an dieser Großen Koalition ja gelegentlich Dinge in langen Nachtsitzungen verabschiedet hat, die er dann kaum, als er dann wieder in München war, in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident wieder angezweifelt hat. Das hat zu diesem sehr langwierigen Prozedere in der Gesundheitsreform geführt, die, wie ich fand, dann verheerende Wirkung in der Öffentlichkeit hatte.
Das ist auch der Punkt, den ich sehr viel ernster nehme, als Angela Merkel zugibt, dass sie ihn ernst nimmt, nämlich dieses Vertrauen, was zerstört worden ist. Wir haben ja eh keine sehr große Begeisterung mehr für Politik in diesem Land. Es gab aber am Anfang dieser Großen Koalition nicht nur bei uns Journalisten, sondern, das konnte man auch spüren, bei den ganz normalen Konsumenten von Politik dieses Gefühl, diese beiden großen Parteien, wenn die sich jetzt am Riemen reißen, werden sie was schaffen für das Land. Und das ist zertrümmert worden durch diesen furchtbaren Prozess der Gesundheitsreform. Da gibt es tausend Gründe für, warum das so furchtbar gelaufen ist, aber das hat noch bei einem Rest von Leuten, die noch gesagt haben, da könnte mal was gelingen, das Vertrauen in die Politik zerstört und das finde ich persönlich viel dramatischer als Meinungsumfragen.
Welter: Hat sich Angela Merkel in dem langen Gespräch, dass Sie mit ihr geführt haben, dazu geäußert, dass sie, sagen wir, genervt ist über Einlassungen etwa aus Bayern. Hat sie es durchschimmern lassen? Merkt man ihr das an?
Roll: Nein, sie sagt es nicht, sie lässt es auch nicht durchschimmern, aber ja, man merkt es ihr an. Man merkt es ihr auch in diesem Film an, wenn ihr Gesicht auf Edmund Stoiber reagiert, oder wenn ihr Gesicht auf einen sehr verschachtelten Satz von Roland Koch reagiert, mit dem er ihr ewige Treue schwört. Das ist ja das, was wir auch so gelungen und so komisch an dem Film finden. Aber selbstverständlich sagt sie es nicht, sie sagt es nicht öffentlich.
Welter: Zwischen der Ausstrahlung Ihres Filmes und unserem Interview jetzt kam "Die Zeit" auf den Markt mit - wie könnte es anders sein - mit einem Gespräch über weiblichen Führungsstil. Führt Angela Merkel anders?
Roll: Es werden ja die Bundeskanzler immer mit ihren unmittelbaren Vorgängern verglichen. Wenn sie das tun ja, führt Angela Merkel anders…
Welter: Anders, weil sie eine andere Person und nicht, weil sie eine Frau ist?
Roll: Das weiß ich nicht. Ich glaube schon, es ist der Typus von Führungsstil, den man weiblich nennt, der aber nicht nur von Frauen angewandt wird. Also, ich glaube, Schröder ist wirklich gut beschrieben gewesen mit diesem er ist ein Basta-Typ. Es gab im Kabinett eigentlich immer nur einen der geredet hat, Schröder, Schröder und noch mal Schröder und wenn der aufgehört hat, gab es noch Fischer und Schily, und alle anderen hatten nichts zu sagen. Das hat dazu geführt, dass die Kabinettssitzungen nicht besonders lang waren, dass aber nachher sich dann alle bei ihren befreundeten Journalisten ausgeweint haben. Wir haben das ja ein bisschen vergessen, dass auch Schröder immer nachreparieren musste und dass es große Debatten dann in den Medien gab. Die waren so entstanden. Merkel macht das im Kabinett ganz anders. Sie lässt ausdiskutieren, sie lässt auch die Minister, die nicht ganz so bedeutende Ressorts haben, ihre Dinge vortragen. Wenn die dann auseinander gehen, ist sehr viel Zeit vergangen, aber es sind sich dann auch alle einig. Und wir erleben es zurzeit zumindest aus dem Kabinett nicht, dass dann einer einen befreundeten Journalisten anruft und von außen noch mal alles in Frage stellt. Das kann man weiblichen und männlichen Führungsstil nennen, ja, dann hat sie weiblichen Führungsstil.
Welter: Das hieße aber auch, dass aus dieser Warte das fehlende Machtwort, das oft von ihr verlangt wird, auch in Erinnerung an das Basta von Gerhard Schröder, die Tatsache, dass das zuweilen fehlt, nicht schlecht ist?
Roll: Das halte ich sowieso für naiv, wenn das gefordert wird, beziehungsweise, wenn es aus der Opposition oder von der SPD gefordert wird, auch für politisch kalkuliert naiv. Ein Machtwort kann immer nur jemand sprechen, der auch wirklich dann die Macht hat. Auf den Tisch können Sie nur hauen, wenn Sie wissen, dann wird auch alles anders. Und selbst Schröder in seiner Koalition hat es ja, wenn wir es genau wissen, drei Mal, manche sagen vier Mal, getan, dieses Machtwort sprechen und er musste es immer mit einer Rücktrittsandrohung verknüpfen. Wenn sie das dann das vierte Mal machen, müssen sie zurücktreten. So kann man ja Rot-Grün auch zusammenfassen. Und das macht natürlich auch wiederum eine Physikerin der Macht nicht, dass sie Drohungen ausstößt, von denen sie nicht weiß, was sie tut, wenn die anderen sagen, machen wir aber trotzdem nicht. Es kann ja dann ein Bundeskanzler - so funktioniert nun mal Demokratie - letztendlich seinen Richtlinienkompetenzen nur durchpressen, wenn er mit Rücktritt droht und das, glaube ich, macht man ein oder zwei Mal und schon beim dritten Mal hat es sich völlig geschwächt als Machtmittel.
Welter: Von Angela Merkel ist das nicht zu erwarten?
Roll: Also, ich glaube schon, dass sie im Hintergrund gelegentlich mal so was macht, aber ich glaube nicht, dass sie jetzt und bei diesen relativ, aus ihrer Sicht, kleinen Scharmützeln mit diesem Machtwort drohen wird. Sie muss sich ja auch noch was vorbehalten für den Zeitpunkt, auf den wir ja jetzt alle neugierig sind, nämlich wenn diese Koalition ernsthaft wieder anfängt an den nächsten Wahlkampf zu denken und zu überlegen, wie bringt man eigentlich eine Große Koalition wieder auseinander, so dass beide im Wahlkampf dann wieder neue und gute Startpositionen haben.
Welter: Und ein scharfes Profil.
Roll: Und ein scharfes Profil.
Welter: Evelyn Roll über die Physikerin der Macht, über ein Jahr Angela Merkel an der Spitze der Großen Koalition.