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Über das Leben verfügen

Angesichts der gerichtlichen Auseinandersetzung um die amerikanische Komapatientin Terri Schiavo hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries ihren Gesetzentwurf zur Patientenverfügung verteidigt. In einer solchen Verfügung könne ein Mensch auch bestimmen, dass gegebenenfalls alles medizinisch Mögliche unternommen werden soll. Den Vorschlag der Enquete-Kommission, Patientenverfügungen auf solche Fälle zu begrenzen, in denen der Patient an einer irreversiblen tödlichen Krankheit leidet, hält Zypries hingegen für verfassungsrechtlich nicht legitimierbar.

Moderator: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: In den USA muss jetzt der Oberste Gerichtshof über Leben und Tod der Komapatientin Terri Schiavo entscheiden. Die 41jährige Frau liegt seit 15 Jahren im Wachkoma. Gleich mehrere Gerichte haben sich mit ihrem Fall beschäftigt, der US-Kongress, der amerikanische Präsident und die Leidensgeschichte von Terri Schiavo entfacht auch hierzulande Diskussionen. Wann dürfen lebensverlängernde Maßnahmen eingestellt werden? Hilft eine Patientenverfügung? Dazu soll es ein Gesetz geben, ein erstes unter Federführung von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, SPD, war auf Kritik gestoßen. Bei uns ist sie jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Zypries.

    Brigitte Zypries: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Es gibt unterschiedliche Ansichten, wie der Fall Schiavo in Deutschland entschieden würde. Würde sie in unseren Krankenhäusern weiter am Leben gehalten?

    Zypries: Das kann ich natürlich auch nicht sagen, weil ich die konkreten Umstände des Falles nicht kennen, und deswegen sollte man darüber nicht spekulieren. Grundsätzlich ist es aber auch in Deutschland möglich, dass das Vormundschaftsgericht entscheidet, wenn es Differenzen gibt über die Frage, wie eine Behandlung stattfinden soll.

    Meurer: Auf deutsche Verhältnisse übertragen: Ein Ehemann sagt, meine Frau liegt im Wachkoma, ich weiß, dass sie das nicht erleiden will. Würde dann dem Willen des Ehemanns entsprochen werden?

    Zypries: Das kann man so nicht sagen. Es muss zur Überzeugung der Ärzte sein. Und wenn der Ehemann sich beispielsweise nicht auf eine schriftliche Verfügung berufen kann, sondern nur sagt, sie hat es mal gesagt, und die Eltern sagen beispielsweise, wir haben da entgegenstehende Äußerungen, dann wird das Ganze sehr prekär.

    Meurer: Ist die Tragödie um Terri Schiavo für Sie ein Beispiel, dass eine Patientenverfügung absolut hilfreich wäre?

    Zypries: In der Deutlichkeit würde ich es auch nicht formulieren wollen, weil ich nicht meine, dass jeder Mensch eine Patientenverfügung machen muss. Es gibt viele Menschen, die sagen: Ich lege mein Leben in solchen Situationen in die Hände der Ärzte und in die Hände meiner Angehörigen und die werden das dann schon richtig machen. Das ist ja völlig legitim und auch zu respektieren. Was ich nur meine ist, dass diejenigen, die sagen, ich möchte gerne auch in dem Zeitraum, wo ich mich nicht mehr artikulieren kann, von meinem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch machen, denen sollten wir dazu eine Möglichkeit geben.

    Meurer: Ihre Kritiker werfen Ihnen ja vor, Sie wollten der Patientenverfügung absoluten Vorrang geben. Wenn eine solche Patientenverfügung vorliegt, dann zählt die auch. Bleiben Sie bei Ihrer Auffassung?

    Zypries: Ja, in der Tat, denn ich gehe ja davon aus, dass das nichts anderes ist als die schriftliche Fortsetzung der ansonsten auch bestehenden Situation der Selbstbestimmung. Wenn Sie krank sind und zu einem Arzt in Behandlung gehen und der Arzt schlägt Ihnen bestimmte Therapien vor, dann entscheiden Sie darüber, ob Sie diese Therapien machen oder nicht. Das ist Ihr gutes Recht und gegen Ihr Recht darf der Arzt Sie nicht behandeln, auch wenn er Ihnen dann sagt, das wird über kurz oder lang zum Tode führen.

    Meurer: Es gibt aber auch die Fürsorgepflicht der Angehörigen und Ärzte, die sagen, das hätte der Betroffene vielleicht doch heute anders gesehen, als er das vor zwei oder drei Jahren gesagt hat, als er die Patientenverfügung unterschrieben hat.

    Zypries: Die Voraussetzung dafür, dass die Patientenverfügung gilt, ist natürlich die, dass man keine Anhaltspunkte dafür hat, dass der Wille sich geändert hat. Das ist klar, da muss man dann im Zweifel mit den Angehörigen reden, am besten ist es eben, das empfehlen wir ja auch oder regen es an, dass die Patientenverfügung eben hinreichend häufig wieder bestätigt wird. Also wenn man sie beispielsweise jährlich unterschreibt und sagt, ich bin immer noch dieser Auffassung, dann weiß man, der Wille ist zeitnah, und er oder sie hat es wirklich so gewollt. Und dann muss man es auch als Angehöriger respektieren, denn man darf ja auch nicht verkennen, dass es oft gerade auch den Angehörigen schwer fällt zu respektieren, dass der geliebte Mensch nun stirbt.

    Meurer: Schwer wird es den Angehörigen fallen, wenn das Todesurteil sozusagen gegen ihren Willen gefasst wird, wenn sie sagen, das würde mein Mann jetzt anders sehen.

    Zypries: Das verstehe ich jetzt nicht ganz: Wenn es klar ist, dass es der Wille des Betroffenen ist, dann ist der zu respektieren. Das muss man auch ansonsten in einer Beziehung, wenn der Partner beispielsweise sagt, um ein sehr viel weniger einschneidendes Beispiel zu nehmen, ich will mich trennen, dann muss ich das akzeptieren, auch wenn ich es selber nicht will.

    Meurer: Soll die Patientenverfügung auch für das Wachkoma gelten?

    Zypries: Das ist das, worum es ja diesen Streit gibt, das ist eben die Frage, wie lange oder welche Reichweite eine Patientenverfügung hat. Ich meine eben, dass dann, wenn sie hinreichend klar ist, wenn vorher eine Beratung mit einem Arzt oder Seelsorger oder etwa Selbsthilfegruppen stattgefunden hat, wenn man also weiß, da hat sich jemand wirklich Gedanken gemacht, hat es formuliert, dann meine ich, muss das Selbstbestimmungsrecht des Menschen gelten, denn mit welchem Recht will der Staat sagen: Für einen bestimmten Zeitraum deines Lebens erkenne ich dir dein Selbstbestimmungsrecht ab?

    Meurer: Wie groß ist die Gefahr, dass auf Ältere so etwas wie ein moralischer Druck ausgeübt wird, eine Patientenverfügung auszustellen mit dem Willen, dass man keine lebensverlängernden Maßnahmen möchte?

    Zypries: Diesen Druck kann ich nicht erkennen und ich hoffe auch sehr, dass er niemals entstehen wird, denn völlig klar ist: Jeder in diesem Staat bekommt geholfen, und man kann sich, das habe ich eingangs gesagt, ja überlegen, ob man eine Patientenverfügung macht oder nicht und - um das noch zu ergänzen - man kann auch eine Patientenverfügung machen mit der Aussage: Ich möchte, dass alles medizinisch Mögliche unternommen wird. Es muss ja nicht immer nur um das Negative gehen, es kann ja auch darum gehen, dass man sagt: Macht alles!

    Meurer: Nun brauchen Sie für Ihr Gesetz auch eine Mehrheit im Bundestag. Da gehen die Ansichten quer durch die Fraktionen, Sie scheinen bei Ihrer ursprünglichen Fassung bleiben zu wollen. Kriegen Sie dafür eine Mehrheit?

    Zypries: Das muss man sehen. Der Bundestag wird diese ganze Thematik ja jetzt diskutieren. Er hat mit den Erörterungen bereits begonnen und es gibt eine Gruppe in der Enquete-Kommission, die nicht meiner Auffassung ist, es gibt aber auch zahlreiche andere Abgeordnete, die meiner Auffassung sind. Viele werden sich mit der Problematik wahrscheinlich jetzt erst umfänglich auseinandersetzen. Das ist auch richtig so, dass das breit diskutiert wird, denn es ist ja wirklich ein Grenzthema, was das Leben des Menschen und sein Sterben anbelangt, das sehr ernst genommen und sehr sorgfältig erörtert werden muss. Von daher ist es völlig in Ordnung, wenn es jetzt auch wirklich eine breite Debatte in Deutschland darüber gibt.

    Meurer: Sehen Sie einen Kompromiss mit der Enquete-Kommission?

    Zypries: Hinsichtlich der Frage der Reichweite kann ich da keinen Ansatz für erkennen im Moment. Für mich reduziert sich das auf die Frage: Gibt es das Selbstbestimmungsrecht, was wir bei vollem Bewusstsein der Menschen selbstverständlich anerkennen, auch weiter getragen? Da meine ich eben, das kann man gar nicht anders bewerten, denn man müsste ja umgekehrt legitimieren, warum eigentlich darf der Staat es versagen. Was ist die Legitimation für den Staat zu sagen: Du darfst in diesem Zeitraum deines Lebens nicht über dich selbst bestimmen, da müssen es deine Angehörigen oder die Ärzte tun, und später dann, wie die Enquete-Kommission sagt: Wenn die Krankheit irreversibel zum Tode führt, darf man wieder bestimmen. Das halte ich für verfassungsrechtlich gar nicht legitimierbar.